Stationen

Sonntag, 8. Mai 2016

Lüge, Lüge, Lüge

Gleich ein Geständnis vorweg: ich hatte Angst. Das kommt nicht oft vor. Meist schaffe ich es, mir meine Ängste durch Reflexion oder eine gute Portion Sarkasmus vom Leib zu halten. Dieses Mal bin ich einige Monate lang damit gescheitert.
Angst, so wird allenthalben gesagt, sei ein schlechter Ratgeber. Das ist sicher richtig, auch wenn dieser Satz die letzten Monate vor allem von denen kam, die sich entweder nur in gepanzerten Limousinen und mit Bodyguards aus dem Haus wagen, oder von denen, die ihre eigene Angst vor TTIP und Kernkraftwerken als Ausweis einer höheren Moral ansehen, andere Ängste aber nicht gelten lassen.

Als vor wenigen Tagen der 30. Jahrestag des Reaktorunfalls von Tschernobyl begangen wurde, ist mir das Missverhältnis von guter Angst und böser Angst wieder ins Auge gesprungen. Der Angst vor dem „unsichtbaren Tod“  wurde in Funk und Fernsehen großer Raum eingeräumt. Dass sie eine berechtigte Angst ist, wurde dabei als selbstverständlich vorausgesetzt. Angst vor den Konsequenzen der bizarren und völlig aus dem Ruder gelaufenen Politik Angela Merkels dagegen gilt als unberechtigt, ungebildet und demokratieschädlich.
Nun gibt es schönere und freudvollere Aufgaben, als in die dunklen Verliese der eigenen Angst hinabzusteigen. In Märchen werden Ängste oft mit wilden Tieren und Drachen verbildlicht, die in dunklen Wäldern oder noch dunkleren Höhlen hausen und die der Held oder die Heldin aufsuchen und niederringen muss.

Übersetzt auf unser postheroisches Zeitalter heißt es wohl: setze dich mit deinen Ängsten an einen Tisch und redet miteinander. So habe ich es also getan (man muss ja nicht gleich zusammen beten).

Zuerst erschien ein sehr diffuser Zeitgenosse an meinem Tisch. Er wirkte irgendwie aus meiner Kindheit kommend und verpackte sich selbst gerne in ein Bild, das wiederum einem Märchen entsprungen war. Er nannte sich „der süße Brei“ und in ihm geht es um einen Zaubertopf, der einem kleinen Mädchen gehört, das ihn gut beherrscht. Eines Tages ist das Mädchen aus dem Haus, und die Mutter befiehlt dem Topf zu kochen, und der Topf kocht Brei. Den zweiten Spruch jedoch, wie der Topf auch wieder aufhört zu kochen, hat sie sich nicht gemerkt, und also hört der Topf nicht wieder damit auf und kocht und kocht „und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immer zu, die Küche und das ganze Haus voll, und das zweite Haus und dann die Straße, als wollts die ganze Welt satt machen, und ist die größte Noth, und kein Mensch weiß sich da zu helfen.“ Die ganze Stadt ist bereits unter Brei begraben, als das Kind nach Hause kommt und zu ihm nur „Töpfchen, steh“ sagt. Da hört es auf zu kochen.
Irgendwie geht das Märchen also gut aus, auch wenn es sicher lange Zeit benötigte, die Stadt wieder flott zu bekommen. Was mit der Mutter geschah, wissen wir nicht. Darüber hüllt sich das Märchen in Schweigen.

So saßen wir also zusammen am Tisch, meine Angst und ich, und mussten herzlich lachen über die Präzision, mit der die Gebrüder Grimm Seelenzustände in wunderbare kleine Geschichten zu packen vermocht hatten. Und als dann die Österreicher im Verbund mit den befreundeten Balkanstaaten endlich das Zauberwort aussprachen und der Topf zu kochen aufhörte, fiel auch der Bart der Angst ab und sie löste sich in Wohlgefallen auf.

Und so lebten wir vergnügt bis ans Ende unserer Tage? Weit gefehlt.
Die Angst vor dem unaufhörlich weiterkochenden Topf war das eine. Vielleicht war sie eine infantile unreflektierte Angst, von denen ich natürlich einige kenne. Viel größer, so stellte ich fest, war die Angst, dass der Irrsinn der Mutter, die das Zauberwörtchen ja nicht einfach nur vergessen, sondern sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden schmutzigen Tricks zeternd geweigert hatte es auszusprechen -, dass dieser Irrsinn wieder von vorne losgehen könnte. Um im Märchen zu bleiben: wer oder was hinderte die Mutter künftig daran, das Kind aus dem Haus zu jagen und den Topf wieder zum Kochen zu bringen?
Alle Bremsvorrichtungen, die eine funktionierende Demokratie vor entfesselten Fehlentscheidungen und der Machtbefugnis eines einzelnen Menschen („Führers“) schützen soll, galten als obsolet: der Bundespräsident auf Linie, das Parlament freundlicherweise selbst entmachtet, alle im Bundestag vertretenen Parteien zu einer Einheitsfront verschmolzen und die Claqueure der Kanzlerin in den Redaktionsstuben wurden auch nicht müde, sie für ihre Weisheit und Tugend zu preisen.

Spätestens, als „deutsche Kulturschaffende“ sich im März 2016 mit einem Brief und roten Rosen bei Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik bedankten („es ist Zeit, dass wir Dankeschön sagen. Angela Merkel ist eine Chefin, die es mit Souveränität schafft, die Situation zu händeln“), musste jedem halbwegs denkenden Menschen klar geworden sein, dass in weiten Teilen der deutschen Meinungselite nordkoreanische Verhältnisse ihren Einzug gehalten hatten. Wohlgemerkt: ganz freiwillig und nur aus dem Zwang der guten Gesinnung heraus.

Deutschland, soviel ließ sich festhalten, hatte auch ganz ohne staatlich gelenkte Repressionsapparate zu einer „Konsenskultur“ gefunden, die eine Eigenschaft von Kriegszeiten ist. Und Krieg herrscht seitdem. Viel weniger gegen „Flüchtlinge“ - dazu muss man nur die Zahlen der Übergriffe von „Flüchtlingen“ auf Deutsche ins Verhältnis setzen zu den Zahlen der Übergriffe von Deutschen auf „Flüchtlinge“ -, sondern vielmehr gegen jene, die auf der karitativen Begeisterungswelle partout nicht mitschwimmen wollen. War man früher Vaterlandsverräter oder Defätist, ist man heute eben Fremdenfeind oder besser gleich noch Nazi.

Nicht mitzuschwimmen ist aber zu allererst Ausweis demokratischer Reife und Ausweis einer absolut notwendigen Gewaltenteilung zwischen zu kontrollierenden Herrschern und ihre Stimme bekanntlich abgegebenen Beherrschten - und nicht der einer rechtsradikalen Gesinnung. Diesen Unterschied haben vor allem die linksliberalen Medien bis heute nicht verstanden und trommeln weiterhin das Lied der weisen Führerin, getreu dem DDR-Motto „die deutsche Öffentlichkeit erwartet begeisternde Werke über unsere Gegenwart.“

Gab es die letzten Monate irgendeine Lüge, die ausgelassen wurde, auf dass wir an sie nicht wie an ein Mantra glauben sollten? Angefangen mit den „Flüchtlingszahlen“ für das Jahr 2015, die zuerst von 400.000 auf 700.000 hochkorrigiert wurden, dann wundersam die Millionengrenze überschritten und sich schließlich bei irgendwas zwischen 1.1 und 1.4 Millionen einpendelten. So ganz genau wusste es keiner.

Heute wissen wir, dass allein in den sechs Monaten zwischen September 2015 bis März 2016 mehr als 1 Million Menschen unkontrolliert und bar jeder Verwandtnis und Verwendung nach Deutschland gekommen sind und es sich eben nicht um die gut ausgebildeten Facharbeiter, Ärzte und Ingenieure handelte, die angetreten waren, unsere Renten zu sichern.

Eine Million Menschen in sechs Monaten kann man auch herunterbrechen auf 5.000 Menschen am Tag, das ist die Bevölkerung einer deutschen Kleinstadt, die täglich über die Grenze gekommen ist. Eine Million Menschen in sechs Monaten für ein Land mit insgesamt vier Millionenstädten bedeutet die Neuansiedlung einer weiteren Millionenstadt in der Größe Kölns. Das mag demographisch alles notwendig sein, umso notwendiger wäre es dann, dass dieses Land, das seinen Bürgern eh schon eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten der Erde oktroyiert, eben diesen seinen Bürgern einen Gegenwert in Form von Kontrolle und Auswahl der Neubürger zur Verfügung stellt. Stattdessen werden die Steuer- und Abgabenlasten steigen und die Lebensqualität, die Sicherheitsstandards und das Bildungsniveau in Deutschland weiter sinken.

Der Lügen könnte man dutzende weitere hinzufügen. Die von einer friedlichen Silvesternacht in Köln beispielsweise. Oder die, dass die Anschläge in Paris und Brüssel nichts, aber auch gar nichts mit dem vollständigen Kontrollverlust an der deutschen Grenze zu tun gehabt haben („Terroristen brauchen keine offenen Grenzen“). Oder die, dass an den Zusammenrottungen zu Silvester in Deutschland ganz sicher keine Flüchtlinge beteiligt waren.
Was waren die Phrasen der herrschenden Klasse voll von „der Härte des Rechtsstaats“ und „konsequenter Abschiebung“, von „europäischer Lösung“ und „Fluchtursachenbekämpfung“. Erinnert sich noch jemand an die schalen Mantren, die die Bundeskanzlerin bei Anne Will zum Besten gab? Keine „nationalen Alleingänge“ versprach sie da, kreißte und gebar ein deutsch-türkisches Abkommen, das der Rest Europas nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt. Oder ihre Aussage auf die Frage von Anne Will, ob denn Deutschland seine Grenzen nicht schließen müsse. „Wie soll das funktionieren? Sie können die Grenze nicht schließen.“  Einige Wochen später unternehmen die Balkanstaaten und Österreich genau diesen Versuch, und siehe da, es funktioniert.

Wenn es nach Angela Merkel gegangen wäre, würden die Grenzen zwischen Griechenland und Mazedonien immer noch offen sein. Wie ein Rohrspatz schimpfte sie über die Österreicher und die Visegard-Staaten, als diese sich anschickten, die Grenzen zu schließen. „Eine schwerwiegende Rückentwicklung der Europäischen Union“, hat sie es genannt.
Hat irgendjemand aus dem Recherchenetzwerk, das unter lautem Tam-Tam die völlig unspektakulären Panama-Papers ans Licht brachte, mal nachgeforscht, wie der Türkei-Deal eigentlich hätte umgesetzt werden sollen, wenn die Balkanroute noch immer offen wäre? Müsste Griechenland dann täglich 10.000 Menschen in die Türkei zurückschicken? Oder nur die, die sich nicht mit Händen, Füßen und manchmal auch Lattenzäunen wehrten, und der die Polizei habhaft werden könnte? Und die anderen würden sich weiterhin auf den Weg nach Deutschland machen können? Was war der Plan Angela Merkels, mit einer offenen Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien die Menschen von der Wanderbewegung abzuhalten? Was haben Selbstschussanlagen an der syrisch-türkischen Grenze mit Fluchtursachenbekämpfung zu tun?

Und Hand aufs Herz: hat irgendjemand wirklich daran geglaubt, dass die Türkei, um die Visafreiheit für ihre Bürger zu erreichen, alle 72 Forderungen der EU umsetzen würde? „Es wird keinen Flüchtlingsrabatt für die Türkei geben, wenn es um die Anwendung der Visa-Spielregeln geht“, hieß es vollmundig von europäischer Seite, als das Abkommen unterzeichnet war. Heute wissen wir, dass die Türkei auf diese Forderungen pfeift und ihre Bürger trotzdem visafrei nach Europa reisen können.

Man mag heute den Begriff „Flüchtling“ gar nicht mehr in den Mund nehmen, so verseucht wurde er von den Lügen der Gutmeinenden, die es als Ausweis der richtigen Gesinnung ansehen, unter dem Begriff „Flüchtling“ alle Wanderungswilligen dieser Erde zu subsumieren, ganz egal woher sie kommen, was sie hinter sich haben und was sie hier in Deutschland vorhaben. Terroristen, Verbrecher, Glücksritter, Vergewaltiger, Kleinkriminelle, Großkriminelle, religiöse Faschisten, Judenhasser, Kriegsverbrecher - völlig egal, jeder ein Flüchtling.

Diese Leistung der Sprachbeugung, die nicht mehr meint zwischen Asylant, Immigrant und Flüchtling unterscheiden zu müssen, ist eine der vorzüglichsten Versuche einer babylonischen Denk- und Verständnisverwirrung, die Medien und Politik unternommen haben, um jede Kritik im Keim als hartherzig und unmenschlich erscheinen zu lassen. Wer kann schon etwas gegen Flüchtlinge haben?

Und wir kennen das Spiel doch: irgendwann wird Merkel weg sein und dann kommen die, die die lautesten Lügen von sich gegeben und den Druck am höchsten gehalten haben und werden den Druck bejammern, unter dem sie so schrecklich gelitten haben. Von den Grünen, die bekanntlich jeden Abend für die Gesundheit der großen Parteivorsitzenden Angela Merkel beten, mag man so viel Selbstreflektion gar nicht erwarten. Aber die Altmeiers und Taubers und Laschets dieser Republik, sie werden, allein schon aus Angst um ihre Pfründe, nicht müde werden, das Klima ihrer eigenen Unterdrückungsleistung als erdrückend zu beweinen und ihrer Erleichterung Ausdruck verleihen, dass dieser Spuk nun endlich vorüber ist. Denn ein Spuk, der sich in der Mitte Europas wie ein allen Schmutz ventilierender Entzündungsherd gebildet hatte, waren diese sechs Monate zwischen September 2015 und März 2016.

Ja, es lag ein Fluch über Deutschland, ein Bann, der die Menschen in ihre selbstverschuldete Unmündigkeit zurückgeführt hat. Heraus kam ein deutscher Veitstanz, bei dem sich alle Kräfte, die bis dahin durch die mehr oder weniger konsequente Anwendung von Zvilisationstechniken in Zaum gehalten wurden, ungebremst austoben konnten: deutsche Schuldgeilheit, argumentativer Irrsinn, hoch aufgerichtete Lügengebäude, diskursiver Schaum vor dem Mund, die alte deutsche Fratze der universal-moralischen Besserwisserei und schließlich die gesellschaftliche Selbstüberschätzung mit deutlichen Anzeichen der Selbstzerstörungslust.

Dass es die östlichen Nachbarn und Österreich waren, die uns Deutsche dieses Mal vor dem restlosen Abgleiten in den Abgrund bewahrt haben, nehme ich mit großer Dankbarkeit zur Kenntnis. Wäre es nach der deutschen Bundeskanzlerin („ich habe keinen Plan B“) und ihren Groupies gegangen, wir würden weiterhin Hunderttausende Neubürger pro Monat hinzubekommen, mit deutlicher Tendenz nach oben, denn die Sommermonate stehen erst noch bevor. Nur dass fast keine Syrer mehr darunter wären, denn die würden bekanntlich in die Türkei zurückgeschickt werden.

Und dann war sie wieder da: die Angst vor dem deutschen Irrsinn und dass dieser jederzeit wieder ausbrechen könnte. Und ich musste wieder an das Märchen von dem Topf denken, der nicht aufhört zu kochen. Und ich stellte fest, dass es nicht der Brei an Neubürgern war, vor dem ich Angst hatte. Denn ein Land kann das Zauberwort sprechen und der Topf versiegt.

Der Brei, das war vielmehr der Irrsinn des politischen Diskurs‘, die Lügen, die Beugungen und die intellektuellen Zumutungen, die diesen Diskurs so verunmöglicht haben und die kein anderes Ziel als das einer „Konsenskultur“ hatten. Hier wüsste ich gerne das Zauberwort, damit dieser überkochende Brei zum Stillstand gebracht werden kann. Der süße Brei des Konsens scheint als Wunsch so tief in den Deutschen angelegt zu sein, dass auch kein Geschichtswissen vor seiner Versuchung schützt. Ich gehe davon aus, dass dies die eigentliche Krankheit der Deutschen ist und dass es gut ist, Nachbarn zu haben, die auf diese Krankheit dann doch keine Rücksicht mehr nehmen.

Es ist ein beruhigendes Bild: Deutschland in einem rinderwahn-artigen Zustand wird von seinen kleineren Nachbarn gehalten und vor sich selbst geschützt, auf dass es nicht einfach zur Seite wegkippt. Auf eigenen Beinen scheint Deutschland noch nicht stehen zu können.   Markus Vahlefeld am 6. 5. 2016

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