Vor unser aller Augen entfaltet sich derzeit ein schönes
Beispiel dafür, wie sich ein scheinbar kleiner Anlass plötzlich zu einer
Staatsaffäre ausweitet. Da war zunächst ein harmloses, satirisches Liedchen,
das der NDR ausstrahlte – und das Herrn Erdogan und seine Entourage
offenbar bis aufs Messer reizte (altes deutsches Sprachbild, insofern
unschuldig). Der deutsche Botschafter wurde einbestellt, was dieser
unvorsichtigerweise nach außen kommunizierte. Der Fall machte eine Menge
Radau und inspirierte Jan Böhmermann dazu noch eine Schippe
draufzulegen. Mit seinem Brutalo-Gedicht griff er maximal ins Gemächt
des Sultans vom Bosperus, aber gleichsam mit Ansage. Eine Satire auf die Satire sozusagen.
Doch dann passierte etwas, womit auch Böhmermann, der vielleicht auch
nur ein bisschen Aufmerksamkeit abgreifen wollte, wohl nicht gerechnet
hatte. Er ist ja eigentlich einer von den „Guten“ - und bislang eher auf
wohlfeilen Widerstand gegen das meist rechtsdrehende „Böse“ abonniert.
Kostet nix und man hat die Lacher des politisch korrekten Betriebes
zuverlässig auf seiner Seite. Das ist diesmal anders.
Die Türkei fordert jetzt die Bestrafung
des Fernseh-Menschen. Die Lacher von der politisch korrekten Seite sind
eher verhalten. Und Böhmermann selbst weiß offenbar auch nicht so
richtig, wie er mit der Sache umgehen soll, jedenfalls schweigt er.
Statt dessen solidarisieren sich Persönlichkeiten wie Springer-Chef Mathias Döpfner mit ihm – und zwar Wort für Wort.
Frau Merkel, die sich bislang stets auf ihre Öffentlich-Rechtlichen
verlassen konnte, hat jetzt ein veritables Problem. Der vorauseilende
Gehorsam, mit dem der Böhmermann-Beitrag entfernt wurde, brachte die
Sache ja erst richtig in Schwung. Und die Erdogan-Truppe fordert
gewissermaßen die Abschaffung der deutschen Presse- und Meinungsfreiheit
– wobei Böhmermann die Rolle der Musterleiche spielen soll.
Stößt die Bundeskanzlerin jetzt Erdogan vor den Kopf oder Böhmermann -
und mit ihm einen Großteil der deutschen Medien-Landschaft, das größte
Verlagshaus der Republik eingeschlossen?
Das wird ein lustiger Eiertanz.
Sogar die „Lügenpresse“-Skandierer sind ob der Berichterstattung der
Medien quer über alle politischen Lager
verunsichert. Zeigt sich hier in einer verminten Auseinandersetzung um
das künftige Deutschland womöglich ein bisschen „common ground“? So nach
dem Motto: Bis hierher und nicht weiter?
Böhmermann ist in kürzester Zeit zu einem Symbol geworden. Und er ist
als solches nicht mehr hilfreich. Eine Tretmine für Frau Merkel. Dass
ausgerechnet er derjenige sein würde, der die Verlogenheit der deutschen
Türkei-Politik (und damit auch der deutschen Flüchtlings-Politik) so
offenkundig machen würde, hat er wohl selbst nicht geahnt. Und
vielleicht auch nicht gewollt. Dirk Maxeiner am 11. 4. 2016
Hallervorden
Broder
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