"Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt". Martin Heidegger
"Mir persönlich würde der Stand der Technik zu Aristoteles Zeiten völlig genügen. Aber gerade die Unvernunft der gegenwärtigen Entwicklung beweist ihre unwiderstehliche Macht. Siehe Tertullians Credo quia absurdum." Ernst Jünger (sinngemäß in "2 mal Halley")
2011 starb Vittorio De Seta und nun starb auch Ermanno Olmi. Meine beiden Lieblingsregisseure werden nie wieder einen Film drehen, aber ihr Werk bleibt und wird in der Zukunft sogar noch mehr Anerkennung finden als zu Lebzeiten dieser beiden Dokumentaristen.
Fast vierzig Jahre lang
hat ein Bauer aus einem kleinen Ort im Veneto in der totalen Einsamkeit
seines Ackers gelebt, ohne Strom, Gas oder Telefon. Bei seiner
persönlichen Suche nach einer Symbiose mit der Natur hat er sich bis zu
seinem Tod einzig von den Früchten seines Feldes ernährt und nur
selbstgenähte Kleider getragen. «L'uomo senza desideri» war zweifellos
das poetischste unter den verschiedenen Porträts von Bauern aus aller
Welt, die Ermanno Olmi in seinem Dokumentarfilm «Terra madre» (2009)
realisierte, vielleicht weil sich darin fast emblematisch das
ästhetische und persönliche Credo des Regisseurs widerspiegelt.
Fast fünfzig Jahre lang hat sich der italienische Altmeister mit beeindruckender Geschlossenheit dem antikommerziellen Kino verschrieben und die Kamera stets als Medium zur Untersuchung der Wirklichkeit konzipiert. Bei der Suche nach dem Authentischen in seinen Kinobildern grenzte sich Olmi von Beginn an von jeglicher Konvention der Filmindustrie ab, um seine eigene Motiv- und Bildsprache selbständig zu entfalten.
Italien im gesellschaftlichen Umbruch
Geboren
wurde Olmi am 24. Juli 1931 in Bergamo als Kind einer bäuerlichen und
katholischen Familie. Als junger Angestellter des Mailänder Unternehmens
Edisonvolta näherte er sich als Autodidakt dem kinematografischen
Medium und drehte zunächst einige Dokumentarfilme über die
Arbeitsverhältnisse in der Firma. Sein wiederkehrendes Motiv: der
allmähliche Niedergang der agrarischen Kultur durch die rasche
Entwicklung der industriellen Zivilisation und der anthropologische,
traumatische Wandel im Leben des Italieners aus dem Volk, der
zwangsweise vom Bauern zum Fabrikarbeiter wird.
Nach seinem ersten
Spielfilm, «Il tempo si è fermato» (1959), gründete Olmi seine eigene
Produktionsfirma und setzte mit «Il posto» (1961) und «I fidanzati»
(1963) seine eigenwillige Recherche über die Arbeitswelt fort. Der junge
und lebensfreudige Protagonist aus «Il posto», der aus dem Mailänder
Hinterland in die Grossstadt zieht, ist schliesslich als Botenjunge
einer anonymen Firma der tristen Welt der Angestellten ausgeliefert.
Unspektakuläre Alltagsgeschehen werden in langen und langsamen
Einstellungen festgehalten, diskret und einfühlsam werden Einblicke in
einfache Existenzen gegeben, die bei der Berührung mit der Entfremdung
und Isolation der modernen Arbeitswelt im Begriff sind, ihre Unschuld zu
verlieren. Und trotzdem sucht der Regisseur in den Gesichtern, den
Gebärden und den Verhaltensformen seiner Laiendarsteller nach Funken von
Lebensfreude, die die Kette der routinierten Gesten durchbrechen.
Mit
seinem humanistischen, durch einen tiefen christlichen Glauben
geprägten Blick bekannte sich Olmi als religiöser Künstler in der Ära
der säkularisierten Moderne, was ihm den Vorwurf einbrachte, von einer
altmodischen und rückwärtsgewandten Warte aus auf die Welt zu schauen.
Von Kritik und Publikum oft missverstanden oder sogar ignoriert, hielt
der Regisseur stetig an seinem Konzept fest und drückte 1965 in «E venne
un uomo», in dem Rod Steiger die Hauptrolle spielte, auf den Spuren von
Papst Johannes XXIII. seinen militanten Katholizismus aus.
Ablehnung der Fortschrittsideologie
Erst
1978 mit «L'albero degli zoccoli» wurde sein einfühlsames Zeugnis einer
durch die Industrialisierung bedrohten bäuerlichen Kultur international
anerkannt. Sein katholisches Lebensverständnis, das auch diesen Film
tief prägte, wurde expliziter in der Parabel «Cammina, cammina» (1983).
Nach dem Misserfolg des Films erkrankte Olmi schwer und musste fast fünf
Jahre lang seine Tätigkeit unterbrechen. In den beiden Filmen, die er
nach der langen Pause realisierte, spiegelt sich seine schmerzhafte
Erfahrung mit der Krankheit, aber auch seine nach wie vor vehemente
Ablehnung der herrschenden Fortschrittsideologie.
In
«Lunga vita alla signora!» (1987) erzählte der Regisseur 25 Jahre nach
«Il posto» erneut die Geschichte einer Initiation in der Arbeitswelt:
Der aus einem Bergdorf stammende fünfzehnjährige Libenzio wird für ein
Bankett zu Ehren einer mumifizierten und steinreichen Signora als
Kellner engagiert, erliegt fast den Ritualen einer sterbenden
Klassengesellschaft, kann sich jedoch durch Flucht deren Fluch
entziehen. Und auch in «La leggenda del santo bevitore» (1988) lässt
Olmi in einem der Zeit enthobenen Paris den verlorenen Protagonisten in
einem würdigen Tod Erlösung finden.
Parallel
zu seiner Lehrtätigkeit in der von ihm 1982 gegründeten Filmschule
Ipotesi Cinema realisierte Olmi als Regisseur mehrere Filmprojekte, die
seinen Ruf als Chronist eines Epochenwandels und einsamer Poet in einer
fremd gewordenen Welt bestätigten: «Il mestiere delle armi» (2000)
porträtiert den furchtlosen Ritter Giovanni Dalle Bande Nere, einen
illustren Heerführer der ausgehenden italienischen Renaissance, der in
seinem letzten Kampf an der Seite der päpstlichen Truppen gegen die
Armee von Karl V. von einer Kanonenkugel, der modernsten Waffe jener
Zeit, tödlich getroffen wird. Der «reine» Kämpfer Giovanni ist zum
Untergang verurteilt, sein edles Schwert ist gegen die neue
hinterhältige Waffe machtlos. Die in äusserster Strenge komponierten
Bilder machen es sicherlich dem heutigen Publikum nicht leicht. Dennoch
strahlen sie eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann. Marisa Buovolo in der NZZ
Auch ein Vorfahr der Familie Ginori diente im Heer von Giovanni de' Medici.
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