Heute ist Deutschstunde. Wir nehmen die Verelendung des Dialogs im
politischen Raum durch. Hier vor allem die Verantwortlichkeiten der
pöbelnden Klasse.
Die Berliner Administration hat zur Sache erklärt, sie sei sich der
Gefahr für den Rechtsstaat, die in der epidemisch um sich greifenden
Verunglimpfung liege, bewusst. Daraus werde sie die Konsequenzen ziehen,
politische und juristische. Das heißt: Wer sprachlich über die rote
Linie tritt, grenzt sich aus. Er muß mit einer Anklage wegen Beleidigung
oder Volksverhetzung rechnen.
Nur, daß die Altparteien – der Terminus muß mal erlaubt sein – davon
ausgehen, daß nur rechts von der Mitte gepöbelt wird. Das ist aber nicht
so. Die Notabeln der CDU und SPD – Grüne und Linke sowieso - und die
Qualitätsmedien pöbeln nicht weniger saftig als die Rechten. Seit den
Tagen von Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner war in Deutschland die
Hemmschwelle in der öffentlichen Beleidigungskultur nicht mehr so tief.
Doch der Staatsanwalt wird nur angerufen, wenn die Pöbler ins
moralische Kataster des gesunden Volksempfindens passen. Ein Bochumer
Anti-Merkelianer mußte Anfang April auf Anordnung des dortigen
Amtsgerichts 2000 Euro Strafe für ein Facebook-Post zahlen, in dem er
die Kanzlerin zur Steinigung vorgeschlagen hatte. Sachsen-Premier
Stanislaw Tillich durfte die Provokateure von Bautzen und Clausnitz
straflos als Verbrecher bezeichnen. Das seien einfach keine Menschen
mehr, sagte er. Er meinte nicht nur die Brandstifter, die an ein
Flüchtlingsheim Feuer gelegt hatten, sondern auch die Sitzblockierer,
die einen Bus voll Asylanten am Weiterfahren gehindert hatten.
Gewiß, Frauen und kleine Kinder erschrecken, das ist ungezogen. Aber
dabei entstanden keine körperlichen und vermutlich auch keine seelischen
Schäden. Ganz demütig waren die Businsassen auch nicht. Einer von
ihnen, so verlautbarte die Polizeigewerkschaft, habe den Demonstranten
den Stinkefinger gezeigt und mit gestreckter Hand das Kopfabzeichen
gemacht.
Nein, Clausnitz zum Kannibalenkral und die Clausnitzer zu
Nichtmenschen deklassieren, das ist auch ungezogen. Sachsen ist nicht
das fremdenfreundlichste unter den Bundesländern. Aber das braune
Hornissennest, zu dem es umgewidmet wurde, ist es auch nicht.
Es gibt Journalisten und Publizisten in Deutschland, die das Recht
auf Verunglimpfung für eine Prärogative ihres Standes halten. Der
Satiriemacher Jan Böhmermanns etwa – um das aktuellste Beispiel zu
nehmen - fand es legitim, den türkischen Staatspräsidenten, Rezep Tayyib
Erdogan, in einer ZDF-Fernsehsendung als „Präsidenten mit kleinem
Schwanz“ zu verunglimpfen. Erdogan, so textete er, „mag Ziegen ficken“
und „Fellatio mit hundert Schafen“ haben, sein Kopf sei eben „so leer
wie seine Eier“.
Satire dürfe alles, schrieb einst Kurt Tucholsky. Blanke Pornografie á
la Böhmermann wird er aber nicht gemeint haben. Claudius Seidl, der
Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS),
sieht das anders. Die Freiheit, so kommentierte er in einer FAS-Kolumne,
„endet eben nicht an den Grenzen des guten Geschmacks und des
allgemeinen Konsenses“. Teile der Branche rechtfertigen auch platte
Schweinigeleien als Ausdruck höherer Werte, wenn sie zur politischen
Zielvorgabe passen.
Die zeitgenössische Satire ist nur noch selten witzig, sie ist
überwiegend rotzig, schlammig und häufig primitiv. Sie steht im krassen
Gegensatz zu dem filigranen Sarkasmus von „Kommödchen“ und „Lach- und
Schießgesellschaft“. Das ZDF nahm immerhin anderntags die
Böhmermann-Sendung mit den Pöbelzitaten aus der Mediathek. Aber ihr
Schöpfer blieb unbehelligt. In „Spiegel online“ las man, er sei zensiert
worden. Die Linke schlug in dieselbe Kerbe.
Präsident Erdogan verzichtete gönnerisch darauf, die Sache
gerichtlich verfolgen zu lassen. Theoretisch hätte sie eine Verurteilung
Böhmermanns bis zu drei Jahren Gefängnis nach § 103 StGb (Beleidigung
von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) nach sich ziehen
können.
Die Veralberung von politischen Gegnern oder Feinden ist in
bedrohlichen Lagen ein legitimes Kampfmittel. In der Luftschlacht um
England sangen die Piloten der „Royal Air Force“ zur Melodie des
„Colonel Bogey March´s“ ein Spottlied auf die deutschen Nazi-Führer, um
sich Mut gegen die damals noch überlegene Luftwaffe zu machen:
Hitler has only got one ball,
Göring has two, but very small,
Himmler ist very similar,
and Joseph Goebbels has no one at all.
Ja, doch, es macht unter Umständen Sinn, dem Feind die Hosen
runterzuziehen. Aber Erdogan ist kein Feind Deutschlands. Im Gegenteil.
Er wird für die Lösung des Flüchtlingsproblems gebraucht. Obwohl,
zugegeben, Nützlichkeitserwägungen natürlich keine Kriterien für die
ethische und ästhetische Bewertung einer Satire sein können.
Sprachverschmutzung in Politik und Publizistik und die Verteufelung von
Andersdenkenden sind nicht neu in Deutschland. Aber so staatstragend
und parteiübergreifend wie heute waren sie noch nie.
Ein guter Ruf schützt nicht vor Grenzüberschreitungen. Die
Süddeutsche Zeitung etwa, die der Sprachpflege einen besonderen
Stellenwert in ihrem Redaktionsprogramm einräumt, schmähte in einem
Beitrag ihres Redakteurs Sebastian Gierke Gegner der Willkommenskultur
als „Nichtneger und Stehpinkler“. Gierke schrieb wörtlich: „Ihr kommt
aus euren Löchern ans Licht gekrochen.“ Und: „71 Menschen sterben in
einem LKW, und ihr schreit nach mehr.“
Gierke bezog sich auf die Katastrophe an der A 4 vor Wien, bei der
Ende August letzten Jahres 71 Menschen in einem Lkw erstickt waren.
Mordgierige Horden, so insinuiert er, freilich ohne sie zu benennen,
gierten nun nach noch mehr Toten. Er schrieb aber nicht, wo er die
Horden geortet hatte.
Totschlagsjournalismus ist in Deutschland kein Delikt von
Verhaltensauffälligen. Er findet auch in Redaktionsgemeinschaften statt,
die sich der Rücksicht und der Menschlichkeit verschrieben haben. Der
Autor Deniz Yücel notierte am 6. November 2012 in der TAZ über Thilo
Sarrazin (freilich ohne diesen beim vollen Namen zu nennen): „Buchautor
Thilo S., den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde,
stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, dass
dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde und dem man
nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher
verrichten.“
Eine Zeitung, wünschte einem missliebigen Schriftsteller den Hirntod,
das war auch für die Justiz zuviel. Das Berliner Landgericht
verurteilte die TAZ zur Zahlung von 20.000 Euro an Sarrazin. Für die
Karriere und für das Strafregister von Deniz Yücel blieb die Affäre
folgenlos. Er ist jetzt akkreditierter Korrespondent in der Türkei
Aber was sind solche Invektiven gegen die pornografisch aufgeladenen
Kreationen, mit denen ausländische Mitbürger die politische Debatte
hienieden beleben? Zitat eines nur mit Initialien genannten
Facebook-Mitglieds mit Migrationshintergrund, wiedergegeben in einem
Artikel von Archi B. Bechlenberg in der „Achse des Guten“: „Ich kacke
deine Mutter in die Fresse“.
Der Schmähschreiber, der zu seinem beruflichen Werdegang angab, er
habe „bei Allah gearbeitet“, wurde wegen dieser und ähnlicher Pestmails
mehrfach bei Facebook gemeldet. Facebook, so hieß es, habe ihm jedoch
geantwortet „Wir haben den von dir wegen Haßbotschaften oder –symbole
gemeldeten Beitrag geprüft und festgestellt, daß er nicht gegen unsere
Gemeinschafsstandards verstößt.“ Facebook beschäftigt weltweit mehrere
hundert Sprachkommissare, die das schlimmste Gift aus seinem Netzwerk
herausfiltern sollen. Aber „Ich kacke deine Mutter in die Fresse“ ist
offenbar nicht giftig genug.
Zum „politisch-publizistischen Kartell“, wie es im rechten Spektrum
heißt, haben auch Teile der Kirche aufgeschlossen. Pastorin Julia Atze
aus Hamburg etwa verstieg sich dazu, von der Kanzel im ehrwürdigen
Hamburger Michel Pegida-Demonstranten in ihrer Predigt mit der
Ebola-Seuche zu vergleichen.
Die Kirchen haben auf Boykott und Ausgrenzung geschaltet.
AfD-Mitglieder dürfen auf dem Katholikentag im Mai in Leipzig nicht
reden. Die evangelische Kirche in Brandenburg lässt sie nicht zur
Teilnahme an Wahlen zum Gemeindevorstand zu. Wenn die AfD auf dem
Erfurter Domplatz demonstriert, wird die Beleuchtung des Doms
ausgeschaltet. Das hat Bischof Ulrich Neymeyr so angeordnet.
In Erfurt hat das zu blankem Pfaffenhaß geführt. Björn Höcke,
AfD-Vorsitzender im thüringischen Landtag, beantwortete den
Bischofserlaß mit einem Luther-Zitat: „Man muß dem Teufel das Kruzifix
ins Angesicht schlagen, so weiß er, mit wem er umgeht.“
Wer Merkels Politik nicht schätzt, wird in die rechtsradikale Ecke
gestellt. Nicht nur in die rechte Ecke. Widerspruch gegen hoheitliche
Einlassungen ist ex officio immer radikal, wenn es gegen die
Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geht. Kurzum: Haß, Hetze,
Volksverdummung. Konservative Argumente gelten den Etablierten als
zynisch und menschenverachtend. Grünen-Fraktionschefin Katrin
Göring-Eckard bestreitet den Merkel-Kritikern rundheraus das Recht, sich
Sorgen um ihren Staat zu machen. Besorgte Bürger? Ach was,
Ausländerfeinde und Nazi-Sympathisanten seien das.
Was Göring-Eckardt dabei übersieht: die Dissidenten sind in der
Mehrheit. Wenn die Umfragen stimmen, dann lehnen über 50 Prozent Merkels
Politik der offenen Tür ab. Tillich sagt, er setze auf den
demokratischen Diskurs. Doch „das Pack“, wie SPD-Prinzipal Sigmar
Gabriel die AfD-Leute nennt, ist davon ausgeschlossen, weil die
gewählten Parlamentarier keine Gespräche mit ihm wollen. So was gehöre
eingesperrt, sagte der Vizekanzler. Und erhielt dafür breiten
Medienapplaus. Gut, daß einer mal Klartext rede, meinte „Focus online“.
Das gesunde Volksempfinden reagiert bisweilen hysterisch auf Kritik.
Der Merseburger Chemieprofessor Thomas Rödel musste erfahren, wie
kleingeistig das Establishment die demokratischen Meinungsfreiheit
handhabt, nachdem er in einer Festveranstaltung mit Angela Merkel im
Fraunhofer-Institut in Halle ein Plakat mit dem alten CDU-Slogan „Keine
Experimente“ hochgehalten hatte. Dazu hatte er mit zittriger Stimme
gerufen: „Ich habe Kinder, die sind zwei, vier und neun Jahre alt. Sie
machen einen Versuch und wissen nicht, wie das Experiment ausgeht. Ich
mache mir wirklich Sorgen. Von Ihnen als Physikerin erwarte ich
verantwortungsvollere Entscheidungen.“
Rödel wurde sofort von Saalordnern ergriffen und wie ein Attentäter
aus dem Saal geführt. Das Rektorat der Hochschule Merseburg distanzierte
sich von dem „Auftritt des Professors“, sowohl „inhaltlich wie auch in
der Art und Weise“. Wie der Rektor der Fachhochschule, Jörg Kirbs,
darlegte, habe der Protestprofessor mit seinem Auftritt das Gastrecht
des Fraunhofer-Instituts missbraucht und auch dem Ansehen seines
Instituts „enorm geschadet“. Man werde den Vorfall juristisch
aufarbeiten.
Daß Taktgeber der öffentlichen Meinung den Thymos rauslassen, wie es
bei Sloterdijk heißt, nämlich die zornige Aufwallung des Gemüts, das ist
erlaubt. Wenn einem gebeutelten Chemieprofessor das Gemüt maßvoll zu
wallen beginnt, dann wird er juristisch aufgearbeitet.
Aus dem Regierungslager hört man gelegentlich, auch abweichende
Meinungen seien zu respektieren. Es geht aber nicht so weit, daß man
auch mit Rechten redet. Wer es dennoch tut, gilt als Fraternisierer.
Gegebenenfalls, je nach Täter, gilt er auch als besonders mutig. Die
Fernsehjournalistin Dunja Hayali wurde Anfang Februar mit der „Goldenen
Kamera“ ausgezeichnet, weil sie auf einer AfD-Demonstration in Erfurt
Teilnehmer mutig nach deren Motiven befragt hatte. Früher musste ein
Reporter mit Kongo-Söldnern auf Patrouille gehen, um für seinen
Chronistenmut ausgezeichnet zu werden. Heute tut es auch die Beobachtung
einer Demo in Erfurt. Erich Wiedemann
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