Die „Süddeutsche“ muss auf die Seite der
dunklen Macht gewechselt sein. Am 23. Oktober erschien dort ein
Kommentar von Innenpolitik-Chef Heribert Prantl mit der Überschrift: „Giftige Merkel“. Weiter heißt es bei Prantl: „Was Angela Merkel plant, kann man als gemeingefährliche Vergiftung bezeichnen.“
Grundsatzkritik an der Kanzlerin ist in einem großen Teil der Medien sehr rar geworden.
Erst Recht in diesem Duktus, der sonst üblicherweise in die Massenrubrik Hass & Hetze fällt. Worum ging es?Prantl
hält der Kanzlerin gemeingefährliche Vergiftung vor, weil sie – im
Lichte der miserablen Wahlprognosen für Hessen – allen Ernstes plant,
den Grenzwert für Stickstoffoxide im Straßenverkehr etwas höher als 40
Mikrogramm pro Kubikmeter Luft anzusetzen, um Dieselfahrverbote in
Städten zu vermeiden. Nach ihren Plänen soll in Zukunft auch eine
Überschreitung dieser 40 Mikrogramm um 25 Prozent im Jahresmittel noch
zulässig sein.
In die gleichen Ausgabe der „Süddeutschen“ rückte die Redaktion ein vermeintliches Erklärstück unter der Überschrift „Die magischen 40“, um ihren Lesern die gemeingefährliche Vergiftung deutlich zu machen. „Die magische Zahl lautet 40“, schreibt das Münchner Blatt. „Gemeint
ist der Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid: überschreitet das
giftige Gas im Durchschnitt der Messungen eine Konzentration von 40
Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, dann wird es kritisch – für die
Gesundheit und für die Fahrer von Dieselautos.“
Die
Behauptung ist – was die Gesundheit angeht – reine Fake News. Bis heute
existiert kein Beleg dafür, dass eine Stickoxidkonzentration über 40
Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft zu messbaren Gesundheitsschäden
führt. Wie auch? Der Grenzwert für die Stickstoffoxidkonzentration an
gewerblichen Arbeitsplätzen liegt in Deutschland und der gesamten EU bei
950 Mikrogramm „maximaler Arbeitsplatzkonzentration“ (MAK). Wäre die Erhöhung des Toleranzbereichs im Straßenverkehr auf 50 Mikrogramm tatsächlich „gemeingefährliche Vergiftung“,
dann liefen die fast zwanzigmal höheren Limits für Büros und Werkhallen
folglich auf permanenten Massenmord hinaus. Selbst in Büros lassen die „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“
der Bundesanstalt bis zu 60 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zu. Die
Grenze zur messbaren Gesundheitsschädigung liegt noch deutlich höher als
950 Mikrogramm Stickstoffoxid. In der Vergangenheit richtete sich auch
die Politik der Bundesregierung danach aus. So heißt es etwa im Bundesgesundheitsblatt 1/98 von 1998:
„Bei
kontrollierten klinischen Studien an Gesunden werden Konzentrationen
über 1 ppm (I880 Mikrogramm/m3) benötigt, um bei kurzfristiger
Exposition (zwischen zehn Minuten und zwei Stunden) bei gesunden
Probanden messbare Veränderungen von Lungenfunktionsparametern
hervorzurufen.“
Nun könnte jemand einwenden: das war der
Wissensstand vor 20 Jahren. Aber es gilt nach wie vor – für einen
Zusammenhang von mäßiger Stickstoffoxidbelastung noch über dem Richtwert
für Büros und Gesundheitsschäden gibt es keinen seriösen Nachweis. An
der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen führte der
Toxikologe Thomas Kraus 2013 entsprechende Versuche mit entsprechenden
Probanden durch; er veröffentlichte die Ergebnisse 2016. Als der so
genannte Diesel-Skandal ins Rollen kam, überschlugen sich etliche
Medien: Geheime Menschenversuche, Abgastests an Menschen, unethisch! Für
viele Journalisten war es offenbar tatsächlich eine Neuigkeit, dass
toxikologische Versuche an aufgeklärten Probanden etwas völlig Übliches
sind, genau so wie die Erprobung von Medikamenten an Menschen. Die
klinische Erprobung von Arzneimitteln an Menschen – an wem auch sonst? –
ist sogar gesetzlich vorgeschrieben. Der Versuch in Aachen war auch
weder geheim noch ethisch problematisch – er war ordnungsgemäß von der
Ethikkommission der Hochschule geprüft und genehmigt worden. Trotzdem
behauptete der Sprecher der Tagesschau vom 29. Januar 2018 mit hochbesorgter Miene, es habe sich ja wohl um eine „menschenverachtende Studie“
gehandelt. Selbst der zugeschaltete ARD-Redakteur Werner Eckert, eine
Art öffentlich-rechtliche grüne Hochinstanz, erklärte dann zwar, mit dem
Experiment sei alles in Ordnung gewesen. Aber „menschenverachtend“ – das Klingelwort hatte sich bei den Zuschauern schon festgesetzt. Der notorische ARD-„Faktenfinder“ Patrick Gensing fabulierte, die von der Autoindustrie organisierte “Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor” (EUGT) habe den Versuch in Aachen „durchgeführt“.
In Wirklichkeit war das Studiendesign von Kraus und dessen Kollegen
entworfen worden – erst dann hatte die EUGT sich entschieden, die Studie
zu finanzieren.
Nur ganz am Rande erfuhren die Qualitätsmediennutzer etwas über das Ergebnis
des Versuchs in Aachen: Auch bei einer Belastung mit deutlich mehr als
60 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter Luft zeigten sich bei den
Probanden keine erhöhten Entzündungsreaktionen, geschweige denn
dauerhafte Gesundheitsschäden.
Umgekehrt existiert bis heute kein
einziger Test, der das Gegenteil belegen würde. Zurück zu Merkel: Sie
wusste und weiß offenbar sehr gut, dass der EU-Grenzwert von 40
Mikrogramm für Straßenverkehr völlig absurd ist. Warum er trotzdem in
Kraft treten konnte, wieso die Bundesregierung dagegen nichts unternahm,
welche Rolle dabei der Abmahnverein “Deutsche Umwelthilfe” spielt, der
wiederum Geld von Toyota (und vom deutschen Steuerzahler)
erhält – das sollte das Thema eines Bundestags-Untersuchungsausschusses
werden. Bisher tat Merkel nichts gegen einen Grenzwert, dessen
praktische Auswirkung die deutsche Dieseltechnik erdrosselt. Aber erst
jetzt, ein Wahldesaster in Hessen vor Augen, versucht sie ein
bemerkenswertes Manöver. Sie zwinkert den Medien und den Dieselfahrern
zu und meint: Kommt, wir wissen doch, dass der Grenzwert von 40 völlig
irrational ist, selbst bei 50 und darüber treten keine echten, also
gemeint: irgendwie messbaren Probleme auf. Liebe Medien, ich baue
einfach eine kleine Toleranz nach oben ein, damit die CDU in Hessen
nicht völlig abschmiert und ich meine von euch, lieber Heribert Prantl,
so geschätzte Politik weiter exekutieren kann.
Sie spricht also
noch nicht einmal die offenkundige Wahrheit aus, dass es überhaupt
keinen so genannten Dieselskandal gäbe, wenn der Grenzwert für Straßen
dort liegen würde, wo der Richtwert für Büros liegt, ganz zu schweigen
von dem Grenzwert 950 Mikrogramm für gewerbliche Jobs. Sie plädiert in
ihrer Not nur für ein klitzekleines Stück Rationalität. Und genau dafür
schlägt ihr Heribert Prantl ins Gesicht: „Gemeingefährliche Vergiftung“.
Nun
erklärt sich diese Reaktion sicherlich auch mit der
naturwissenschaftlichen Ignoranz beziehungsweise dem grünen
Obskurantismus vieler Medien. Es sind schließlich die gleichen Medien,
die Berichte über den CO2-Ausstoß regelmäßig mit Fotos von
Kraftwerkskühltürmen illustrieren, die allerdings Wasserdampf statt CO2
ausblasen – was allerdings optisch eindrucksvoller aussieht. Es sind die
gleichen Journalisten, die auf den Umstand, dass in der so genannten
Dunkelflaute zum Jahresanfang die erneuerbaren Energien weniger als zwei
Prozent des deutschen Strombedarfs decken, schlau antworten: dann
müssten eben mehr Windräder aufgestellt werden.
Aber Merkels
Kalkulation, sie könnte in der Not und mit Hinweis aufs übergeordnete
Ganze eine ganz kleine Kurskorrektur vornehmen, ohne einen Liebesentzug
durch ihre Begleitmedien zu erleiden – diese Kalkulation geht schon aus
dem Grund schief, weil an einem Punkt dann eben doch die Interessen
beider Seiten auseinanderlaufen. Die CDU-Chefin hatte immer gehofft,
grüne Themen übernehmen zu können, aber in einer Weise, dass es für ihre
Partei noch irgendwie reicht. Zu ihrer großen Überraschung profitieren
von einer Vergrünung der CDU nur die Grünen. In der letzten Wahlumfrage
zu Hessen liegt eine Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei trotz des
moribunden Zustands der SPD bei 50 Prozent.
Die CDU könnte in die Opposition geschickt werden. Aus Sicht von
Heribert Prantl stellt das kein Problem dar, während Merkel selbst den
treuesten der Treuen ihrer Partei nicht mehr weismachen kann, das alles
sei eine raffinierte Strategie zum Nutzen der Union, die eben viele nur
nicht verstünden.
Die Frage ist, wie sich am nächsten Sonntag
hunderttausende Dieselbesitzer in Hessen entscheiden, die wissen, dass
die mittlere Stickstoffoxidbelastung in Frankfurt bei knapp über 50
Mikrogramm pro Kubikmeter liegt, also noch unter dem Richtwert für
Büros, und denen klar ist, dass nicht ihr noch relativ neuer Diesel das
Problem ist, sondern ein absurder EU-Grenzwert. Kreuzen sie bei der
Partei der Kanzlerin an in der Hoffnung, sie, die sie bisher die
Autofahrer im Stich gelassen hatte, könnte ihnen nun mit ein bisschen
Herumgeschraube am Grenzwert helfen? Noch gibt es das
Merkel-Rettungsgesetz ja nicht.
Oder wählen sie taktisch, aber eben nicht so, wie in der CDU-Zentrale erhofft?
Die Wähler entscheiden selbst, ob demnächst strenge Grenzwerte für Merkelismus in Deutschland gelten. Wendt