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Mittwoch, 23. Mai 2018

Bei dem Wort Palästina geraten Europäer pede stante in Trance

Wenn bei einer Demonstration mehr als 50 Menschen ums Leben kommen, kann es nicht ausbleiben, dass dies das Top-Thema aller Nachrichtensendungen wird. Auch die Frage, ob Israel überreagiert hat, ob es nicht Möglichkeiten gegeben hätte, die von den Gaza-Palästinensern provozierten Zusammenstöße mit der israelischen Armee anders als mit scharfer Munition zu beantworten, ist völlig legitim. Nur lassen sich solche Fragen aus sicherer Entfernung leichter stellen und beantworten als aus einem Ort namens Nir Am, einem 1943 gegründeten Kibbutz an der Grenze zu Gaza, in dem etwa 100 Familien von der Landwirtschaft leben.
Von Nir Am aus liegt Gaza gleich um die Ecke, hier fragt man sich, was den Einwohnern des Dorfes geblüht hätte, wenn die Demonstranten es geschafft hätten, den Grenzzaun zu überwinden. Wollten sie nur mal das Community Center von Nir Am besuchen oder mit einem Linienbus nach Tel Aviv fahren, um dort am Strandleben teilzunehmen? Die Frage mag spekulativ klingen, die Antwort ist es nicht. Die Chance, einen solchen Angriff zu überleben, wäre etwa so groß wie die, bei einem Tsunami mit dem Leben davon zu kommen.
Nun hören und lesen wir überall, die Proteste der Palästinenser richteten sich erstens gegen die 70-Jahre-Feiern des Staates Israel, zweitens gegen die Anerkennung von Jerusalem als israelische Hauptstadt durch den US-Präsidenten und drittens gegen die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem. Und die „unverhältnismäßigen“ Reaktionen der Israelis wären dazu angetan, den „Friedensprozess“ zu beschädigen, ihn gar zugleich mit den vielen Todesopfern zu begraben.

Nur die Kanzlerin glaubt an eine Zwei-Staaten-Lösung

Das ist alles Unsinn. Außer der deutschen Kanzlerin glaubt niemand daran, dass es einen „Weg zum Frieden“ gibt, an dessen Ende eine „Zwei-Staaten-Lösung“ stehen würde. Weder die Israelis noch die Palästinenser sind an einer „Zwei-Staaten-Lösung“ interessiert. Die Israelis nicht, weil sie wissen, dass eine solche Lösung nur der formalisierte Anfang vom Ende wäre; die Palästinenser machen es immer wieder klar, dass sie sich keine Rückkehr zum Status quo ante von 1967, also vor dem Sechs-Tage-Krieg, wünschen, sondern ein Zurück zum Status quo ante von 1947/1948, also vor der Gründung des israelischen Staates.
Hinzu kommt, dass die Palästinenser nur „Staat spielen“, aber keinen haben wollen. Sie haben einen „Präsidenten“, eine Fahne, eine Hymne, eine Vertretung bei den UN, sie geben Empfänge, organisieren Konferenzen. Um alles Übrige – Schulen, Krankenhäuser, Müllabfuhr – kümmern sich internationale Organisationen, allen voran die 1949 gegründete UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, mittlerweile der zweitgrößte Arbeitgeber in der ganzen Region. In der Westbank machen sich über 1.000 NGO’s gegenseitig Konkurrenz. In Gaza, wo die Bevölkerung angeblich Not leidet, gibt es genug Geld für den Bau aufwendiger Tunnelanlagen und für die Ausrüstung der Hamas-Truppen mit Waffen und Uniformen, aber kein Geld für den Ankauf von Arznei- und Lebensmitteln, die von Israel geliefert werden.

So würde ein souveräner palästinensischer Staat aussehen

Gaza, oder wie man immer wieder lesen kann, „das größte Freiluftgefängnis der Welt“, ist ein Vorgeschmack darauf, wie ein souveräner palästinensischer Staat aussehen würde: Gewalttätig gegenüber der eigenen Bevölkerung und terror-friendly im Umgang mit seinen Nachbarn. Die Ägypter wissen das, die Israelis auch. Dass sich der wohl organisierte Zorn der Palästinenser nur gegen Israel richtet, hat einen einfachen Grund: Er lässt sich international besser als „Freiheitskampf“ vermarkten. Die Gaza-Palästinenser, so erklärte eine ARD-Korrespondentin vor kurzem die Lage, hätten „nichts mehr zu verlieren, nicht einmal ihr Leben“. Sie vergaß nur zu erwähnen, dass der Gaza-Streifen im Sommer 2005 von den Israelis komplett geräumt wurde und seit 2007 von der Hamas regiert wird.
Was also wollen die Palästinenser? Die Uhr der Geschichte zurückstellen? Die Israelis bewegen, sich einen anderen Platz in der Welt zu suchen? Präsident Trump zwingen, die US-Botschaft in Tel Aviv zu lassen? Für die Menschen im Gazastreifen, schrieb die sonst sehr israelkritische taz, sei es „völlig unwesentlich, wo die amerikanischen Diplomaten ihre Visaformulare unterzeichnen“.
Worum geht es also den Palästinensern, die sogar nach Meinung der taz „von ihrer skrupellosen Führung zu Kanonenfutter“ gemacht werden? Um den eigenen Bedeutungsverlust. Angesichts des Konflikts zwischen dem Iran und Saudi-Arabien verliert die Welt das Interesse am Schicksal der Palästinenser. Es sollte den Palästinensern zu denken geben, dass Saudi-Arabien das Existenzrecht Israels anerkennt und Bahrein den Israelis das „Recht auf Selbstverteidigung“ zugesteht. Und das ist erst der Anfang.

Trump muss man alles zutrauen

Wer den Palästinensern helfen möchte, sollte ihnen raten, den Realitäten ins Auge zu sehen. Es gab nie einen palästinensischen Staat, und Jerusalem war nie die Hauptstadt eines nicht vorhandenen palästinensischen Staates, dafür immer der spirituelle Kern eines extra-territorialen jüdischen Volkes. Niemand hat die Palästinenser und deren arabische Freunde bis zum Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 daran gehindert, einen palästinensischen Staat in der von Jordanien verwalteten Westbank mit Ostjerusalem als Hauptstadt auszurufen. Niemand wollte einen solchen Staat, nicht einmal die Palästinenser.
Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt ändert nichts an einem Zustand, der längst Wirklichkeit ist. Und die – erst einmal symbolische – Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem ist keine Trump’sche Idee, die der Präsident beim Golfspielen hatte, um sich bei seinen evangelikalen und jüdischen Wählern anzubiedern. Im Jahre 1995 hat der US-Congress mit dem „Jerusalem Embassy Act“ ein Gesetz beschlossen, das die US-Regierung dazu verpflichtet, ihr aber auch die Möglichkeit gibt, den Vollzug des Gesetzes auszusetzen. Dieses 23 Jahre währende Doppelspiel hat Trump nun beendet. Und außerdem ein Wahlversprechen eingelöst.
Dass ein Präsident nach der Wahl etwas tut, was er vor der Wahl versprochen hat, ist in der Tat ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig. Hätten sich die Medien nicht nur für Trumps Affären und seine schlechten Manieren interessiert, hätten sie es ahnen können.
Dem Mann ist jede Sauerei zuzutrauen.
Aus der Züricher Weltwoche

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