Stationen

Sonntag, 28. Oktober 2018

Traurig aber wahr

Der Jargon der Betroffenheitsfächer ist beim Zentrum für Antisemitismusforschung angekommen. Unser Gastautor Jörg Metes spürt ihm nach im Buch des Soziologen Luis Manuel Hernández Aguilar, der am Zentrum für Antisemitismusforschung alles mögliche macht, nur nicht zum Antisemitismus forschen.
»Soziale Polarisierung«, schreibt der mexikanische Soziologe Luis Manuel Hernández Aguilar, »überschneidet sich grammatikalisch mit dem Integrationsdiskurs«.
Er schreibt es in einem 2018 erschienenen Buch, das wiederum auf seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 2015 beruht (Betreuung: Prof. Dr. Kira Kosnick, Frankfurt am Main).[1] Er schreibt es im Original auf englisch, doch sein Englisch ist ein ganz besonderes:
»Social polarization grammatically overlaps with the discourse on integration«.
Es ist postmodernes akademisches Englisch. Es ist eine Sektensprache. Der Satz steht in Hernández Aguilars Buch auf Seite 151, auf anderen Seiten stehen ähnliche Sätze, und in der Regel sind sie ähnlich sinnlos. Im wirklichen Leben überschneiden sich Polarisierungen, ob grammatikalisch oder sonstwie, natürlich mit gar nichts, mit Diskursen ebensowenig wie etwa mit – der Satz geht noch weiter – Rationalitäten:
»Social polarization grammatically overlaps with the discourse on integration and thus with the biopolitical rationality of defending the society by preventive means.«
Es ist eine Sekten-, aber auch eine Gaunersprache. Sie soll Verwirrung stiften. Wörter werden gerade dort verwendet, wo sie nicht hingehören. Der Historiker Richard Jenkyns hat es einmal am Beispiel des Wortes »precisely« aufgezeigt: »it is interesting to observe«, schrieb er, »how frequently the word ›precisely‹ is found in a certain type of academic prose, almost always used where ›imprecisely‹ would be more accurate«.[2]
Hernández Aguilar verwendet das Wort »precisely« in seinem Buch nicht weniger als dreißigmal. Gegenstand des Buchs ist die Deutsche Islamkonferenz (DIK), und Ziel ist es offenbar, im Zusammenhang mit ihr möglichst oft auch Wörter wie »racism« und »racist« unterzubringen:
»Precisely, I contend the German Islam Conference can be seen as the inscription of racism against Muslims within the structures of the state.«
Hernández Aguilar schreibt es auf Seite 17. Tatsächlich hat er die Wörter »racism« und »racist« am Ende sogar nicht weniger als 150mal untergebracht. Bis dahin allerdings haben sie längst jeden Sinn verloren. Alles ist Rassismus. Behandelt man Muslime anders, diskriminiert man sie, behandelt man sie nicht anders, diskriminiert man sie aber auch.
Hernández Aguilar ist ein Gauner, der hoch hinauswill. Bekannt wurde er dieser Tage dadurch, daß er gleichzeitig für eine antisemitische Organisation in London und für ein Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin gearbeitet hat.[3] Zu den Vordenkern, auf die er sich in seinem Buch beruft, gehören überdies international namhafte Antisemiten wie Judith Butler, Hamid Dabashi oder Joseph Massad. Das Zentrum für Antisemitismusforschung verteidigt seinen Mitarbeiter zwar; die Vorwürfe gegen Hernández Aguilar, heißt es in einer Pressemitteilung, seien größtenteils »eine Ansammlung verleumderischer Unterstellungen, die an Rufmord grenzen«.[4] Doch tatsächlich ist es Hernández Aguilar selbst, der Rufmord betreibt. Auf Seite 221 seines Buchs nämlich findet sich ein altes Gerücht wieder, das eigentlich schon verstummt war.
Das Gerücht, ursprünglich ein Rufmord von Lamya Kaddor an Necla Kelek, ist vor knapp einem Jahr verstummt; seither kennt man seine Entstehungs- und Ausbreitungsgeschichte.[5] Jahrelang hatten postmoderne Wissenschaftler und Journalisten es einfach nur ungeprüft weitererzählt: muslimische Männer, habe Necla Kelek einmal gesagt, hätten eine besondere Neigung zur Sodomie. Das Gerücht ist widerlegt; in Wahrheit hat Kelek das nur in der Einbildung von Lamya Kaddor gesagt.
Hernández Aguilar aber verbreitet es in seinem Buch jetzt aufs neue. Er holt das Gerücht wieder hervor, belegt es mit einem von ihm selbst manipulierten Zitat, sieht darin einen Beweis für etwas, das er als eine »latent structure constantly circulating a racial image of Muslims« bezeichnet, »precisely« natürlich, und fragt schließlich[6]:
»[H]ow it is possible that someone can state that millions of Muslim men commit zoophilia due to their religion (…) ?«
Am 13. Dezember wird vor dem Landgericht Berlin endlich eine Unterlassungsklage Necla Keleks gegen Lamya Kaddor verhandelt. Es ist schwer vorstellbar, daß Kelek nicht gewinnt. Es ist schwer vorstellbar, daß damit nicht auch Hernández Aguilar des Falschzitierens und der üblen Nachrede überführt sein wird. Daß freilich das Zentrum für Antisemitismusforschung gleichwohl zu ihm halten und von ihm auch weiterhin als von einem »international ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Islamfeindschaft« sprechen wird[7]: das leider ist nur allzu gut vorstellbar.

[1] Luis Manuel Hernández Aguilar, Governing Muslims and Islam in Contemporary Germany, Leiden; Boston (Brill) 2018, https://brill.com/abstract/title/35234
[2] Richard Jenkyns, Mother Tongue, Prospect Magazine January 2005, https://linguaphiles.livejournal.com/1283058.html?nojs=1
[3] Alex Feuerherdt, Zentrum für Antisemitismusforschung: Flaggschiff in selbst verschuldeter Seenot, mena-watch, 19. Oktober 2018, https://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/zentrum-fuer-antisemitismusforschung-flaggschiff-in-selbst-verschuldeter-seenot/
[4] Pressestelle TU Berlin, Medieninformation Nr. 209/2018, 16. Oktober 2016, https://www.pressestelle.tu-berlin.de/?200043
[5] Jörg Metes, Lamya Kaddor stalkt Necla Kelek, Ruhrbarone, 17. Dezember 2017, https://www.ruhrbarone.de/lamya-kaddor-stalkt-necla-kelek/150052
[6] S. 221n: »In an interview with the German public-service television broadcaster, Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) program Forum on Friday—a program that specifically targets at Muslims in Germany but probably has a wider audience—Kelek further argued about the consequences of the incapability of Muslim men to restrain their sexual urges on account of what the Qurʾan allegedly stipulated. In the interview, she delved into her book Himmelreise, the national soccer team as an example of integration, Islam as an apartheid system, her own position as a Muslim, and also about the zoophilia of Muslim men, ›The people [Muslims] do not have the ability to control their sexuality. This is particular true of men. In fact, a man is under constant pressure and must give in to his sexuality. He must empty himself, that’s how it’s called, and when he does not find a woman, then an animal will do, or any other possibility … and this is well established in the population. There is consensus about this‹ (Kelek in: Safiarian & Kelek, 2010 [author’s translation]). These kinds of statements, aside from their dehumanizing effects, are only possible to be uttered in a television program on account of a latent structure constantly circulating a racial image of Muslims. Said (1978, 301) while arguing about latent Orientalism pointed out that nowadays no one would dare risk to make the kind of statements that are uttered about Muslims with regard to other groups, and that is precisely one of the effects of Orientalism’s cultural hegemony, i.e., how it is possible that someone can state that millions of Muslim men commit zoophilia due to their religion with such an authority on a national television program aimed to Muslims?«
[7] Frederik Schindler, Dubiose Zusammenarbeit, taz.de, 8.10.2018, http://www.taz.de/!5542019/   Ruhrbarone