Stationen

Montag, 30. Mai 2016

Der Flüchtilant wird zur Götze



Die ganze Angelegenheit ist haarsträubend, aber einen gewissen Genuß hat sie mir am Ende doch bereitet. Das makabre Theater, das der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki zu Fronleichnam vor dem Kölner Dom inszeniert hat, kann es locker mit den schönsten Szenen aus „Das Heerlager der Heiligen“ aufnehmen, insbesondere jenen, die von der Pervertierung der christlichen Religion handeln.
Anders als pervers kann man die vor dem Kölner Dom abgezogene Show nämlich kaum bezeichnen: Da wurde allen Ernstes ein Flüchtlingsboot zum Altar umfunktioniert, während Woelki eine geschwollene, hysterische Predigt hielt:
„Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, lässt Gott ertrinken“,
sagte Woelki in seiner Predigt. Innerhalb eines Jahres seien 3327 Menschen
„in Booten wie diesem zugrunde gegangen“,
sagte Woelki mit Verweis auf Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen. Das Boot sei heute zum Altar geworden, also zum Symbol für Gott selbst.
„Er ist mitten in diesem Boot.“
Er sei in allen Flüchtlingen anzutreffen, in allen Traumatisierten, Verzweifelten und Verschleppten.
„Ihr Schrei nach Gerechtigkeit, ihr Schrei nach Würde und Frieden ist Gottes Schrei – hören wir ihn?“
Man könne nicht Fronleichnam feiern, ohne alles zu tun,
„um gegen die Ungerechtigkeit und das Elend dieser Welt“
anzukämpfen. Das Erzbistum Köln hatte das Holzboot gekauft, das von der Maltesischen Armee vor einigen Jahren bei einem Rettungseinsatz beschlagnahmt worden war.

Damit ist die Sakralisierung des Flüchtlings zur Heiligen- und Christusfigur endgültig vollzogen.

Auch das Boot wird zum sakralen Gegenstand, zur Reliquie erklärt- um nicht zu sagen, vergötzt. Und wie immer in diesem Spiel sind die Schreie der Mord-, Raub- und Vergewaltigungsopfer gleichgültig oder eine lästige Nebensache. Sie würden nur das heilsgeschichtliche Pathos und die aufgeblasene, selbstgefällige Pose des Erzbischofs stören. (Ironischerweise war es gerade der Kölner Dom, in dessen unmittelbarer Nähe die Silvesternachtexzesse stattfanden.)
Auch diese religiöse Demenz hat Jean Raspail in zahllosen Szenen vorweggenommen. Die „Armada der letzten Chance“ wird zu einer Armee aus „einer Million Christusse“ verklärt, deren Ankunft nicht nur ekstatische linksdrehende Kleriker in einen messianischen Rausch versetzt.
Hier etwa der Dialog zwischen dem alten Professor Calguès und einem linksradikalen Hippie zu Beginn des Buches:
»Und Sie? Was wollen Sie hier? In diesem Dorf? Bei mir?«
»Ich plündere. Außer der Armee und meinen Kumpels ist im Umkreis von hundert Kilometern niemand mehr da. So plündere ich eben. Hunger habe ich keinen mehr. Ich habe schon zuviel gegessen. Ich brauche ohnehin nicht viel, und außerdem gehört jetzt alles mir. Morgen werde ich es ihnen geben. Ich bin sozusagen ein König und werde ihnen mein Königreich schenken. Heute ist doch immerhin Ostern.«
»Ich verstehe nicht.«
»An Bord dieser Schiffe befindet sich eine Million Christusse, die morgen auferstehen werden. Und Sie, ganz allein …
Sie sind auch am Ende.«
»Sind Sie gläubig?«
»Überhaupt nicht.«
»Und diese Million Christusse, ist das Ihre Idee?«
»Nö. Aber ich fand sie ziemlich cool, zumindest für Pfaffengeschwätz. Ich habe sie auch von einem Pfaffen gehört. Vor einer Stunde ist mir einer entgegengekommen. Er führte sich auf wie ein Verrückter. Nicht wie ein Schwachkopf, aber ziemlich bizarr. Ab und zu blieb er stehen, hob seine Arme, wie die andern da unten, und schrie: ›Danke, mein Gott!‹ Dann lief er weiter Richtung Strand. Sieht so aus, als ob noch andere nachkämen.«
»Was für andere?«
»Andere Pfaffen von der gleichen Sorte. Aber Sie langweilen mich. Ich bin nicht zum Quatschen gekommen. Sie sind doch nur noch ein Gespenst. Was machen Sie noch hier?«

Bei Raspail taucht nach der vollzogenen Eroberung des Abendlandes ebenfalls ein Flüchtlingsboot auf, das zu einer Art Reliquie erklärt wird – wobei eine eigenartige dialektische Umdeutung stattfindet, in der am Ende der Christus-Flüchtling doch wieder zum heroischen Conquistador wird:
 
Von der Flotte blieben nur ein paar zerfetzte Wrackteile übrig, die längs des Strandes verstreut lagen. Lediglich ein kleines Torpedoboot behielt eine halbwegs wiedererkennbare Form. Das herrschende Regime läßt es jeden Ostermontag mit weißen Bannern schmücken und dem Volk zur frommen Verehrung darbieten. Die Pilger kommen in Scharen angereist und defilieren schweigend an der Reliquie vorbei. Auch hier wurde die Geschichte verfälscht, indem Vergleiche mit Cortès gezogen wurden, der nach der Landung in Mexiko befohlen hatte, seine Flotte zu verbrennen. In dieser Fassung erschien der Mythos wie ein durchdachter und von allen Beteiligten bewußt durchgeführter Plan, hinter dem – wie bei Cortès – ein klarer politischer Wille gestanden haben soll.
Die bejammernswerte Masse wurde damit zu einer Armee von Eroberern umgedeutet. Die Schuljungen sabbern vor Stolz, während sie das heldenhafte Torpedoboot bewundern. Ich aber weiß, daß es anders war. Ein paar lächerliche Minuten hätten genügt, und der Sturm hätte die Flotte mit einem Schlag samt ihren schwarzen Passagieren vernichtet. Ich weiß ebenso, daß Gott uns diese Minuten der Gnade nicht geschenkt hat.

In diesen Zusammenhang gehört auch, daß die AfD vom deutschen Katholikentag ausgeladen wurde. Das ist erstaunlich bei einer Partei, in der sich überdurchschnittlich viele Christen versammeln, und die zudem im Nachbarbundesland des Katholikentages unlängst fast 25% der Wählerstimmen erreichte. Eingeladen sind allerdings die notorisch katholizismusfeindlichen Grünen und die „Linke“, die immerhin Nachfolgepartei der kommunistischen SED ist, die wiederum wesentlich dazu beigetragen hat, daß es in Leipzig nur mehr 4,3% Katholiken gibt. Als Krönung mit von der Partie: Der Zentralrat der Muslime. Mehrere Kirchenvertreter sprachen sich am Kirchentag klar dafür aus, die „Rechtspopulisten“ als „massive Bedrohung“ zu klassifizieren. Gleichzeitig rückt auch die „Linke“ näher an den Katholizismus, was von katholischer Seite begrüßt wird. Unbestechliche Ausnahmefiguren wie der Salzburger Weihbischof Laun werden zunehmend an den Rand gedrückt.

Es scheint nicht mehr zu vermeiden sein, daß der katholische Mainstream – der Papst voran – nun immer rascher zur globalistischen Menschheitsreligion der offenen Grenzen und der hypermoralischen Ethik aufschließt. Damit wittern Teile des Klerus wohl auch ihre Chance, die eigene Sinnvermittlerrolle wieder zu stärken, indem sie nun etwa „die Flüchtlinge“ als neuen Gott und sich selbst als dessen Verkünder und Hohepriester anbieten.
Damit wird die herrschende politische Ideologie der europäischen Selbstaufgabe mit Weihrauch und sentimentalisierendem Pomp versüßt, die ihrerseits wohl nichts anderes als eine „politische Religion“ nach Voegelin ist. Eine derart pervertierte Kirche ist gleichermaßen Symptom wie tödliches Gift.
Noch einmal Raspail:
Nun kennt sich niemand in den Evangelien besser aus als die abtrünnigen Priester, denn nur Gott allein weiß, wie besessen sie diese durchforsten, um etwas zu finden, womit sie sich selbst rechtfertigen können.
Das „Heerlager der Heiligen“ hier bestellen und lesen! Obwohl: Wenn Woelki so weitermacht, überholt er die Schreckensvisionen des Romans leichten Fußes …   Martin Lichtmesz

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