Stationen

Dienstag, 22. Mai 2018

„Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!“




Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland. Dieses Bibelzitat scheint zunächst verlockend, gilt es, die aktuelle Stellung von Max Otte zu verdeutlichen, der durch sein 2006 veröffentlichtes Buch über die kommende Weltfinanzkrise als „Crash-Prophet“ reüssierte. Bereits vor genau zwanzig Jahren hatte er in seiner Probevorlesung an der Boston University vor dem Euro gewarnt – doch nur 35 Bundestagsabgeordnete hatten in der entscheidenden Abstimmung am 23. April 1998 den Mut, mit Nein zu votieren.
Besonders bitter für das langjährige CDU-Mitglied und den ehemaligen Stipendiaten der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung: Nur drei Abgeordnete der Unionsfraktion stimmten gegen die Euro-Einführung. Auch jetzt trotzt Otte der Parteilinie: Den Brexit hält er für einen europäischen „Glücksfall“. Als Mitglied der WerteUnion innerhalb der CDU/CSU beteiligte er sich auf der jüngsten Jahreshauptversammlung an der Verabschiedung eines „konservativen Manifests“ und unterstützt die Forderung nach einem Rücktritt Angela Merkels.
Verstörend für den deutschen Mainstream war auch sein Votum für die AfD zur jüngsten Bundestagswahl. Hierfür wurde er von mehreren Seiten attackiert. Manch Anleger verkaufte aus Protest seine Anteile an Ottes Vermögensfonds. Der Nachrichtensender n-tv etwa strich drei vereinbarte Interviewtermine – nach 17 Jahren erfolgreicher Zusammenarbeit.
„Abgrenzung, Ausgrenzung, Isolation“
Dabei ist die Methode, Euro-Kritiker in ihrer wirtschaftlichen Existenz zu treffen, nicht neu: Leitmedien wie FAZ oder Welt, die von Werbeeinnahmen der etablierten Finanzdienstleister abhängig sind, werfen unabhängigen Finanzexperten wie Max Otte gern vor, leichtgläubige Anleger anzulocken, welche erst durch sie „verunsichert“ worden seien, damit jene ihnen ihr Erspartes anvertrauen. Daß viele Produkte der Finanbranche zu einem Totalverlust beim Sparer führen können und die vom Steuerzahler subventionierte Riesterrenten vor allem deren Anbieter reich machen, wird dabei unterschlagen.

Auf die Anfeindungen angesprochen, gibt sich der CDU-„Dissident“ Otte, der die feste Absicht hat, in der CDU zu bleiben und dort zu wirken („schon mein Vater war überzeugter Christdemokrat“), im persönlichen Gespräch zuversichtlich: Mittlerweile habe er etliche Leute kennengelernt, die ebenso unter der „Meinungsquarantäne“, der Trias von „Abgrenzung, Ausgrenzung, Isolation“ litten. Dies stimmt ihn frohgemut. Inzwischen „infiziere“ er andere, die nun ihrerseits aus der alternativlosen Merkel-Politik ausscherten. Nur konsequent ist daher seine Unterschrift als Erstunterzeichner der „Erklärung 2018“ gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung.
Die Zeit indes kritisierte in einem Otte-Porträt die Titel des „umstrittenen“ Kopp-Verlages in dessen Buchregal. „Wer außer Kopp hat denn Brzeziński gebracht? Oder Greenhill?“, entgegnet Otte. Gemeint sind der lange vergriffene Titel „Die einzige Weltmacht“ des einstigen US-Präsidentenberaters Zbigniew Brzeziński und „Massenmigration als Waffe“, das Werk der US-Politologin Kelly Greenhill. Der Verleger Kopp habe sich eindeutig „um die Meinungsfeiheit verdient gemacht.“ Dies sei notwendig, da durch die derzeitige Berichterstattung bei vielen wichtigen Themen ein „verzerrtes Bild“ entstehe, „irgendwann weiß der Bürger gar nicht mehr, woran er ist.“
Spengler als Hausphilosoph
Der hier anklingende Pessimismus scheint Otte derweil vertraut, steht doch das Lebensmotto seines Hausphilosophen Oswald Spengler auch für die eigene Maxime, die da lautet: „Optimismus ist Feigheit.“ Dabei dürfte dies nur ein anderer Ausdruck für einen geerdeten Realitätssinn sein. Wer, wie Otte, den „Untergang des Abendlandes“ zu seiner prägenden Lektüre zählt, neigt also zu deutlichen Warnungen, wie seine jüngste Streitschrift „Rettet unser Bargeld!“ Dort ist als Zitat ein Auszug aus der Offenbarung des Johannes (Kap. 13,11 u. 16-17) vorangestellt. Doch das Jüngste Gericht läßt auf sich warten. Vielleicht denkt das Mitglied der WerteUnion doch zumindest metaphorisch an die Lösung „TNT“ von AC/DC? Immerhin sind diese eine seiner Lieblingsbands.
Tatsächlich hatte selbst der AfD-Unterstützer der ersten Stunde Hans-Olaf Henkel – der jetzt Ottes Wahlempfehlung für die „nationalistische“ AfD kritisierte – bei seiner Buchvorstellung über die „Euro-Lügner“ mit Blick auf Merkel den Artikel 20 des Grundgesetzes erwähnt, der die „Rechtfertigung für einen politischen Stauffenberg“ in unserer Gegenwart sein könne.
Damals, im Jahr 2013, verstand Henkel seine Buchvorstellung noch als explizite Wahlkampfhilfe für die AfD.

Da scheint der passionierte Rockmusiker Otte, der privat in einer Status-Quo-Cover-Band aktiv war, weit entspannter, wie sein witziger „Mörkel Blues“ zeigt, den er in der NDR-Sendung „DAS!“ verschmitzt zum besten gab und der humorvoll das finanzpolitische Dilemma auf den Punkt brachte. Auf der Höhe der Zeit zeigt sich Otte auch bei seiner im Netz abrufbaren Cover-Fassung von Stings „Russians“ von 1985, das in der Spätphase des Kalten Krieges zur Verständigung aufrief.
Otte besitzt auch die US-Staatsbürgerschaft
Doch sind musikalische Auftritte Ottes eher eine Ausnahme, wie etwa bei seiner ersten Teilnahme an einer Demonstration überhaupt, bei der Initiative „Pro Bargeld pro Freiheit“ am 14. Mai 2016 vor der Frankfurter Hauptwache, wo Otte Reinhard Meys Lied „Sei wachsam“ vortrug und daran erinnerte, die eigene Freiheit zu benutzen, denn: „Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!“ Sein Engagement als Initiator der Petition „Rettet unser Bargeld!“, zusammen mit einer Partnerinitiative, erreichte über 80.000 Unterschriften und führte zur Begegnung mit Peter Boehringer, heute haushaltspolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.

Wer die an Verstand und Vernunft appellierenden Bundestagsauftritte Boehringers kennt, schätzt es vielleicht um so mehr, wenn dieser Otte als einen „angenehmen Menschen mit hoher charakterlicher Integrität und Mut“ beschreibt. Entsprechend brandet auch der Applaus auf, als Otte Anfang des Jahres auf Einladung Boehringers im Jakob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages vor der Desiderius-Erasmus-Stiftung spricht und erklärt: „Wenn man die Werte der CDU vertritt, muß man heute AfD wählen.“ Dabei hätten der Bruch und die Häutungen „die Partei gestärkt“.
Wenn Otte hier über geopolitische Umbrüche spricht, ist dies nichts Neues, treiben ihn diese Fragen doch seit je um, wie bereits seine Promotion „A Rising Middle Power? – German Foreign Policy in Transformation“ anzeigte, die er im Doktorandenprogramm des späteren US-Notenbankchefs Ban Bernanke verfaßte. Auch beim legendären Paul Volcker, Bernankes Vorvorgänger, studierte er. In Princeton lernte er auch einige der US-Chefdenker kennen – und erwarb 2005 zusätzlich die US-Staatsbürgerschaft, ohne sich dadurch verbiegen zu lassen, wie heute seine deutliche Kritik an der US-Politik und der Finanzindustrie beweist.
Pragmatische Haltung zu Trump
Dabei scheint manchmal nicht ganz klar, ob Otte nur kokettiert, wenn er etwa zwei schwarzrotgoldene Manschettenknöpfe aus dem Shop des Deutschen Museums München in die Runde hält als „Zeichen meiner extremen Gesinnung“:
Daß diese dort nicht mehr verkauft würden, habe „natürlich Methode“. Begriffe wie „Populismus“ und „Verschwörungstheorie“ sind für ihn „Mainstream-Unwörter“. Spöttisch erinnert er an den griechischen Historiker und „ersten“ Verschwörungstheoretiker Thukydides, der erkannt hatte: „Die Starken machen, was sie wollen, und die Schwachen erleiden, was sie müssen.“
Den neuen US-Präsidenten sieht das bekennende Mitglied der US-Republikaner pragmatisch: Wenngleich Donald Trump ein „Selbstdarsteller und Trampeltier“ sei, ein „volatiler Charakter“, der keine Menschen führen könne, zeichneten ihn „Grundüberzeugungen“ aus, die ihn zu einer besseren Wahl machten als es Hillary Clinton gewesen wäre.

Bei letzterer hätten wir nach Ottes Analysen längst einen heißen Syrienkrieg oder Schlimmeres. Von den Schriften Robert Gilpins geprägt, sieht Otte die Weltgeschichte in hegemonialen Zyklen ablaufen, wobei der jeweilige Hegemon seinen Anspruch immer aggressiver verteidige. Dennoch taugten die USA in ihrer unilateralen Interessenpolitik auch als Vorbild: Deutschland solle sich davon verabschieden, immer die Welt retten zu wollen.

Neues Hambacher Fest
Denn uns stünden existentielle Herausforderungen bevor, nicht nur die Bewältigung der Masseneinwanderung oder die anhaltende Entwertung der privaten Sparvermögen und Lebensversicherungen. Angesichts der globalen Entwicklungen sei ein weiterer Kollaps unausweichlich, der die Finanzkrise 2008/09 in den Schatten stellen wird.
Vorerst aber wirft ein positives Ereignis seine Schatten voraus: Ottes Aufruf zur „Patriotenwanderung“, als Auftakt des von ihm initiierten Neuen Hambacher Festes am 5. Mai 2018. Dabei scheint es, als ruhe der rock’n‘rollende Otte dadurch in sich, daß er beständig in Bewegung ist. So endet sein „Mörkel Blues“ mit den Zeilen: „I got financial crisis blues / I got to pack my bags and go / I had to leave my hometown / no one want me no more.“
Daß er dabei nicht allein wandern muß, garantiert die „Performance“: Entspricht doch die Zahl der Anmeldungen hierzu der einer dreifach überzeichneten Aktie. Statt „Highway to Hell“ werden diesmal aber Volkslieder und Klassiker von 1832 und 1848/49 erklingen, verrät der Mann, der eigentlich gar kein „Crash-Prophet“ sein will.   Christian Dorn







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