Ich möchte an dieser
Stelle nochmals auf das neue Buch meines Freundes Alexander Wendt
hinweisen, der in diesem Diarium bisweilen als Kollege***
umherirrlichterte. Zwar tat ich dies schon einmal im März, allerdings
verschwand meine Empfehlung wieder aus dem Netz, da ich den kleinen
Eckladen hier wegen gewisser arbeitsrechtlicher Streitigkeiten
zwischenzeitlich schließen musste, und so sei sie denn noch einmal
vorgelegt. (Dass Wendt gerade jetzt eine Rezension wiederum meines neuen
Buches auf achgut
platziert hat – es wird so ziemlich die einzige überhaupt bleiben –,
ist nicht unbedingt ein Zufall, sondern, sagen wir, eine gute
Gelegenheit.)
Alexander Wendt behandelt in seinem Opus die
Depression, seine eigene sowie die Depression als solche; es ist eine
Mischung aus autobiographischer Bekenntnisschrift und Kulturgeschichte
der Melancholie beziehungsweise schwarzen Galle, geschrieben mit dem
Witz des Fatalisten und dem pointierten Stil eines Liebhabers der
angelsächsischen Literatur. Während unsereiner mit der Depression eher
kokettiert und allenfalls als Teilzeit-Schwermütiger durchginge, gehört
Wendt zu den seriösen Fällen, mit Schlafstörungen, Alpträumen,
Verzweiflungszuständen, Psychiatrie, Psychopharmaka und so fort.
„Solange du freiwillig in die Psychiatrie gehst und nicht wie der
muskulöse Mann grad eben im Erdgeschoss in Begleitung von zwei netten
Polizisten, solange vollziehst du mit deiner Selbsteinweisung sogar
einen Akt der Souveränität“, schreibt er. Und: „Alle Ängste beim ersten
Gedanken an eine Therapie führen zu der einen Urangst, die Kontrolle
über den eigenen Kopf an fremde Mächte abzugeben. Dabei verhält es sich
genau umgekehrt. Solange sie nicht auf Gegenwehr trifft, besetzt die
Depression eine Position nach der anderen und übernimmt manchmal
zusammen mit ihrem Psychosen- und Neurosenhofstaat die totale
Herrschaft. Und nur mit der Therapie beginnt über Umwege die
Rückeroberung.“
Die Geschichte dieser Rückeroberung erzählt das
Buch. Es ist, wie gesagt, unterhaltsam und oft amüsant geschrieben –
„Wir lachen gemeinsam das Depressivenlachen, chchch, das ein bisschen
nach Tbc klingt, gedämpft und lungenlos, aber egal, gelacht ist gelacht“
–, und da der Verfasser nicht nur ein schwarzgalliger, sondern
obendrein ein gebildeter Mensch ist, darf der Leser einiges lernen, etwa
über berühmte Depressive sowie ihre und natürlich des Autors eigene
„Techniken des Durch- und Davonkommens“. Wozu besagte Psychopharmaka
gehören, für deren Anwendung Wendt so ungescheut wie kenntnisreich und
empirisch gestählt plädiert, denn: „Wer sich vor einer Tablette mehr
fürchtet als vor seinen Zuständen, dem wünsche ich an dieser Stelle
Glück.“ Nicht von einer Heilung berichtet der Autor, sondern von einem
sich-Arrangieren, denn man wird die üble symbiotische Klette selten oder
nie ganz los. Ein monströser, aber damit irgendwie auch exemplarischer
Depressionsbewältiger war übrigens Winston Churchill, der sich mit den
beiden bewährten Hausmitteln Alkohol und Arbeit behalf, sie freilich ins
Maßlose dosierend – was Letztere angeht: Kriegspremier, sieben
Ministerämter, 35 Bücher, 500 Gemälde, und wie man ein Flugzeug fliegt
und ein Haus mauert, lernte er auch noch. Was die Arbeitsleistung
berifft, kann ein depressiver Kollege wahrlich ein Segen sein, zumal er,
wie ich gelegentlich lästerte, nie einen Burn-out bekommt. – Zum Buch
geht's hier. MK am 19. 5. 2016
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