Stationen

Freitag, 6. Mai 2016

576 Seiten Kälte



Der „geistige Brandstifter“ Sarrazin läßt wirklich nichts unversucht, um mit seinem neuen „Machwerk“, dem Buch „Wunschdenken“, den noch immer fruchtbaren Schoß des „Faschismus“ zu begatten – so die Lesart des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters von Hamburg, Ole von Beust, in einem jüngsten Gastebeitrag für Zeit Online. Da trifft es sich natürlich, daß Sarrazins knapp 600 Seiten starkes Werk „innerhalb weniger Tage die kommentierte Ausgabe von Hitlers ´Mein Kampf` von der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste verdrängt“ habe, wie die Sächsische Zeitung zu Sarrazins Auftritt extra anmerkt.
Tatsächlich beweist Sarrazins Auftritte an diesem Mittwoch abend, im traditionsreichen Ballsaal Lindengarten in Dresden-Neustadt, wie infam all diese Unterstellungen sind, etwa durch Sarrazins Schilderung einer Bahnreise durch die DDR mit Halt am Bahnhof Friedrichstraße, als die postierten Grenzsoldaten mit Maschinenpistolen bei ihm die unwillkürliche Assoziation von Auschwitz vermittelten. Allerdings ist dies schon am späten Abend.
Zuvor gab Sarrazin dem Publikum einen kurzen Abriß über den Komplex politischen Wunschdenkens, den er in seinem Buch analysiert. So sei nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ein utopischer Überschuß freigeworden, der sich neue Themen gesucht habe, wie Energiepolitik, Gender oder Gerechtigkeit, die aber nicht über die Zukunftsfähigkeit entscheiden würden.

Statt dessen würden die existentiellen politischen Fragen von den Themen Einwanderung, Demographie und Bildung abhängen. Zu den aktuellen Erscheinungsformen utopischer Ideenwelten zählten auch die Vorstellungen eines salafistischen Gottesstaates, die Idee einer bereichernden Willkommenskultur oder der Verzicht auf Wirtschaftswachstum. Grundlegend für den damit einhergehenden Prozeß der Selbst- und Fremdtäuschung seien die Faktoren der Unwissenheit, Anmaßung (etwa Merkels Mantra „Wir schaffen das“), Bedenkenlosigkeit gegenüber den Folgen, Betrug und Schummelei und schließlich der Selbstbetrug, wie etwa Mielkes Bekenntnis vor der Volkskammer: „Ich liebe euch doch alle … alle Menschen“. Grundsätzlich ginge es den Akteuren politischen Wunschdenkens darum, die mängelbehaftete Gegenwart durch eine verheißungsvolle Zukunft zu ersetzen.
In diesem Zusammenhang warnte Deutschlands erfolgreichster Sachbuchautor davor, das Verfahren der Demokratie zu überschätzen, da die Mehrheitsmeinung keine Wahrheitsgarantie biete. Besonderes Augenmerk sei auch auf die Gesetzgebung zu lenken: Schlechtes Recht nehme die Natur des Menschen nicht ausreichend in den Blick und behindere dadurch Gesellschaften. Von hier leitete Sarrazin über auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik.

So sei Europa weder politisch noch verwaltungstechnisch auf die Sicherung seiner Außengrenzen eingerichtet gewesen. Dies erscheine aber um so dringlicher, da nur maximal zwanzig Prozent der Weltbevölkerung in Gesellschaften mit unseren zivilisatorischen Errungenschaften lebten. Damit hätten theoretisch die übrigen achtzig Prozent Anspruch auf Asyl, wenn sie nur hinreichend phantasievoll und mit anwaltlicher Unterstützung ihren Antrag vorbrächten. Daher stellte Sarrazin ein 10-Punke-Programm einer strengen Asylpolitik vor.
Demnach sollten illegale Einwanderer selbst dann zurückbefördert werden, wenn deren Herkunftsländer sich weigern. Dies müsse dann notfalls mit militärischer Gewalt geschehen, etwa indem „vier Transallmaschinen, unterstützt von Abfangjägern, die afrikanischen Flüchtlinge im Niger absetzen.“ Daß es unmöglich sei, Deutschland vor ungewünschter Einwanderung zu schützen, wie Merkel behauptete, befand Sarrazin für „einigermaßen lachhaft“. Denn „natürlich“ sei es mit heutiger Technik möglich, jedes noch so kleine Boot nach dem Ablegen von der afrikanischen Küste zu orten, aufzubringen, wieder dorthin zurückzubringen und die Boote der Schlepper zu zerstören. „Wenn keiner mehr in Europa auf diesem Weg ankommt, macht sich auch keiner mehr auf den Weg.“
Allerdings ist es schwierig, dies öffentlich zu kommunizieren, da die Medien den Politikern „eine Hofberichterstattung einräumen“, weshalb Sarrazin anfügte: „Wäre ich Anne Will gewesen, wäre Merkel schweißüberströmt aus dem Studio gegangen.“ So räsonierte er: „Natürlich wäre es besser, das Kabinett würde die nächsten vier Sitzungen meinem Buch widmen“, um sogleich einzuschränken: „Es wäre für Angela Merkel und Sigmar Gabriel wohl doch eine gewisse moralische Überforderung.“  JF am 6. 5. 2016

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