Zu allen Präsidialsystemen gehört das Theatralische: Der Staatschef
inszeniert sich, zeigt seine Tatkraft und Entschlossenheit. Wladimir
Putin maßregelt öffentlich Oligarchen und Gouverneure, Donald Trump
präsentiert im Fernsehen die Unterzeichnung eines jeden seiner Erlasse.
Der Subtext lautet immer: Ich leite dieses Land, ich entscheide, ich
sorge für Ordnung. In Deutschland ist das unbekannt. Zum Inkrafttreten
eines Gesetzes nimmt die Kanzlerin so gut wie nie Stellung. Allenfalls
sprechen die Vorsitzenden der betreffenden Ausschüsse oder ihre ebenso
unbekannten Stellvertreter.
Das eine System setzt auf konkrete Verantwortlichkeit, das andere auf
weitgehend anonyme Verfahren. Das eine stärkt das Vertrauen in die
Handlungsfähigkeit der Regierung, das andere in die Mitwirkung der
Abgeordneten. Das eine betont den individuellen Charakter politischer
Führung, das andere die Herrschaft des Kollektivs.
Lange schienen beide Systeme gleich leistungsfähig. Nun allerdings
sind die Unterschiede nicht mehr zu übersehen. Im parlamentarischen
Ausschußwesen diffundiert die persönliche Verantwortlichkeit der
Minister. Niemand ist für nichts verantwortlich. So kommt Politik an ein
Ende.
Passiert ist nichts
Deutlich wird das an der Unwilligkeit, selbst klar erkannte Mißstände
abzustellen. Schon vor Jahren kritisierte der frühere Innenminister
Thomas de Maizière (CDU) die innereuropäische Einwanderung in die
Sozialsysteme, ebenso taten es Andrea Nahles (SPD) und die CSU. Passiert
ist nichts. Die aktuelle Gesetzeslage, wonach auch Einwanderer, die
lediglich ein oder zwei Stunden pro Tag arbeiten, in den vollen Genuß
von Hartz-IV-Aufstockung, Kindergeld und sonstigen Leistungen kommen,
gilt weiterhin.
Dabei fordert der Deutsche Städtetag immer und immer wieder,
„geringfügig Beschäftigte“ von der großzügigen Sozialversorgung
auszunehmen. Hinzu kommen, jenseits des legalen Mißbrauchs, die Schäden
in Millionenhöhe, die kriminelle Vermieter und osteuropäische Banden mit
Scheinarbeitsverträgen verursachen.
Laut Medienberichten soll sich inzwischen ein regelrechter
Betrugs-Tourismus etabliert haben: Zu ihren Terminen auf deutschen
Ämtern werden die Antragsteller per Bus gekarrt, mit Mehrfachidentitäten
auch zu verschiedenen Sozialstellen an einem Tag. Von den „Erträgen“
erhalten sie ein paar hundert Euro; den Löwenanteil kassieren
Hintermänner.
Blauäugige Bundesrepublik
Doch diesen Mißstand abstellen? Nicht in Deutschland. Selbst die
marginale Korrektur eines Gesetzes scheint innerhalb einer
Legislaturperiode nicht möglich, sofern EU oder Ausländer betroffen
sind. Die „Ehe für alle“ wurde in wenigen Tagen durchgepeitscht;
Gesetzeslücken mit EU-Bezug, die jedes Jahr Millionen Euro kosten,
bleiben ungeschlossen.
Denn ebenso ist es beim Kindergeld für EU-Angehörige, die in
Deutschland arbeiten, aber ihre Kinder in der Heimat belassen. Warum
Kinder, die keinen Bezug zu Deutschland haben und hier keine Kosten
verursachen, überhaupt vom deutschen Steuerzahler alimentiert werden
müssen, weiß niemand. Über 400 Millionen Euro pro Jahr überweist die
deutsche Regierung derzeit ins Ausland, wobei erhebliche Zweifel
bestehen, ob alle der angegebenen Kinder überhaupt existieren. So
plündern andere EU-Staaten mit Wissen und Willen der EU die hiesigen
Sozialkassen.
Doch hier wie in anderen Fällen: Das Parlament tut nichts. Die
Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen durch Migranten unter falscher
Identität ist ein Dauerproblem, ebenso ist es die Schummelei bei der
Altersangabe. Dennoch wird, trotz hoher Mehrkosten für die Betreuung
Minderjähriger, keine verpflichtende Altersfeststellung festgeschrieben.
Jedes afrikanische Land nimmt bei der Einreise von Fremden
Fingerabdrücke, nicht aber die Bundesrepublik. Blauäugig verzichtet sie
auch auf Feststellung des mitgeführten Vermögens wie auf das Auslesen
der Handys zur Identitätsüberprüfung.
Untätigkeit trotz Warnungen
Und nichts geschah beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf). Weit vor dem aktuellen Korruptionsskandal gab es zahlreiche
Hinweise auf systemische Mängel, auf wohlwollend extensive
Rechtsauslegung, schlampige Tatsachenfeststellung und korrupte
Dolmetscher. Einige Außenstellen hatten auffallend hohe
Anerkennungsquoten, es gab hausinterne Warnungen. Doch nicht einmal
Disziplinarverfahren änderten den Stellenplan, die Verdächtigen blieben
an ihren Plätzen.
Wie der Berliner Attentäter Anis Amri 14, andere Zuwanderer sogar
mehr als 20 Identitäten erschleichen konnten, ist bis heute ungeklärt;
ebenso die Posse um den als syrischer Flüchtling anerkannten
Bundeswehrsoldaten Franco A. Keiner der Bamf-Chefs griff ein, die
Politik versagte komplett. Dem staatlichen Kontrollverlust an der Grenze
folgte der staatliche Kontrollverlust in den Amtsstuben. Und immer
politisch verantwortlich: der Innenminister und die Kanzlerin.
Doch niemand trat zurück, niemand wurde gefeuert, kein straffes,
betrugsfestes Verfahren eingeführt. Jahrelang schaute das Parlament weg,
die Behörde wurstelt weiter. So wurde auch nach Monaten nicht einmal
ein Prozent der zweifelhaften Asylbescheide überprüft. Während Trump
oder Putin jedes Behördenversagen zum Thema machen und schon dadurch das
Vertrauen der Bürger in die politische Führung stärken, steht die
Bundesrepublik still.
Dieser Stillstand stellt nicht nur die Leistungsfähigkeit des
Parlamentarismus in Frage; er erschüttert auch den Glauben an die
„Legitimation durch Verfahren“. Wenn die Herren des Verfahrens dem
Verfahren ausweichen, kommt auch der Luhmannsche Legitimationsprozeß an
sein Ende. Seine Umkehrung beschreibt den aktuellen Zustand:
Illegitimität durch Verfahrensverzicht.
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Dr. Nicolaus Fest ist Jurist und Journalist. Der
frühere stellvertretende Chefredakteur der Bild am Sonntag trat in
Berlin für die AfD zur Bundestagswahl an.
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