Stationen

Sonntag, 28. Oktober 2018

Der heilige Scheiß

Vor einem Jahr war die Welt noch in Ordnung: Die Grünen hatten sich gerade mit dem Ruf als dauer­nölende Verbotspartei mit angemessenen vier Prozent den Rausschmiß aus dem saarländischen Landtag mehr als verdient. Frau Göring-Eckardt knirschte in die Kameras, die grünen Themen würden gerade nicht als „der heiße Scheiß der Republik“ wahrgenommen und unterbot damit nicht nur sprachlich locker das intellektuelle Niveau der eigenen Partei, sondern hatte damit wenigstens einmal vollkommen recht.
Totgesagte leben aber offenbar tatsächlich länger, und die gleiche Partei holte nun just mit denselben Themen nur ein Jahr später plötzlich 17,5 Prozent unter weiß-blauem Himmel in Bayern. Daß das Trendbarometer der Grünen nach oben schießt, sagt möglicherweise mehr über das Wahlvolk als die zu Wählenden aus, reicht aber für ordentliche Opposition. Gut, vor 20 Jahren saß man als Partei in der Bundesregierung.
Das waren noch Zeiten, als der Jürgen und der Joschka die Republik aufmischten und den hippen urbanen Lebensstil einer grünen und laktosefreien Generation lostraten. Die einstige Protestpartei war da schon einmal im Trend und an den vollen Töpfen der Macht angekommen, was langfristig aber nicht nur die Figur von Joschka Fischer, sondern auch das Selbstverständnis der Grünen ruinierte. Es ist nur ein schmaler Grat vom Revoluzzer zum Spießer.
Grüner Trend geht zum Regierenlassen
Nun begehen wir in diesem Jahr die medialen Festivitäten zu 50 Jahre 68er und fast sehnt man angesichts des heutigen Bodenpersonals die damaligen Zeiten herbei, als Linke es noch für notwendig erachteten, ihren Unsinn intellektuell zu begründen und die Radikalen noch genug Anstand hatten, nur ihre eigenen Kinder in den selbstgebastelten Kinderläden bei freiem Spiel verwahrlosen zu lassen, während man heute ganz faktenfrei auf gefühlte Kompetenz setzt und fremde Kinder staatlich fremdbetreuen läßt.
Und während Frontmann Robert Habeck als Kernkompetenz die Haare schön trägt – was ohne Frage einen gewissen Kreischfaktor bei weiblichem Wählerpotential auslöst –, zelebrierte die bayerische Spitzenkandidatin Katharina Schulze die Rolle des aufgekratzten Duracell-Häschens im Wahlkampf derart gekonnt, daß Claudia Roth fast hätte neidisch werden können.
Zum Regieren reicht es also nicht, was in Wahrheit aber doch gar nicht nötig ist, um grüne Politik durchzusetzen. Wozu sich noch die Mühe machen, den Marsch durch die Institutionen tatsächlich zu beschreiten, wenn es viel einfacher ist, andere dazu zu bringen, die eigenen Themen durchzusetzen? Der grüne Trend geht heute zum Regierenlassen.
Bayerisches Wahlergebnis erklärt sich wie von selbst
2017 versuchte ich, einem polnischen Abgeordneten in Warschau den Zickenalarm innerhalb der deutschen Feminismusszene zu erklären, was er mit einer polnischen Redewendung kommentierte: Was der Teufel nicht selbst machen kann, läßt er eine Frau erledigen. Und damit sind wir ganz unfreiwillig auch wieder bei den Grünen: Was sie nicht selbst machen können, das lassen sie eben Mutti erledigen.
So erklärt sich dann endlich auch das bayerische Wahlergebnis wie von selbst, war es doch in Wahrheit eine Wahl um die richtige Flüchtlingspolitik. Denn grüne Politik ist auch heute noch nicht wieder „ein heißer Scheiß“. Viel simpler haben all jene, die Merkels offene Grenzen gut finden, nicht die CSU, sondern grün gewählt, jene die dagegen sind, die AfD oder die Freien Wähler. So manchem Stimmbürger ist womöglich gar nicht bekannt, daß Angela Merkel gar nicht Vorsitzende der Grünen ist, sondern der Christdemokraten.
Wie soll man denn auch nicht verwirrt sein, wenn die Forderungen der einen Partei ständig von einer anderen Partei erfüllt werden? Wenn die Grünen den Atomausstieg fordern und die CDU ihn umsetzt? Die deutsche Friedensbewegung muß an Ostern gar nicht mehr raus und schon gar nicht den Kriegsdienst verweigern, weil die CDU die Wehrpflicht abgeschafft hat, und das „Frieden schaffen ohne Waffen“ hat dank Ursula von der Leyens Strategie der mangelnden Einsatzbereitschaft der Truppe einen ganz eigenen Höhepunkt erreicht.
Damit es ihr kein Grüner wegschnappt, hat die Kanzlerin die Homoehe schnell noch auf der Couch einer Frauenzeitschrift selbst in die Wege geleitet, und die Lobbyarbeit regenbogenfarbener, antiimperialistischer Staatsfeinde wird brav mit staatlichem Geld durchsubventioniert. Hauptsache gegen Rechts!
Die deutsche Automobilindustrie kriegen sie bestimmt auch noch tot
Zum Zelebrieren der Freien Liebe braucht es nicht mehr die Kommune 1 und auch keine BUMS-AGs der Grünen Jugend, sondern nur noch den Sexualkundeunterricht in einer baden-württembergischen Grundschule nach Lehrplan. Jeder Hügel, der es wagt, mehr als 50 Meter über den Meeresspiegel herauszulugen, ist in der Amtszeit der Groko mit Windrädern zugepflastert worden, die Klimarettung ist Chefsache im Kanzleramt, und die deutsche Automobilindustrie kriegen sie sicher auch noch tot. Man ist da auf einem guten Weg. Hoch lebe das Fahrrad.
Nicht zuletzt wird von Deutschland, diesem „miesen Stück Scheiße“, wie man es auf liebevoll bemalten Plakaten linker Demos lesen kann, bald sowieso nicht mehr viel übrig sein, wenn die CDU die Tür zum Hof noch eine Weile für die unterdrückten Massen dieser Welt sperrangelweit offen stehen läßt.
Wenn man den Grünen also einen Tip geben wollte, um ihre Schlagkraft zu erhöhen: Um Himmels Willen sollten sie sich nie wieder an einer Regierung beteiligen. Niemals waren sie mit ihren Forderungen erfolgreicher als in den Zeiten, in denen man dachte, sie hätten nichts zu melden.   Birgit Kelle