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Montag, 7. Mai 2018

Regisseur der Wahrhaftigkeit



"Die Aufklärung hat den Himmel verdunkelt". Martin Heidegger
"Mir persönlich würde der Stand der Technik zu Aristoteles Zeiten völlig genügen. Aber gerade die Unvernunft der gegenwärtigen Entwicklung beweist ihre unwiderstehliche Macht. Siehe Tertullians Credo quia absurdum." Ernst Jünger (sinngemäß in "2 mal Halley")

2011 starb Vittorio De Seta und nun starb auch Ermanno Olmi. Meine beiden Lieblingsregisseure werden nie wieder einen Film drehen, aber ihr Werk bleibt und wird in der Zukunft sogar noch mehr Anerkennung finden als zu Lebzeiten dieser beiden Dokumentaristen.





Fast vierzig Jahre lang hat ein Bauer aus einem kleinen Ort im Veneto in der totalen Einsamkeit seines Ackers gelebt, ohne Strom, Gas oder Telefon. Bei seiner persönlichen Suche nach einer Symbiose mit der Natur hat er sich bis zu seinem Tod einzig von den Früchten seines Feldes ernährt und nur selbstgenähte Kleider getragen. «L'uomo senza desideri» war zweifellos das poetischste unter den verschiedenen Porträts von Bauern aus aller Welt, die Ermanno Olmi in seinem Dokumentarfilm «Terra madre» (2009) realisierte, vielleicht weil sich darin fast emblematisch das ästhetische und persönliche Credo des Regisseurs widerspiegelt.





Fast fünfzig Jahre lang hat sich der italienische Altmeister mit beeindruckender Geschlossenheit dem antikommerziellen Kino verschrieben und die Kamera stets als Medium zur Untersuchung der Wirklichkeit konzipiert. Bei der Suche nach dem Authentischen in seinen Kinobildern grenzte sich Olmi von Beginn an von jeglicher Konvention der Filmindustrie ab, um seine eigene Motiv- und Bildsprache selbständig zu entfalten.

Italien im gesellschaftlichen Umbruch

Geboren wurde Olmi am 24. Juli 1931 in Bergamo als Kind einer bäuerlichen und katholischen Familie. Als junger Angestellter des Mailänder Unternehmens Edisonvolta näherte er sich als Autodidakt dem kinematografischen Medium und drehte zunächst einige Dokumentarfilme über die Arbeitsverhältnisse in der Firma. Sein wiederkehrendes Motiv: der allmähliche Niedergang der agrarischen Kultur durch die rasche Entwicklung der industriellen Zivilisation und der anthropologische, traumatische Wandel im Leben des Italieners aus dem Volk, der zwangsweise vom Bauern zum Fabrikarbeiter wird.

Nach seinem ersten Spielfilm, «Il tempo si è fermato» (1959), gründete Olmi seine eigene Produktionsfirma und setzte mit «Il posto» (1961) und «I fidanzati» (1963) seine eigenwillige Recherche über die Arbeitswelt fort. Der junge und lebensfreudige Protagonist aus «Il posto», der aus dem Mailänder Hinterland in die Grossstadt zieht, ist schliesslich als Botenjunge einer anonymen Firma der tristen Welt der Angestellten ausgeliefert. Unspektakuläre Alltagsgeschehen werden in langen und langsamen Einstellungen festgehalten, diskret und einfühlsam werden Einblicke in einfache Existenzen gegeben, die bei der Berührung mit der Entfremdung und Isolation der modernen Arbeitswelt im Begriff sind, ihre Unschuld zu verlieren. Und trotzdem sucht der Regisseur in den Gesichtern, den Gebärden und den Verhaltensformen seiner Laiendarsteller nach Funken von Lebensfreude, die die Kette der routinierten Gesten durchbrechen.
Mit seinem humanistischen, durch einen tiefen christlichen Glauben geprägten Blick bekannte sich Olmi als religiöser Künstler in der Ära der säkularisierten Moderne, was ihm den Vorwurf einbrachte, von einer altmodischen und rückwärtsgewandten Warte aus auf die Welt zu schauen. Von Kritik und Publikum oft missverstanden oder sogar ignoriert, hielt der Regisseur stetig an seinem Konzept fest und drückte 1965 in «E venne un uomo», in dem Rod Steiger die Hauptrolle spielte, auf den Spuren von Papst Johannes XXIII. seinen militanten Katholizismus aus.

Ablehnung der Fortschrittsideologie

Erst 1978 mit «L'albero degli zoccoli» wurde sein einfühlsames Zeugnis einer durch die Industrialisierung bedrohten bäuerlichen Kultur international anerkannt. Sein katholisches Lebensverständnis, das auch diesen Film tief prägte, wurde expliziter in der Parabel «Cammina, cammina» (1983). Nach dem Misserfolg des Films erkrankte Olmi schwer und musste fast fünf Jahre lang seine Tätigkeit unterbrechen. In den beiden Filmen, die er nach der langen Pause realisierte, spiegelt sich seine schmerzhafte Erfahrung mit der Krankheit, aber auch seine nach wie vor vehemente Ablehnung der herrschenden Fortschrittsideologie.
In «Lunga vita alla signora!» (1987) erzählte der Regisseur 25 Jahre nach «Il posto» erneut die Geschichte einer Initiation in der Arbeitswelt: Der aus einem Bergdorf stammende fünfzehnjährige Libenzio wird für ein Bankett zu Ehren einer mumifizierten und steinreichen Signora als Kellner engagiert, erliegt fast den Ritualen einer sterbenden Klassengesellschaft, kann sich jedoch durch Flucht deren Fluch entziehen. Und auch in «La leggenda del santo bevitore» (1988) lässt Olmi in einem der Zeit enthobenen Paris den verlorenen Protagonisten in einem würdigen Tod Erlösung finden.
Parallel zu seiner Lehrtätigkeit in der von ihm 1982 gegründeten Filmschule Ipotesi Cinema realisierte Olmi als Regisseur mehrere Filmprojekte, die seinen Ruf als Chronist eines Epochenwandels und einsamer Poet in einer fremd gewordenen Welt bestätigten: «Il mestiere delle armi» (2000) porträtiert den furchtlosen Ritter Giovanni Dalle Bande Nere, einen illustren Heerführer der ausgehenden italienischen Renaissance, der in seinem letzten Kampf an der Seite der päpstlichen Truppen gegen die Armee von Karl V. von einer Kanonenkugel, der modernsten Waffe jener Zeit, tödlich getroffen wird. Der «reine» Kämpfer Giovanni ist zum Untergang verurteilt, sein edles Schwert ist gegen die neue hinterhältige Waffe machtlos. Die in äusserster Strenge komponierten Bilder machen es sicherlich dem heutigen Publikum nicht leicht. Dennoch strahlen sie eine Faszination aus, der man sich kaum entziehen kann.  Marisa Buovolo in der NZZ

Auch ein Vorfahr der Familie Ginori diente im Heer von Giovanni de' Medici.

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