Man müsste Peter Hahne und Burkhard Müller-Ullrich noch zu Lebzeiten heilig sprechen für die Erschaffung des Kontrafunks. Es ist ein Sender, wie ich ihn 50 Jahre lang ersehnt hatte. Heute war der "Frühschoppen" (bei Werner Höfer war das Einzige, was etwas taugte, die Weinseligkeit; die handverlesene Auswahl von Auslandskorrespondenten war immer so aufschlussreich wie ein Gesangsvortrag von Mireille Matthieu) wieder besonders klug. Vor allem Gerald Markel scheint mir die Lage sehr gut zu erkennen.
Der Inbegriff des dummen Journalismus war in meinen Augen immer die "Drehscheibe", obwohl ausgerechnet diese Sendereihe, deren Konzept die Verherrlichung der Langweile zu sein schien, ab und zu, quasi aus Versehen, Beiträge enthielt, die mir unvergesslich sind: die Präsentation von Joy Fleming, die damals noch als Kassiererin im Supermarkt arbeitete und Chris Roberts, der "Ich liebe dieses Land" sang. Eigentlich fand ich Chris Roberts fürchterlich wie die Drehscheibe, aber als ich dieses Lied von ihm hörte, bekam ich Herzklopfen, allein schon für den Text. Aber auch Melodie und Arrangement sind (seltsamerweise) meisterhaft. Wie konnte es dazu kommen, dass ausgerechnet bei diesem Lied auch künstlerische Könnerschaft zum Ausdruck kam? Es ist ganz sicher sein ehrlichstes Lied. An Chris Roberst war, wie an Rex Gildo, so gut wie alles falsch (heute nennt man das Fake), angefangen mit der kranken in Deutschland verbreiteten Neigung, sich im Showgeschäft, einen angelsächsisch klingenden Künstlernamen zuzulegen. Eigentlich hieß er Christian Franz Klusáček. Er hatte also einen slawischen Nachnamen, was in der Zeit des kalten Krieges keine besonders beliebte Visitenkarte war (obwohl Karel Gott nicht nur bei "Einer wird gewinnen" auftrat, sondern auch bei Veranstaltungen der DKP Benefizkonzerte gab). Wikipedia behauptet den slawischen Nachnamen habe er von seinem jugoslawischen Vater. Klusáček ist aber ein tschechischer Name. Falls der Vater wirklich wie der Torhüter Tilkowski aus Jugoslawien kam, muss er jedoch tschechischer Abstammung gewesen sein. Anders als in Deutschland sind die Namen in Ländern wie Italien und den aus Jugoslawien hervorgegangen Republiken durchaus noch vielsagend, was geographische Herkunft angeht. Immerhin kann man auch bei Kubicki noch darauf schließen, dass er einst polnische Vorfahren hatte. In anderen Ländern ist man stolz auf seine Herkunft und verbirgt sie nicht, nur in Deutschland ist es verpönt, jemanden auf seine familiäre Herkunft anzusprechen und erst recht auf die ethnische. Joy Fleming wurde 1973 in der Drehscheibe als Joy Fleming vorgestellt. Es war das einzige, was mich an ihr irritierte. Dass sie in Wirklichkeit Erna Raad hieß, erfährt man erst dank Wikipedia Jahrzehnte später.
"Ich hasse und verachte Deutschland in genau dem Maße, in dem ich es liebe. Und in dem Maße, in dem es auf die Art von Liebe, die ich gerne für Deutschland empfinden würde, nicht eingeht." (frei nach Leonardo Sciascia)
Nie hätte ich trotz dieses Vorbehalts gedacht, dass eines Tages fast der gesamte deutsche Journalismus noch unter das Niveau der Drehscheibe sinken könnte.
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