Campino, Frontmann der Toten Hosen, darf sich Hoffnungen auf das
Bundesverdienstkreuz machen. Vorgeschlagen hat ihn der neue
Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, so großartig fand er des
Sängers Einspruch gegen die Rapper Kollegah und Farid Bang bei der
„Echo“-Verleihung. Campinos politisches Wirken währt jedoch schon länger
und umfaßt viel mehr als die Schelte an den zwei bösen Buben.
Im März 2017 war er bei einem – spärlich besuchten –
Anti-Pegida-Konzert in Dresden dabei. Befragt nach der Meinungsfreiheit
der Andersdenkenden sagte er grinsend: „Ja, wir respektieren die ja
doch. Keiner von uns ist rübergelaufen und hat denen auf die Fresse
gehauen, wie es sich eigentlich gehört!“ Der Halbstarken-Jargon sollte
dem Publikum wohl beweisen, daß der Mittfünfziger mit dem Punk-Rebellen
aus den 1980er Jahren identisch ist, der Konventionen respektlos
überschreitet.
Vor allem aber bezeugte er eine politisch-intellektuelle Stagnation
im Stadium der Spätpubertät, was in Zeiten rasanter politischer
Veränderungen eine effektive Regression darstellt. Die eigene
Schwundstufe ungeniert in die Öffentlichkeit zu tragen, hat sich für
Campino als ein erfolgreiches Geschäftsmodell im Kampf um die Ressource
Aufmerksamkeit erwiesen.
Das Konzert als Sportpalast
Campino ist in den Schlagzeilen, wenn er mit den Toten Hosen die von
Pro Asyl angeregte Anti-Rassismus-Kampagne „Wegschauen heißt mitmachen“
unterstützt. Im vergangenen Jahr wollte er die Schlagersängerin Helene
Fischer per Interview auf Kurs bringen und forderte sie auf, sich
öffentlich gegen Rechts und die AfD zu erklären. Während der
Koalitionsverhandlungen appellierte er an die Parteien, „daß Frau Merkel
weiter Kanzlerin bleiben soll“. Er sieht in ihr die neue Mutter
Germania, denn: „Diese Person auszutauschen, das wäre für mich das
Zeichen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich selber zerlegen
möchte.“
2014 offenbarte er in einem Interview sein musikalisches Credo: „Ich
habe es immer so verstanden, daß wir die Kampfmusik sind für die, die
gegen Rechtsextremismus sind. (…) Plötzlich schreien nicht 20 Leute
‘Nazis raus!’, sondern 20.000. Das berührt dann schon, das Gefühl zu
haben, ich bin hier nicht alleine, die denken auch so.“ Wow! Das Konzert
als Sportpalast und der Sänger als Anheizer im Aufstand der
Anständigen, die den Unanständigen den totalen Krieg erklären! Bloß, wo
bleiben das Innovative, der Regelverstoß, das Aha-Erlebnis, der
künstlerischer Mehrwert?
Informelle Staatsideologie
Die etablierten Parteien von der Linken bis zur CSU, die Kirchen,
Gewerkschaften, die Justiz, die Medien, der Kulturbetrieb, der
Verfassungsschutz, die sogenannte Zivilgesellschaft – alle können
einträchtig mitschunkeln, wenn Campino seine Sicht auf Deutschland
intoniert: „Wenn ein Mensch aus einem anderen Land/ Ohne Angst hier
nicht mehr leben kann/ Weil täglich immer mehr passiert/ Weil der Haß
auf Fremde eskaliert …“
Der „Kampf gegen Rechts“ und „Fremdenfeinde“ ist zur informellen
Staatsideologie der Bundesrepulik geworden, die den Meinungspluralismus
sukzessive zerstört und die Denunziation zur staatsbürgerlichen Tugend
erhebt. Statt seine Argumentations- und Handlungsmuster subversiv zu
unterlaufen, bestätigen die Toten Hosen ihn und kitzeln beim Publikum
standardisierte Reaktionen heraus.
Solche staatsnahe Kunst gehört in die Abteilung Reklame, Agitation
& Propaganda. Campino und die Toten Hosen sind damit nicht alleine.
Gemeinsam mit BAP, Grönemeyer, Westernhagen, den Prinzen und vielen
anderen surfen sie auf der Welle des politisch-korrekten Zeitgeistes.
Sie sind hineingewachsen in eine Rolle, die bis 1989 als Merkmal und
Relikt des real-existierenden Sozialismus galt: in die des
Staatskünstlers.
Profiteure staatlicher Kulturförderung
Nun kann niemand, auch kein Rocker oder Punker, in einem Staat leben
und gleichzeitig gänzlich frei von ihm sein. Deshalb muß man den Toten
Hosen auch nicht vorwerfen, daß sie von der staatlichen Kulturförderung
profitieren. Für Auftritte in Taschkent (Usbekistan) und Almaty
(Kasachstan) wurden ihnen 2011 insgesamt 68.793 Euro bewilligt mit der
Begründung, das Auswärtige Amt fördere „in Einzelfällen auch
Kunstprojekte direkt, wenn außenpolitische Erwägungen und auch das
Projektvolumen dafür sprechen“.
Staatskünstlertum umfaßt mehr. Es bedeutet, sich mit der Staatsmacht
zu verbünden, ihre politischen Dogmen zu propagieren, daraus Resonanz
und Vorteile zu ziehen und darüber die künstlerische Autonomie
aufzugeben. Eben das hatte man den Künstlern in der DDR nach 1989
vorgeworfen: Sie seien Staats-, Hof- oder Auftragskünstler gewesen.
Der Vorwurf traf Rockmusiker wie die Puhdys, die sich an staatlich
organisierten Veranstaltungen wie „Rock für den Frieden“ beteiligt
hatten. Er richtete sich gegen Schriftsteller, Regisseure und Bildende
Künstler. Berühmtheit erlangte die Ansage des Malers Georg Baselitz,
seine DDR-Kollegen seien „Arschlöcher“. Der Direktor des Kölner
Ludwig-Museums ergänzte, ihren Bildern sei die Kollaboration mit dem
totalitären Staat „wie Gift eingeimpft“.
Es geht um Vorteile
Diese Pauschalierung war Blödsinn, denn es gab in der DDR den offenen
wie den versteckten Widerstand. Es gab sogar politische Betonköpfe, die
in Konflikt mit der Staatspartei gerieten, weil ihr künstlerisches
Talent sich verselbständigte und ihre dogmatischen Beschränkungen
aufsprengte. Auch Schweigen konnte Widerstand bedeuten.
Natürlich gab es Opportunismus und Kollaboration bis hin zur puren
Staatskunst. Die Gründe für die Anpassung waren oft ganz banal. Als 1979
im DDR-Schriftstellerverband über den Rauswurf SED-kritischer Autoren
abgestimmt wurde, sagte Stefan Heym an die Adresse seiner Kollegen: „Wir
alle wissen, was für den einzelnen von seinem Votum abhängt: Westreisen
und Stipendien, Auflagen und Aufführungen, Verfilmungen und Preise
aller Art. Ich werde es keinem übelnehmen, wenn er, in Erwägung solcher
Vorteile, für meinen und der anderen Kollegen Ausschluß stimmt.“
Die Situation ist heute ähnlich. Es geht um die Plazierung in der
Presse und in den Kulturmagazinen der öffentlich-rechtlichen Medien, um
Einladungen in Talkshows, um die Gelegenheit, das neue Album
vorzustellen und die nächste Tournee anzukündigen. Es geht um die
Einladung ins Goethe-Institut nach Schanghai und um Stipendien für die
Villa Massimo in Rom und die Villa Aurora in Kalifornien.
Bundesverdienstkreuz passende Auszeichnung für Campino
Ein besonderes Kapitel bildet die staatliche und
öffentlich-rechtliche Filmfinanzierung. Fast jede „Tatort“-Folge ist ein
Kampfplatz gegen Rechts. Jedenfalls wird man die politischen Äußerungen
von Künstlern immer im Kontext des Abhängigkeitsgeflechts sehen müssen,
in dem sie sich befinden. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff,
2013 als Büchnerpreisträgerin hochgerühmt, geriet 2014 nach ihrer Kritik
an der Reproduktionsmedizin so stark unter Druck, daß sie sich zur
öffentlichen Selbstkritik genötigt sah, um ihre Position im
Kulturbetrieb zu retten.
Es wäre pharisäerhaft und lebensfremd, solche Anpassungsleistungen
zum Zweck des gesellschaftlichen und sozialen Selbsterhalts zu
verdammen. Etwas anderes ist es, wenn man mit voller Berechnung als
Künstler seine öffentliche Wirkung aus der Propagierung der
Regierungspolitik und der Diffamierung ihrer Gegner bezieht. Es ist
erschreckend, wie die rüpelhaft-moralisierende Redeweise von Rocksängern
bruchlos mit der Regierungspolitik korrespondiert.
Es ist zugleich folgerichtig. Die Bundesrepublik, die 2015 im Zuge
der Flüchtlingskrise – in den Worten des britischen Historikers Anthony
Glees – eine Regression zum „Hippiestaat“ vollzog, hat in der Gestalt
eines spätpubertären Alt-Rockers den passenden Repräsentanten gefunden.
Das Bundesverdienstkreuz steht Campino auf jeden Fall zu. Thorsten Hinz
So kann es nicht weitergehen. Es geht nicht mehr so weiter, es muss etwas geschehen, damit Deutschland kein "mieses Stück Scheiße" voller toter Hosen mehr bleibt. Ein solches ist es nämlich im Moment. Claudia Roth trifft manchmal den Nagel aus Versehen auf den Kopf. Sie weiß es nur nicht.
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