Stationen

Dienstag, 31. Mai 2016

Too clever by half

Ich kann mir nicht helfen, aber seit der Tortenattacke finde ich Sahra Wagenknecht noch aufregender. Sie fasziniert mich seit langem. Zum einen ist sie das überlegene Gegenstück zur kühlen Blonden: An diese kühle Brünette kommt keine noch so Helle aus dem Norden heran. Und dann ist da noch diese andere Sache, die ich in eine Frage kleiden will: Wie kann man nur so klug sein und gleichzeitig so schief liegen?
Es ist kein unbekanntes Phänomen. Die Engländer nennen Leute, die vor lauter Schläue im Gegenteil landen „too clever by half“.

Bei Sahra Wagenknecht ist es der Wunsch nach „Reichtum ohne Gier“. Ein frommer Wunsch in der doppelten Bedeutung des Wortes. Er frommt uns, aber er hält der Wirklichkeit nicht Stand. Des Lebens bittere Erfahrung lehrt leider: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass es Reichtum ohne Gier gibt.
Doch was heißt das schon. Wo wären wir, wenn nur die Dummen fromme Wünsche formulieren würden. Wenn sich alle klugen Köpfe vor der Tristesse der Realität verneigen würden. Und kann man fromme Wünsche attraktiver predigen als Sara Wagenknecht mit ihrer kerzengeraden Eleganz und der argumentativen Strenge ihrer politischen Romantik?

Und dann muss ich sagen: Wenn schon links – dann doch wohl wagenknechtlinks und nicht gysilinks. Gregor Gysi würde inzwischen vor lauter Regierungslust einen Kanzlerkandidaten Gabriel oder gar Steinmeier schlucken.

Da beweist Sahra Wagenknecht ein anderes Kaliber, wenn sie der braven SPD einen Jeremy Corbyn oder einen Bernie Sanders an den Hals wünscht, um sie reif für die Linke zu machen.
Da scheint sie auf, die Wahlverwandtschaft der interessanten, ja aufregenden Politiker in einer sonst so betulichen Polit-Belegschaft. Wer Politik, wozu ich immer rate, auch als ein Entertainment betrachtet, der kann sich über Sanders und Corbyn, die Starklinken der Demokraten und der Labour Party, nur freuen. Ebenso wie über die interessante Sahra in ihrer vergleichsweise bescheidenen Abseitsstellung.

Hillary Clinton ist das Gegenstück: unfaszinierend mittig. Leicht könnte sie die Tragik eines Sigmar Gabriel ereilen, wäre ihr da nicht bei den Republikanern das Unikum Trump als unfreiwilliger, aber gottgesandter Helfer erschienen. Ausgemacht ist die Sache aber noch nicht. Auch Donald Trump gehört – anders als Hillary Clinton - in die Reihe der spannenden Politiker. Nur halt auf der anderen, der rechten Seite. Wenn er denn eine Seite hat: Seine Gegnerschaft zum Freihandelsabkommen mit Europa dürfte links genauso gefallen wie rechts.
Der offiziellen journalistischen Sortierung folgend gehört Trump allerdings klar zu den Rechtspopulisten. Man könnte ihn also einen Wahlverwandten der Frauke Petry nennen, wäre er nicht um ein Vielfaches interessanter als die unaufregende AfD-Chefin. Trumps rechtslastige Beleidigungen und seine im Ungewissen wabernden Phrasen haben etwas Genialisches, was deutsche Rechtspopulisten einfach nicht schaffen. Ein Boateng-Stuss, wie ihn Gauland geliefert hat, wäre bei Trump Dutzendware, ein Stückchen rhetorischer Frühsport vor der populistischen Tages-Agenda.

Tja, der Populismus. Die populären Linken wie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders, die massenhaft junge Protestbürger anziehen, sind keine Populisten, weil die mediale Einsortierung links keine Populisten anerkennt. Rechtspopulisten – ja, Linkspopulisten – nein. Warum ist das so? Keine Ahnung. Wenn ich ein strammer Linker wäre, wäre ich gerne ein Linkspopulist. Schon aus Gründen der Gerechtigkeit. Aber dem Linkspopulismus fehlt nun mal die mediale Hebamme, er schafft es einfach nicht, das Licht der Welt zu erblicken.
Sahra Wagenknecht wäre auch dann keine Linkspopulistin, wenn es Linkspopulisten gäbe. Sie ist einfach zu kühl und zu kopfgesteuert, um im  populistischen Fach zu reüssieren. Der Torten-Antifa, deren Opfer sie neulich wurde, ist sie nicht einmal links genug. Tatsächlich hat Sahra Wagenknecht gesagt, Deutschland könne nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen. Das macht sie in den Augen Backwaren produzierender Antifaschisten wahrscheinlich zu einer Rechtspopulistin.
Egal. Ich finde es erstaunlich, mit welcher Gelassenheit sie die  braune Torte wegsteckt hat, die ihr ins Gesicht gedrückt worden ist! Ich habe den Verdacht, dass sie sich mit der Torte ausschließlich zeitgeschichtstheoretisch befasst hat, als gebackenen Beleg für die traditionelle Zersplitterung der Linken. Im übrigen ging es ruck-zuck: Frisches Make-up, Kostümwechsel von rot zu blau, und fertig. Die jungen Anhänger der angelsächsischen Polit-Opas Corbyn und Sanders würden sagen: The lady is cool. Ich sage das auch. So cool wie Sarah Wagenknecht ist keiner in der politischen Menagerie unseres Landes.  Rainer Bonhorst

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