... um die rechtswidrigen und
wahrscheinlich organisiert kriminellen Vorgänge in der Außenstelle des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Bremen verdecken
etwas: den eigentlichen Skandal. Und der besteht darin, dass seit 2015
das gesamte BAMF umgebaut wurde: von einem unabhängigen Amt mit
Kontrollfunktion zu einer politischen Erfüllungsbehörde.
Und das nicht nur mit dem Wissen des Kanzleramts. Das Kanzleramt selbst
setzte die Politik Angela Merkels im Zuge eines Staatsumbaus durch.
Dazu eine kurze Chronologie:
Schon vor der Grenzöffnung am 4.
September 2015, nämlich am 20. August, ließ der damalige BAMF-Präsident
Manfred Schmidt folgendes Schreiben an die Beamten schicken:
„Herr
Präsident hat entschieden, dass ab sofort keine Übernahmeersuche für
syrische Antragsteller mehr gestellt werden. Dublin wird faktisch für
Syrer ausgesetzt. Die faktische Aussetzung von Dublin für Antragsteller
aus Syrien wird nicht öffentlich kommuniziert.“
Das
bedeutete: Wer angab, aus Syrien zu stammen, wurde ab diesem Zeitpunkt
nicht mehr in das Land zurückgeschickt, das er in Europa als erstes
betreten hatte, so, wie es die Dublin-Verordnung vorsah („keine Übernahmeersuche“).
Damit war das Dublin-Abkommen – ein EU-weites Abkommen – faktisch schon
durchlöchert, ohne dass die europäischen Partner, der Bundestag und die
Öffentlichkeit davon erfuhren, geschweige denn, dass jemand zugestimmt
hätte. Trotz des formalen Stillschweigens sprach sich unter den
Migranten auf der Balkanroute schnell herum, dass es an der deutschen
Grenze keine Zurückweisungen mehr gab und auch keine Versuche, Migranten
wieder zurückzuschicken, solange sie angaben, Syrer zu sein.
Die
so genannte Grenzöffnung vom 4. September 2015 weitete das Verfahren
dann einfach nur auf alle Migranten aus. Zur Erinnerung: damals kamen
etwa die Hälfte der hereinströmenden Menschen aus den Westbalkanstaaten,
in denen weder Krieg noch systematische Verfolgung herrschten. Und es
stammte seinerzeit schon eine große Anzahl von Einwandern aus den
Maghreb-Staaten. Nur ein Viertel – jedenfalls ihrer Erklärung nach – aus
Syrien. Die Bundespolizei hatte auf mündliche Anweisung des damaligen
Innenministers Thomas de Maiziere vom 13. September grundsätzlich
niemand mehr an der Grenze zurückzuweisen, der Asyl begehrte. Die
Anweisung, die praktisch den Artikel 16.2 des Grundgesetzes aushebelt, gilt bis heute.
Am
17. September 2015 trat der damalige Präsident des BAMF Manfred Schmid
zurück, weil er sah, dass sein Amt nicht im mindesten für eine derartige
Migrantenwelle vorbereitet war, die der Grenzöffnung folgte. An dem
eigentlich zuständigen Bundesinnenminister vorbei installierte der Chef
des Bundeskanzleramtes Peter Altmaier am 18. September den Chef der
Bundesagentur für Arbeit Frank-Jürgen Weise als vorübergehenden „Leiter
des BAMF“ (das Amt des Präsidenten wurde vorübergehend abgeschafft, denn
rechtlich durfte Weise kein zweites bezahltes Amt neben der Führung der
BA ausüben. Nach seinem offiziellen Ausscheiden Ende 2016 wurde Weise
zum „Beauftragten des Innenministeriums“ ernannt und bekam für seine
Tätigkeit zusätzlich zu seinen Amtsbezügen der BA ein Honorar von
insgesamt 83 000 Euro).
Weises erste und eigentliche Handlung
bestand darin, zum einen meist gering qualifizierte neue Mitarbeiter mit
Teilzeitverträgen in das BAMF zu holen, und zum anderen die
Neuorganisation der Behörde praktisch an die Beratungsfirma McKinsey zu
übertragen. Auf der Personalversammlung der BAMF-Mitarbeiter am 12.
Dezember 2015 fragte der Vorsitzende des Örtlichen Personalrats Gernot
Hüter rhetorisch:
„Bevorzugt man im Bundesamt vielleicht
neuerdings die Personalgewinnung von Betriebswirtschaftlern und
Controllern, weil man das Asylverfahren perspektivisch mehr nach
betriebswirtschaftlichen Gründen denn rechtlichen Normen ausrichten
will?“
Genau so kam es: Für ein Honorar von 42,6 Millionen
Euro strukturierten die McKinsey-Leute das Amt völlig um. Im Mittelpunkt
stand nicht mehr die Prüfung von Identitäten und Asylbegründungen,
sondern die schnelle Abarbeitung der Fälle durch positive Bescheide –
also per Durchwink-Verfahren. Als beste Abteilungen und Außenstellen im
BAMF galten nun diejenigen, die am effizientesten Anerkennungen
erteilten.
In seinem Brief vom 28. Mai 2018 fasst der Personalrat des BAMF die bis heute geltende Praxis zusammen:
„Wir
hätten nun im Rahmen von Rücknahme- und Widerrufverfahren die
Möglichkeit, die Asylverfahren in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu
überprüfen. Wir reden von Hunderttausenden von Verfahren, in denen
mutmaßlich die Identität nicht belegt wurde; dies betrifft nicht nur die
Anerkennungen mittels Fragebögen. Diese Möglichkeit wird jedoch – wie
uns zahlreiche Entscheider berichten – aktuell mittels Dienstanweisungen
verhindert. So sollen Personen mit Flüchtlingsschutz zweimal zu einem
Gespräch geladen werden, das jedoch ausdrücklich freiwillig sein soll.
Wer zweimal dem Gesprächsangebot nicht nachkommt, bekommt einen
positiven Vermerk. Es gibt die ausdrückliche Anweisung, ‚Papiere nicht
anzufordern’.“
Also:
• Unterlagen zur Identitätsüberprüfung dürfen ausdrücklich nicht angefordert werden.
• Gerade die Asylbewerber, die sich konsequent einem Gespräch entziehen, werden mit einem positiven Vermerk belohnt.
• Faktisch
ist die Beweislast umgekehrt: nicht der Asylberechtigte muss seine
Verfolgung belegen, nicht der Kriegsflüchtling seine Herkunft aus einem
Kriegsgebiet, es muss niemand seine Identität nachweisen – sondern die
BAMF-Mitarbeiter müsste ihm theoretisch das Gegenteil nachweisen und
seine Identität feststellen, dürfen dafür aber praktisch nichts
unternehmen.
Dass der Personalrat nicht übertreibt, ergibt sich
aus einer großen Menge an internen BAMF-Unterlagen. Eine davon, die
Publico vorliegt, soll hier zitiert werden – die Antwort auf die
Dienstaufsichtsbeschwerde eines Mitarbeiters vom 24. August 2017 gegen
zwei Vorgesetzte, die ihn seiner Meinung nach rechtswidrig dazu
aufforderten, trotz Zweifel am Wahrheitsgehalt der Erzählung von
Asylbewerbern positiv zu entscheiden. Bemerkenswert ist dabei die
Begründung:
„Die Vorgabe der Referatsleitung, dass bei Zweifel
an der Glaubhaftigkeit der Antragsteller nach der abgeschlossenen
Sachverhaltsermittlung diesen grundsätzlich eher Schutz zu gewähren, als
einen ablehnenden Bescheid zu erstellen, beruht auf deren
Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Eine ablehnende Entscheidung und
die folgende Rückführung in eine womögliche Verfolgungssituation kann zu
einer belastenden psychischen Belastung der Entscheider führen“ (Schreibweise und Formulierungen im Original).
Selbst bei Zweifeln am Wahrheitsgehalt also positiv entscheiden, weil
das besser für die Seelenhygiene des BAMF-Mitarbeiters ist – so lautet
also eine ausdrückliche Vorgabe in einer Behörde, die eigentlich an das
Asylgesetz gebunden ist.
Seit 2015 wurden also unter der
Verantwortung des „Flüchtlingskoordinators“ Peter Altmaier und damit der
Kanzlerin selbst systematisch alle Ampeln auf Dauergrün gestellt:
Durchwinken um jeden Preis, Prüfung nur ganz eingeschränkt. Dazu kommt,
dass pro Monat durch die mündliche de Maizière-Anweisung von 2015 nach
wie vor etwa zehnmal so viel neue Migranten über die Grenze kommen, wie
gleichzeitig abgeschoben werden.
Die Chronik des BAMF und der
Migrationspolitik seit 2015 liest sich also gerade nicht wie ein
Staatsversagen, sondern als schrittweise Aushöhlung des geltenden Rechts
zugunsten einer Einwanderungspolitik, die sich nur noch nach dem
Zustrom der Einwanderer richtet.
Dass die ehemalige Leiterin der
Bremer BAMF-Außenstelle Ulrike B. massenhaft Verfahren durchwinkte und
durchwinken ließ, für die Bremen gar nicht zuständig war, dass sie sich
zwei Anwaltskanzleien, die ihr die Fälle standardisiert
herüberschickten, wie es in einem Bericht des Bundesinnenministeriums
heute heißt, „besonders verpflichtete fühlte“, dass es in
einigen Fällen noch nicht einmal persönliche Anträge der Bewerber gab –
das schrumpft neben der Chronologie der Rechtsverbiegung durch das
Kanzleramt zur Fußnote.
Wenn die Justiz jetzt ernsthaft gegen die
kleine Beamtin Ulrike B. ermittelt und gegen die heutige BAMF-Chefin
Jutta Cordt vorgehen will, dann müsste sie früher oder später
zwangsläufig bei Angela Merkel landen. Wendt
Siehe auch Anabel Schunkes Überblick
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