Stationen

Donnerstag, 7. April 2016

Antipluralistische Rüpelrepublik

Heute ist Deutschstunde. Wir  nehmen die Verelendung des Dialogs im politischen Raum durch. Hier vor allem die Verantwortlichkeiten der pöbelnden Klasse.
Die Berliner Administration hat zur Sache erklärt, sie sei sich der Gefahr für den Rechtsstaat, die in der epidemisch um sich greifenden Verunglimpfung liege, bewusst. Daraus werde sie die Konsequenzen ziehen, politische und juristische. Das heißt: Wer sprachlich über die rote Linie tritt, grenzt sich aus. Er muß mit einer Anklage wegen Beleidigung oder Volksverhetzung rechnen.
Nur, daß die Altparteien – der Terminus muß mal erlaubt sein – davon ausgehen, daß nur rechts von der Mitte gepöbelt wird. Das ist aber nicht so. Die Notabeln der CDU und SPD – Grüne und Linke sowieso -  und die Qualitätsmedien pöbeln nicht weniger saftig als die Rechten. Seit den Tagen von Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner war in Deutschland die Hemmschwelle in der öffentlichen Beleidigungskultur nicht mehr so tief.
Doch der Staatsanwalt wird nur angerufen, wenn die Pöbler ins moralische Kataster des gesunden Volksempfindens passen. Ein Bochumer Anti-Merkelianer mußte Anfang April auf Anordnung des dortigen Amtsgerichts 2000 Euro Strafe für ein Facebook-Post zahlen, in dem er die Kanzlerin zur Steinigung vorgeschlagen hatte. Sachsen-Premier Stanislaw Tillich durfte die Provokateure von Bautzen und Clausnitz straflos als Verbrecher bezeichnen. Das seien einfach keine Menschen mehr, sagte er. Er meinte nicht nur die Brandstifter, die an ein Flüchtlingsheim Feuer gelegt hatten, sondern auch die Sitzblockierer, die einen Bus voll Asylanten am Weiterfahren gehindert hatten.
Gewiß, Frauen und kleine Kinder erschrecken, das ist ungezogen. Aber dabei entstanden keine körperlichen und vermutlich auch keine seelischen Schäden. Ganz demütig waren die Businsassen auch nicht. Einer von ihnen, so verlautbarte die Polizeigewerkschaft, habe den Demonstranten den Stinkefinger gezeigt und mit gestreckter Hand das Kopfabzeichen gemacht.
Nein, Clausnitz zum Kannibalenkral und die Clausnitzer zu Nichtmenschen deklassieren, das ist auch ungezogen. Sachsen ist nicht das fremdenfreundlichste unter den Bundesländern. Aber das braune Hornissennest, zu dem es umgewidmet wurde, ist es auch nicht.
Es gibt Journalisten und Publizisten in Deutschland, die das Recht auf Verunglimpfung für eine Prärogative ihres Standes halten. Der Satiriemacher Jan Böhmermanns etwa – um das aktuellste Beispiel zu nehmen - fand es legitim, den türkischen Staatspräsidenten, Rezep Tayyib Erdogan, in einer ZDF-Fernsehsendung als „Präsidenten mit kleinem Schwanz“ zu verunglimpfen. Erdogan, so textete er, „mag Ziegen ficken“ und „Fellatio mit hundert Schafen“ haben, sein Kopf sei eben „so leer wie seine Eier“.
Satire dürfe alles, schrieb einst Kurt Tucholsky. Blanke Pornografie á la Böhmermann wird er aber nicht gemeint haben. Claudius Seidl, der Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS), sieht das anders. Die Freiheit, so kommentierte er in einer FAS-Kolumne, „endet eben nicht an den Grenzen des guten Geschmacks und des allgemeinen Konsenses“. Teile der Branche rechtfertigen auch platte Schweinigeleien als Ausdruck höherer Werte, wenn sie zur politischen Zielvorgabe passen.
Die zeitgenössische Satire ist nur noch selten witzig, sie ist überwiegend rotzig, schlammig und häufig primitiv. Sie steht im krassen Gegensatz zu dem filigranen Sarkasmus von „Kommödchen“ und „Lach- und Schießgesellschaft“. Das ZDF nahm immerhin anderntags die Böhmermann-Sendung mit den Pöbelzitaten aus der Mediathek. Aber ihr Schöpfer blieb unbehelligt. In „Spiegel online“ las man, er sei zensiert worden. Die Linke schlug in dieselbe Kerbe.
Präsident Erdogan verzichtete gönnerisch darauf, die Sache gerichtlich verfolgen zu lassen. Theoretisch hätte sie eine Verurteilung Böhmermanns bis zu drei Jahren Gefängnis nach § 103 StGb (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) nach sich ziehen können.
Die Veralberung von politischen Gegnern oder Feinden ist in bedrohlichen Lagen ein legitimes Kampfmittel. In der Luftschlacht um England sangen die Piloten der „Royal Air Force“ zur Melodie des „Colonel Bogey March´s“ ein Spottlied auf die deutschen Nazi-Führer, um sich Mut gegen die damals noch überlegene Luftwaffe zu machen:
Hitler has only got one ball,
Göring has two, but very small,
Himmler ist very similar,
and Joseph Goebbels has no one at all.
Ja, doch, es macht unter Umständen Sinn, dem Feind die Hosen runterzuziehen. Aber Erdogan ist kein Feind Deutschlands. Im Gegenteil. Er wird für die Lösung des Flüchtlingsproblems gebraucht. Obwohl, zugegeben, Nützlichkeitserwägungen natürlich keine Kriterien für die ethische und ästhetische Bewertung einer Satire sein können. Sprachverschmutzung in Politik und Publizistik und die Verteufelung von Andersdenkenden sind nicht neu in Deutschland.  Aber so staatstragend und parteiübergreifend wie heute waren sie noch nie.
Ein guter Ruf schützt nicht vor Grenzüberschreitungen. Die Süddeutsche Zeitung etwa, die der Sprachpflege einen besonderen Stellenwert in ihrem Redaktionsprogramm einräumt, schmähte in einem Beitrag ihres Redakteurs Sebastian Gierke Gegner der Willkommenskultur als „Nichtneger und Stehpinkler“. Gierke schrieb wörtlich: „Ihr kommt aus euren Löchern ans Licht gekrochen.“ Und: „71 Menschen sterben in einem LKW, und ihr schreit nach mehr.“
Gierke bezog sich auf die Katastrophe an der A 4 vor Wien, bei der Ende August letzten Jahres 71 Menschen in einem Lkw erstickt waren. Mordgierige Horden, so insinuiert er, freilich ohne sie zu benennen, gierten nun nach noch mehr Toten. Er schrieb aber nicht, wo er die Horden geortet hatte.
Totschlagsjournalismus ist in Deutschland kein Delikt von Verhaltensauffälligen. Er findet auch in Redaktionsgemeinschaften statt, die sich der Rücksicht und der Menschlichkeit verschrieben haben. Der Autor Deniz Yücel notierte am 6. November 2012 in der TAZ über Thilo Sarrazin (freilich ohne diesen beim vollen Namen zu nennen): „Buchautor Thilo S., den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, dass dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde und dem man nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten.“
Eine Zeitung, wünschte einem missliebigen Schriftsteller den Hirntod, das war auch für die Justiz zuviel. Das Berliner Landgericht verurteilte die TAZ zur Zahlung von 20.000 Euro an Sarrazin. Für die Karriere und für das Strafregister von Deniz Yücel blieb die Affäre folgenlos. Er ist jetzt akkreditierter Korrespondent in der Türkei
Aber was sind solche Invektiven gegen die pornografisch aufgeladenen Kreationen, mit denen ausländische Mitbürger die politische Debatte hienieden beleben? Zitat eines nur mit Initialien genannten Facebook-Mitglieds mit Migrationshintergrund, wiedergegeben in einem Artikel von Archi B. Bechlenberg in der „Achse des Guten“: „Ich kacke deine Mutter in die Fresse“.
Der Schmähschreiber, der zu seinem beruflichen Werdegang angab, er habe „bei Allah gearbeitet“, wurde wegen dieser und ähnlicher Pestmails mehrfach bei Facebook gemeldet. Facebook, so hieß es, habe ihm jedoch geantwortet „Wir haben den von dir wegen Haßbotschaften oder –symbole gemeldeten Beitrag geprüft und festgestellt, daß er nicht gegen unsere Gemeinschafsstandards verstößt.“ Facebook beschäftigt weltweit mehrere hundert Sprachkommissare, die das schlimmste Gift aus seinem Netzwerk herausfiltern sollen. Aber „Ich kacke deine Mutter in die Fresse“ ist offenbar nicht giftig genug.
Zum „politisch-publizistischen Kartell“, wie es im rechten Spektrum heißt, haben auch Teile der Kirche aufgeschlossen. Pastorin Julia Atze aus Hamburg etwa verstieg sich dazu, von der Kanzel im ehrwürdigen Hamburger Michel Pegida-Demonstranten in ihrer Predigt mit der Ebola-Seuche zu vergleichen.
Die Kirchen haben auf Boykott und Ausgrenzung geschaltet. AfD-Mitglieder dürfen auf dem Katholikentag im Mai in Leipzig nicht reden. Die evangelische Kirche in Brandenburg lässt sie nicht zur Teilnahme an Wahlen zum Gemeindevorstand zu. Wenn die AfD auf dem Erfurter Domplatz demonstriert, wird die Beleuchtung des Doms ausgeschaltet. Das hat Bischof Ulrich Neymeyr so angeordnet.
In Erfurt hat das zu blankem Pfaffenhaß geführt. Björn Höcke, AfD-Vorsitzender im thüringischen Landtag, beantwortete den Bischofserlaß mit einem Luther-Zitat: „Man muß dem Teufel das Kruzifix ins Angesicht schlagen, so weiß er, mit wem er umgeht.“
Wer Merkels Politik nicht schätzt, wird in die rechtsradikale Ecke gestellt. Nicht nur in die rechte Ecke. Widerspruch gegen hoheitliche Einlassungen ist ex officio immer radikal, wenn es gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geht. Kurzum: Haß, Hetze, Volksverdummung. Konservative Argumente gelten den Etablierten als zynisch und menschenverachtend. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckard bestreitet den Merkel-Kritikern rundheraus das Recht, sich Sorgen um ihren Staat zu machen. Besorgte Bürger? Ach was,  Ausländerfeinde und Nazi-Sympathisanten seien das.
Was Göring-Eckardt dabei übersieht: die Dissidenten sind in der Mehrheit. Wenn die Umfragen stimmen, dann lehnen über 50 Prozent Merkels Politik der offenen Tür ab. Tillich sagt, er setze auf den demokratischen Diskurs. Doch „das Pack“, wie SPD-Prinzipal Sigmar Gabriel die AfD-Leute  nennt, ist davon ausgeschlossen, weil die gewählten Parlamentarier keine Gespräche mit ihm wollen. So was gehöre eingesperrt, sagte der Vizekanzler. Und erhielt dafür breiten Medienapplaus. Gut, daß einer mal Klartext rede, meinte „Focus online“.
Das gesunde Volksempfinden reagiert bisweilen hysterisch auf Kritik. Der Merseburger Chemieprofessor Thomas Rödel musste erfahren, wie kleingeistig das Establishment die demokratischen Meinungsfreiheit handhabt, nachdem er in einer Festveranstaltung mit Angela Merkel im Fraunhofer-Institut in Halle ein Plakat mit dem alten CDU-Slogan „Keine Experimente“ hochgehalten hatte. Dazu hatte er mit zittriger Stimme gerufen: „Ich habe Kinder, die sind zwei, vier und neun Jahre alt. Sie machen einen Versuch und wissen nicht, wie das Experiment ausgeht. Ich mache mir wirklich Sorgen. Von Ihnen als Physikerin erwarte ich verantwortungsvollere Entscheidungen.“
Rödel wurde sofort von Saalordnern ergriffen und wie ein Attentäter aus dem Saal geführt. Das Rektorat der Hochschule Merseburg distanzierte sich von dem „Auftritt des Professors“, sowohl „inhaltlich wie auch in der Art und Weise“. Wie der Rektor der Fachhochschule, Jörg Kirbs, darlegte, habe der Protestprofessor mit seinem Auftritt das Gastrecht des Fraunhofer-Instituts missbraucht und auch dem Ansehen seines Instituts  „enorm geschadet“. Man werde den Vorfall juristisch aufarbeiten.
Daß Taktgeber der öffentlichen Meinung den Thymos rauslassen, wie es bei Sloterdijk heißt, nämlich die zornige Aufwallung des Gemüts, das ist erlaubt. Wenn einem gebeutelten Chemieprofessor das Gemüt maßvoll zu wallen beginnt, dann wird er juristisch aufgearbeitet.
Aus dem Regierungslager hört man gelegentlich, auch abweichende Meinungen seien zu respektieren. Es geht aber nicht so weit, daß man auch mit Rechten redet. Wer es dennoch tut, gilt als Fraternisierer. Gegebenenfalls, je nach Täter, gilt er auch als besonders mutig. Die Fernsehjournalistin Dunja Hayali  wurde Anfang Februar mit der „Goldenen Kamera“ ausgezeichnet, weil sie auf einer AfD-Demonstration in Erfurt Teilnehmer mutig nach deren Motiven befragt hatte. Früher musste ein Reporter mit Kongo-Söldnern auf Patrouille gehen, um für seinen Chronistenmut ausgezeichnet zu werden. Heute tut es auch die Beobachtung einer Demo in Erfurt.  Erich Wiedemann

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