Stationen

Donnerstag, 19. Mai 2016

Erzählte Depression

Ich möchte an dieser Stelle nochmals auf das neue Buch meines Freundes Alexander Wendt hinweisen, der in diesem Diarium bisweilen als Kollege*** umherirrlichterte. Zwar tat ich dies schon einmal im März, allerdings verschwand meine Empfehlung wieder aus dem Netz, da ich den kleinen Eckladen hier wegen gewisser arbeitsrechtlicher Streitigkeiten zwischenzeitlich schließen musste, und so sei sie denn noch einmal vorgelegt. (Dass Wendt gerade jetzt eine Rezension wiederum meines neuen Buches auf achgut platziert hat – es wird so ziemlich die einzige überhaupt bleiben –, ist nicht unbedingt ein Zufall, sondern, sagen wir, eine gute Gelegenheit.) 

Alexander Wendt behandelt in seinem Opus die Depression, seine eigene sowie die Depression als solche; es ist eine Mischung aus autobiographischer Bekenntnisschrift und Kulturgeschichte der Melancholie beziehungsweise schwarzen Galle, geschrieben mit dem Witz des Fatalisten und dem pointierten Stil eines Liebhabers der angelsächsischen Literatur. Während unsereiner mit der Depression eher kokettiert und allenfalls als Teilzeit-Schwermütiger durchginge, gehört Wendt zu den seriösen Fällen, mit Schlafstörungen, Alpträumen, Verzweiflungszuständen, Psychiatrie, Psychopharmaka und so fort. „Solange du freiwillig in die Psychiatrie gehst und nicht wie der muskulöse Mann grad eben im Erdgeschoss in Begleitung von zwei netten Polizisten, solange vollziehst du mit deiner Selbsteinweisung sogar einen Akt der Souveränität“, schreibt er. Und: „Alle Ängste beim ersten Gedanken an eine Therapie führen zu der einen Urangst, die Kontrolle über den eigenen Kopf an fremde Mächte abzugeben. Dabei verhält es sich genau umgekehrt. Solange sie nicht auf Gegenwehr trifft, besetzt die Depression eine Position nach der anderen und übernimmt manchmal zusammen mit ihrem Psychosen- und Neurosenhofstaat die totale Herrschaft. Und nur mit der Therapie beginnt über Umwege die Rückeroberung.“

Die Geschichte dieser Rückeroberung erzählt das Buch. Es ist, wie gesagt, unterhaltsam und oft amüsant geschrieben – „Wir lachen gemeinsam das Depressivenlachen, chchch, das ein bisschen nach Tbc klingt, gedämpft und lungenlos, aber egal, gelacht ist gelacht“ –, und da der Verfasser nicht nur ein schwarzgalliger, sondern obendrein ein gebildeter Mensch ist, darf der Leser einiges lernen, etwa über berühmte Depressive sowie ihre und natürlich des Autors eigene „Techniken des Durch- und Davonkommens“. Wozu besagte Psychopharmaka gehören, für deren Anwendung Wendt so ungescheut wie kenntnisreich und empirisch gestählt plädiert, denn: „Wer sich vor einer Tablette mehr fürchtet als vor seinen Zuständen, dem wünsche ich an dieser Stelle Glück.“ Nicht von einer Heilung berichtet der Autor, sondern von einem sich-Arrangieren, denn man wird die üble symbiotische Klette selten oder nie ganz los. Ein monströser, aber damit irgendwie auch exemplarischer Depressionsbewältiger war übrigens Winston Churchill, der sich mit den beiden bewährten Hausmitteln Alkohol und Arbeit behalf, sie freilich ins Maßlose dosierend – was Letztere angeht: Kriegspremier, sieben Ministerämter, 35 Bücher, 500 Gemälde, und wie man ein Flugzeug fliegt und ein Haus mauert, lernte er auch noch. Was die Arbeitsleistung berifft, kann ein depressiver Kollege wahrlich ein Segen sein, zumal er, wie ich gelegentlich lästerte, nie einen Burn-out bekommt. – Zum Buch geht's hierMK am 19. 5. 2016

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