Wenn alles so läuft wie geplant, wird die AfD in gut einem Monat über
ein Grundsatzprogramm verfügen. Eines, das es in sich hat: Auf 80
ziemlich eng beschriebenen Seiten wird ein nahezu vollständiger Katalog
alles dessen aufgeblättert, was neuerdings zur Politik gehört; so will
es die Basisdemokratie, der sich die AfD verpflichtet fühlt. Am 1. Mai,
dem Tag der Arbeit, will diese Basis über die endgültige Fassung des
Programms entscheiden.
Für eine Partei, die es liebt, sich als konservativ zu bezeichnen,
ist das kein leichtes Unterfangen. Denn wenn es etwas gibt, was einem
wahrhaft Konservativen verdächtig, ja zuwider ist, dann die
Verpflichtung auf Programme, Ideologien und Dogmen gleich welcher Art.
Tatsächlich ist die CDU, solange sie sich als konservative Kraft
verstand (und deshalb so erfolgreich war) jahrzehntelang ohne ein
Programm ausgekommen. Programm war die Wirklichkeit, die Nüchternheit
und Augenmaß verlangte, aber keine Projekte und erst recht keine
Visionen von einer rundum besseren Welt.
Das hat sich geändert, in Deutschland und in ganz Europa. Die Erfolge
so unterschiedlicher Parteien wie der Schwedendemokraten und des Vlaams
Belang, der englischen Ukip und des französischen FN lassen das
erkennen. Gemeinsam ist ihnen die Abneigung gegen Projekte und Visionen,
überwölbt vom Mißtrauen gegen eine politische Klasse, die Lösungen für
Probleme anbietet, die wir ohne sie gar nicht hätten.
Und eben das, der Zweifel, die Vorsicht, das Mißtrauen gelten seit
jeher als genuin konservative Tugenden. In einem Land, in dem
Christliche Demokraten den Islam propagieren, in dem die SPD den
Spekulanten schöne Augen macht und Grüne jede Abtreibung als Heldentat
feiern, besteht dazu ja auch Anlaß genug. Mißtrauen ist ein Zeichen für
die Bereitschaft zur Rückkehr in die Wirklichkeit.
Diese zutiefst konservative Skepsis durchzieht das AfD-Programm. „Wir
glauben nicht an die Verheißungen politischer Ideologien oder an die
Heraufkunft eines besseren, eines neuen Menschen“, heißt es gleich im
ersten Kapitel. Dem Geraune vom Ende der Geschichte, dem Kinderglauben
an eine Welt ohne Verluste, ohne Krankheit, Unglück und Enttäuschung
setzt die AfD den skeptischen Realismus des Engländers Michael Oakeshott
entgegen, der den Konservativen als einen Menschen beschrieben hat, der
das Vertraute dem Unbekannten vorzieht, das Erprobte dem Unerprobten,
das Gegebene dem Verborgenen, das Nächstliegende dem Entfernten, das
Vorhandene dem Möglichen, das Begrenzte dem Unbegrenzten, das Brauchbare
dem Vollkommenen „und die Fröhlichkeit dem utopischen Glück“.
Solche Bekenntnisse sind weder rechts noch links. Sie stehen quer zur
Programmatik der Altparteien, die den Wählern das Märchen vom ewigen
Wachstum, vom immerwährenden Fortschritt, vom Anbruch eines neuen,
herrlichen Zeitalters täglich neu auftischen. Das glauben die Leute aber
längst nicht mehr. Sie gehen in den Wald und sehen, daß die Bäume
wachsen; aber nicht in den Himmel wachsen. Die AfD sieht das auch. Und
sagt es.
Sie setzt auf den starken, aber schlanken Staat. Einen Staat, der
dort sitzt, wo er hingehört: über den Parteien, über den Verbänden und
über den Heerscharen von Lobbyisten und Experten, die dem Bürger über
den Mund fahren, wenn er es wagt, ihn aufzumachen. Alle diese
Neben-Regierungen haben ihre eigenen Interessen im Auge, wenn sie
behaupten, den unseren zu dienen; die EZB, die eine Politik für Banker,
aber nicht für Bürger betreibt, ist dafür nur ein Beispiel unter vielen.
Ihr Versuch, die Grenzen ihrer Macht selbst abzustecken, ist ein
Angriff auf den urdemokratischen Grundsatz, daß legitimer Machtgebrauch
die Zustimmung der Machtunterworfenen voraussetzt.
Die AfD nimmt diesen Grundsatz ernst. Um den Bürger als Souverän des
Ganzen zu ertüchtigen, wehrt sie sich gegen die Übermacht von Parteien,
die das Wirksamwerden jener „besonderen Organe“ der gesetzgebenden, der
vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalten einfach dadurch
unterlaufen, daß sie, wie es der Staatsrechtslehrer Dieter Grimm
formuliert hat, „ihr Werk immer schon verrichtet haben, ehe die
verfassungsrechtliche Gewaltentrennung zugreifen kann“. Und eben damit,
wäre zu ergänzen, einer der wichtigsten Bastionen zur Verteidigung
unserer bürgerlichen Freiheitsrechte in den Rücken fallen.
Mit ihrer Kritik am herrschenden Parteibetrieb hat sich die AfD auf
eine heikle Sache eingelassen. Sie greift die Wucherungen des
Parteienstaates ja nicht von außen an, sondern von innen, als Mitspieler
und Konkurrent. Daraus ergibt sich ein Dilemma: Einerseits muß sie
sich, um gegenüber den Mitspielern nicht ins Hintertreffen zu geraten,
der Möglichkeiten bedienen, die ihr der außer Rand und Band geratene
Parteibetrieb eröffnet. Auf der anderen Seite will sie diese
Möglichkeiten aber einschränken, auf ein verfassungskonformes Ausmaß
reduzieren: kein leichtes Spiel.
Nachdem die Partei in der Hälfte aller Landesparlamente angekommen
ist, muß sie beweisen, daß sie es ernst meint mit ihren Bekenntnissen
zur Gewaltenteilung, zur Trennung von Amt und Mandat und zur Position
des von ihr so genannten Bürgerabgeordneten, einer Person, die sich vom
herkömmlichen Abgeordneten dadurch unterscheiden soll, daß sie ihr
Mandat den Wählern, nicht dem Parteiestablishment verdankt. Die
Probezeit hat eben erst begonnen. Konrad Adam
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