Stationen

Dienstag, 23. Oktober 2018

Sloterdijk

Der Philosoph aus Karlsruhe arbeitet in seiner Tagebuchserie schon seit vielen Jahren als Chronist des großen Theaters im eigenen Kopf. Dort geht es nie langweilig zu, sondern wie in einer Mischung aus der Schule von Athen und Varieté. Sloterdijk unterhält sein Publikum auf gleichbleibend artistischem Niveau, egal, ob er eine erweiterte Zeitungsschau liefert, Berichte über seine Radausflüge, intellektuellen Klatsch oder Kristallisationskerne künftiger Bücher. Einer dieser Kerne liest sich so: „Nichts ist so europäisch wie der Vorwurf, europäische Grundsätze würden zu selektiv angewendet“, schreibt der Autor hellsichtig in einem Eintrag am 16. September 2011: „Stellen wir die Frage probeweise andersherum: warum werden keine iranischen Preise für die Verteidigung der Menschenrechte verliehen? Wo ist die arabische Nation, die politischen Flüchtlingen aus Osteuropa Sozialhilfe gewährt? Wo ist das afrikanische Land, das seinen Arbeitslosen ein Minimaleinkommen garantiert? Es sind Europäer und immer nur sie, samt ihrer Filialkulturen jenseits der Ozeane, die hohe moralische Standards aufrichten, bis hin zur Ebene von Grundrechtserklärungen, und dann sich selbst geißeln, und zur Kritik von außen einladen, wenn sie nicht imstande sind, sie vollständig zu erfüllen.“
Dass die neue Ausgabe von „Zeilen und Tage“ 2013 endet, hat die Qualität eines Cliffhangers: viele luzide Skizzen dieser Art dürften sich in seinen hoffentlich schnell folgenden Einträgen nach 2015 zu großen Panoramen entfalten.    Wendt