Facebook musste in den letzten Monaten vor
deutschen Gerichten eine ganze Serie von juristischen Niederlagen
hinnehmen. Jedes dieser Urteile entzieht auch dem von Heiko Maas 2017
auf den Weg gebrachten Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein Stück
Legitimität. Gegen das Zensurgesetz läuft mittlerweile auch eine
Verfassungsklage in Karlsruhe.
Ein
aktuelles Urteil des Landgerichts Bamberg ragt aus den Urteilen gegen
die Plattform heraus. Erstens, weil es eine besonders brisante
Meinungsunterdrückung durch Facebook durchkreuzte. Und zweitens, weil
das Urteil deutlich über den konkreten Fall hinausgeht.
Worum ging es? Ein Facebook-Nutzer hatte im Juni 2018 auf seiner Facebook-Seite für die „Petition 2018“ geworben. „Wer diese Erklärung noch nicht unterschieben hat, soll das bitte bis zum 17.6. tun“,
postete er zusammen mit dem Begründungstext der Petition, die eine
andere Migrationspolitik verlangt, und setzte dazu den Link zu der Seite
des Bundestags, auf der der Text zu finden war. Dafür sperrte ihn der
kalifornische Konzern wegen „Hassrede“ für 30 Tage.
Es
ging bei dieser Maßnahme also nicht nur um die Unterdrückung einer
Nutzermeinung – Facebook stufte auch den Text der Petition auf der vom
zuständigen Bundestagsausschuss freigeschalteten Seite implizit als „Hass“
ein. Dagegen reichte der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel für
den Nutzer Klage ein. Der Nutzer selbst hätte sich das Vorgehen
finanziell nicht leisten können. Der Publizist Michael Klonovsky, die
CDU-Politikerin Vera Lengsfeld und Publico starteten deshalb eine
Geldsammlung, um den Fall notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht
durchzuklagen. Das Budget reicht mittlerweile nicht nur dafür, sondern
auch für Klagen in ähnlichen Fällen.
Das Landgericht Bamberg
urteilte am 18. Oktober, die Löschung des Posts und die Sperre des
Nutzers sei unrechtmäßig. Facebook habe diesen Post bei Wiederholung
(und ähnlichen Veröffentlichungen) zu dulden. Inzwischen liegt auch die
Begründung des Gerichts auf 24 Seiten vor.
Bemerkenswert war die
Argumentation, mit der die Facebook-Anwälte die Petition 2018 zu einer
Hass-Äußerung stempeln wollten. In dem Begründungstext zur Petition
heißt es unter anderem:
„Die Auswirkungen der ungesteuerten
und unkontrollierten Migration zeigen sich schon jetzt im öffentlichen
Raum, in unseren Schulen und öffentlichen Verwaltungen. Vor allem in
Ballungszentren ist die Zahl der Rohheitsdelikte, der Gewalt auf Straßen
und Plätzen und der Sexualdelikte stark gestiegen. Der Anteil der
Asylbewerber übersteigt deutlich deren Anteil an der Bevölkerung. In
Bayern beispielsweise stieg die Zahl der Sexualstraftaten vom 1.
Halbjahr 2016 zum 1. Halbjahr 2017 um 48 Prozent, die Zahl der von
Asylbewerbern begangenen Straftaten um 91 Prozent.“
Diese
zitierte Statistik, so die Anwälte, sei falsch und vom bayerischen
Innenministerium auch schon längst korrigiert worden. Die Autoren der
Petition 2018 würden also eine Falschnachricht verbreiten mit dem Ziel, „Hass“ zu schüren.
Tatsächlich
gab es eine Korrektur. Hätten die Facebook-Anwälte gründlich gelesen,
hätten sie allerdings auch gemerkt, dass die Autoren der Petition 2018
den Sachverhalt korrekt dargestellt hatten. Bei der Vorstellung der
Kriminalstatistik hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann zunächst
gesagt, die Zahl der Vergewaltigungen in Bayern sei innerhalb eines Jahres um 48 Prozent gestiegen. So berichteten auch die allermeisten Medien hier oder hier. Kurz darauf korrigierte sich der CSU-Politiker: Nicht die Zahl der Vergewaltigungen, sondern der schweren Sexualdelikte insgesamt sei in dieser Höhe gestiegen. Auch über diese Korrektur berichteten die meisten Medien.
Von den insgesamt 685 schweren Sexualdelikten im ersten Halbjahr 2017
wurden 126 durch Nicht-EU-Zuwanderer begangen. Diese Gruppe hatte einen
Anteil von 18 Prozent an den Delikten.
Und so – in der
korrigierten Form – stand der Sachverhalt dann auch im Petitionstext.
Offenbar hatten die Facebook-Anwälte beziehungsweise deren Helfer beim
Googlen nur Überschriften wie „Herrmann korrigiert Angaben“ gesehen und danach nicht mehr weitergelesen.
Die
Bamberger Richter erörterten dieses zentrale Argument von Facebook
wegen seiner Leichtgewichtigkeit nur kurz und stellten einige
grundsätzliche Dinge fest. Vor allem stellten sie klar, dass Facebook
eben nicht sein „digitales Hausrecht“ nach Belieben ausüben
kann. Zwischen Facebook und Nutzer besteht ein Vertrag: Der Nutzer zahlt
mit seinen Daten, dafür darf er seine Meinungsäußerungen
veröffentlichen: Die Plattform „ist Aufgrund des geschlossenen
Vertrags rechtsverbindlich eine Verpflichtung eingegangen, grundsätzlich
Kommentare bzw. deren Veröffentlichung und teilen zu dulden.“
Unterbinden, also löschen und sperren, dürfe Facebook, so die Richter,
nur in eng definierten Grenzen ihrer eigenen so genannten
Gemeinschaftsstandards. Diese Standards definieren auch „Hassrede“, und zwar folgendermaßen: „Wir
definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund
geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft,
religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Kaste, Geschlecht,
Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Auch
Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft.“ Dort heißt es übrigens auch:
„Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussion über die Einschränkung dieser Gesetze zu.“
An diesen selbst gesetzten Regeln, so das Gericht, müsse Facebook sich messen lassen. Und hält fest: „Die
Erklärung 2018, die Gegenstand einer laufenden Petition im Bundestag
ist, stellt keine ‚Hassrede’ im Sinne der Gemeinschaftsstandards dar.“ Das gleiche gelte natürlich auch für den Kommentar – den Aufruf, die Petition zu unterzeichnen.
Und weiter:
„Zwar enthält die Erklärung 2018 Tatsachen und Wertungen auch
hinsichtlich illegaler Einwanderung, allerdings sind diese bezogen auf
einen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionspunkt,
fußend auf der Einwanderungs(grenz)politik und damit Teil dessen, was
die Verfügungsbeklagte aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung als Meinung
im Sinne des Artikels 5 Grundgesetz zuzulassen hat.“
An einer
anderen Stelle urteilen die Richter explizit: Grundrechte, vor allem
Artikel 5 Grundgesetz, die geschützte Meinungsfreiheit, seien von
Facebook wegen dessen „Quasi-Monopolstellung in erhöhtem Maße zu beachten“.
Natürlich
werden Facebook-Manager es niemals einräumen: aber die Löschungspolitik
in Deutschland folgt ganz offensichtlich der Richtung, die das NetzDG
von Heiko Maas vorgibt. Im April 2018 hatte Joachim Steinhöfel vor dem
Landgericht Hamburg durchgesetzt, dass Facebook den Kommentar „Nazi-Drecksau“,
den ein Nutzer gegen die AfD-Politikerin Alice Weidel richtete,
vollständig löschen musste. Der Facebook-User war außerdem noch
beleidigend darüber hergezogen, dass Weidel mit einer Frau zusammenlebt.
Facebook
hatte zunächst gemeint, der Post verstoße nicht gegen seine
Gemeinschaftsstandards, und ließ ihn stehen. Ein Zitat aus der
Kriminalstatistik des bayerischen Innenministeriums dagegen – siehe oben
– qualifiziert es als „Hassrede“, bis ein Gericht das Unternehmen aus Menlo Park auf die eigenen Richtlinien hinwies.
Das
kalifornische Unternehmen ist eben nicht das der freien Rede
verpflichtete globale Netzwerk, sondern eine Firma, die sich von Land zu
Land den herrschenden politischen Erwartungen und Zensurvorschriften geschmeidig anpasst.
Daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Effizienter als die
Reformation des Zuckerberg-Imperiums ist es allemal, das
Netzwerk-Durchsetzungsgesetz zu kippen, und bis dahin die
Willkürentscheidungen von Facebook vor deutschen Gerichten
kaputtzuklagen.
Ob Facebook gegen das Bamberger Urteil in die
nächste Instanz geht – das ist noch offen. Es fehlt, wie gesagt, nicht
an Mitteln, um dagegen zu halten.
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Stellenwert der Meinungsfreiheit in dem sozialen Netzwerk wäre sogar zu begrüßen. Wendt (kämpferisch)