Vor einem Jahr war die Welt noch in Ordnung: Die Grünen hatten sich
gerade mit dem Ruf als dauernölende Verbotspartei mit angemessenen vier
Prozent den Rausschmiß aus dem saarländischen Landtag mehr als
verdient. Frau Göring-Eckardt knirschte in die Kameras, die grünen
Themen würden gerade nicht als „der heiße Scheiß der Republik“
wahrgenommen und unterbot damit nicht nur sprachlich locker das
intellektuelle Niveau der eigenen Partei, sondern hatte damit wenigstens
einmal vollkommen recht.
Totgesagte leben aber offenbar tatsächlich länger, und die gleiche
Partei holte nun just mit denselben Themen nur ein Jahr später plötzlich
17,5 Prozent unter weiß-blauem Himmel in Bayern. Daß das Trendbarometer
der Grünen nach oben schießt, sagt möglicherweise mehr über das
Wahlvolk als die zu Wählenden aus, reicht aber für ordentliche
Opposition. Gut, vor 20 Jahren saß man als Partei in der
Bundesregierung.
Das waren noch Zeiten, als der Jürgen und der Joschka die Republik
aufmischten und den hippen urbanen Lebensstil einer grünen und
laktosefreien Generation lostraten. Die einstige Protestpartei war da
schon einmal im Trend und an den vollen Töpfen der Macht angekommen, was
langfristig aber nicht nur die Figur von Joschka Fischer, sondern auch
das Selbstverständnis der Grünen ruinierte. Es ist nur ein schmaler Grat
vom Revoluzzer zum Spießer.
Grüner Trend geht zum Regierenlassen
Nun begehen wir in diesem Jahr die medialen Festivitäten zu 50 Jahre
68er und fast sehnt man angesichts des heutigen Bodenpersonals die
damaligen Zeiten herbei, als Linke es noch für notwendig erachteten,
ihren Unsinn intellektuell zu begründen und die Radikalen noch genug
Anstand hatten, nur ihre eigenen Kinder in den selbstgebastelten
Kinderläden bei freiem Spiel verwahrlosen zu lassen, während man heute
ganz faktenfrei auf gefühlte Kompetenz setzt und fremde Kinder staatlich
fremdbetreuen läßt.
Und während Frontmann Robert Habeck als Kernkompetenz die Haare schön
trägt – was ohne Frage einen gewissen Kreischfaktor bei weiblichem
Wählerpotential auslöst –, zelebrierte die bayerische Spitzenkandidatin
Katharina Schulze die Rolle des aufgekratzten Duracell-Häschens im
Wahlkampf derart gekonnt, daß Claudia Roth fast hätte neidisch werden
können.
Zum Regieren reicht es also nicht, was in Wahrheit aber doch gar
nicht nötig ist, um grüne Politik durchzusetzen. Wozu sich noch die Mühe
machen, den Marsch durch die Institutionen tatsächlich zu beschreiten,
wenn es viel einfacher ist, andere dazu zu bringen, die eigenen Themen
durchzusetzen? Der grüne Trend geht heute zum Regierenlassen.
Bayerisches Wahlergebnis erklärt sich wie von selbst
2017 versuchte ich, einem polnischen Abgeordneten in Warschau den
Zickenalarm innerhalb der deutschen Feminismusszene zu erklären, was er
mit einer polnischen Redewendung kommentierte: Was der Teufel nicht
selbst machen kann, läßt er eine Frau erledigen. Und damit sind wir ganz
unfreiwillig auch wieder bei den Grünen: Was sie nicht selbst machen
können, das lassen sie eben Mutti erledigen.
So erklärt sich dann endlich auch das bayerische Wahlergebnis wie von
selbst, war es doch in Wahrheit eine Wahl um die richtige
Flüchtlingspolitik. Denn grüne Politik ist auch heute noch nicht wieder
„ein heißer Scheiß“. Viel simpler haben all jene, die Merkels offene
Grenzen gut finden, nicht die CSU, sondern grün gewählt, jene die
dagegen sind, die AfD oder die Freien Wähler. So manchem Stimmbürger ist
womöglich gar nicht bekannt, daß Angela Merkel gar nicht Vorsitzende
der Grünen ist, sondern der Christdemokraten.
Wie soll man denn auch nicht verwirrt sein, wenn die Forderungen der
einen Partei ständig von einer anderen Partei erfüllt werden? Wenn die
Grünen den Atomausstieg fordern und die CDU ihn umsetzt? Die deutsche
Friedensbewegung muß an Ostern gar nicht mehr raus und schon gar nicht
den Kriegsdienst verweigern, weil die CDU die Wehrpflicht abgeschafft
hat, und das „Frieden schaffen ohne Waffen“ hat dank Ursula von der
Leyens Strategie der mangelnden Einsatzbereitschaft der Truppe einen
ganz eigenen Höhepunkt erreicht.
Damit es ihr kein Grüner wegschnappt, hat die Kanzlerin die Homoehe
schnell noch auf der Couch einer Frauenzeitschrift selbst in die Wege
geleitet, und die Lobbyarbeit regenbogenfarbener, antiimperialistischer
Staatsfeinde wird brav mit staatlichem Geld durchsubventioniert.
Hauptsache gegen Rechts!
Die deutsche Automobilindustrie kriegen sie bestimmt auch noch tot
Zum Zelebrieren der Freien Liebe braucht es nicht mehr die Kommune 1
und auch keine BUMS-AGs der Grünen Jugend, sondern nur noch den
Sexualkundeunterricht in einer baden-württembergischen Grundschule nach
Lehrplan. Jeder Hügel, der es wagt, mehr als 50 Meter über den
Meeresspiegel herauszulugen, ist in der Amtszeit der Groko mit
Windrädern zugepflastert worden, die Klimarettung ist Chefsache im
Kanzleramt, und die deutsche Automobilindustrie kriegen sie sicher auch
noch tot. Man ist da auf einem guten Weg. Hoch lebe das Fahrrad.
Nicht zuletzt wird von Deutschland, diesem „miesen Stück Scheiße“,
wie man es auf liebevoll bemalten Plakaten linker Demos lesen kann, bald
sowieso nicht mehr viel übrig sein, wenn die CDU die Tür zum Hof noch
eine Weile für die unterdrückten Massen dieser Welt sperrangelweit offen
stehen läßt.
Wenn man den Grünen also einen Tip geben wollte, um ihre Schlagkraft
zu erhöhen: Um Himmels Willen sollten sie sich nie wieder an einer
Regierung beteiligen. Niemals waren sie mit ihren Forderungen
erfolgreicher als in den Zeiten, in denen man dachte, sie hätten nichts
zu melden. Birgit Kelle