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Donnerstag, 25. Oktober 2018

Prantl hetzt gegen Merkl

Die „Süddeutsche“ muss auf die Seite der dunklen Macht gewechselt sein. Am 23. Oktober erschien dort ein Kommentar von Innenpolitik-Chef Heribert Prantl mit der Überschrift: „Giftige Merkel“. Weiter heißt es bei Prantl: „Was Angela Merkel plant, kann man als gemeingefährliche Vergiftung bezeichnen.“
Grundsatzkritik an der Kanzlerin ist in einem großen Teil der Medien sehr rar geworden.
Erst Recht in diesem Duktus, der sonst üblicherweise in die Massenrubrik Hass & Hetze fällt. Worum ging es?Prantl hält der Kanzlerin gemeingefährliche Vergiftung vor, weil sie – im Lichte der miserablen Wahlprognosen für Hessen – allen Ernstes plant, den Grenzwert für Stickstoffoxide im Straßenverkehr etwas höher als 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft anzusetzen, um Dieselfahrverbote in Städten zu vermeiden. Nach ihren Plänen soll in Zukunft auch eine Überschreitung dieser 40 Mikrogramm um 25 Prozent im Jahresmittel noch zulässig sein.
In die gleichen Ausgabe der „Süddeutschen“ rückte die Redaktion ein vermeintliches Erklärstück unter der Überschrift „Die magischen 40“, um ihren Lesern die gemeingefährliche Vergiftung deutlich zu machen. „Die magische Zahl lautet 40“, schreibt das Münchner Blatt. „Gemeint ist der Jahresmittelwert von Stickstoffdioxid: überschreitet das giftige Gas im Durchschnitt der Messungen eine Konzentration von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, dann wird es kritisch – für die Gesundheit und für die Fahrer von Dieselautos.“
Die Behauptung ist – was die Gesundheit angeht – reine Fake News. Bis heute existiert kein Beleg dafür, dass eine Stickoxidkonzentration über 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft zu messbaren Gesundheitsschäden führt. Wie auch? Der Grenzwert für die Stickstoffoxidkonzentration an gewerblichen Arbeitsplätzen liegt in Deutschland und der gesamten EU bei 950 Mikrogramm „maximaler Arbeitsplatzkonzentration“ (MAK). Wäre die Erhöhung des Toleranzbereichs im Straßenverkehr auf 50 Mikrogramm tatsächlich „gemeingefährliche Vergiftung“, dann liefen die fast zwanzigmal höheren Limits für Büros und Werkhallen folglich auf permanenten Massenmord hinaus. Selbst in Büros lassen die „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“ der Bundesanstalt bis zu 60 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zu. Die Grenze zur messbaren Gesundheitsschädigung liegt noch deutlich höher als 950 Mikrogramm Stickstoffoxid. In der Vergangenheit richtete sich auch die Politik der Bundesregierung danach aus. So heißt es etwa im Bundesgesundheitsblatt 1/98 von 1998:
„Bei kontrollierten klinischen Studien an Gesunden werden Konzentrationen über 1 ppm (I880 Mikrogramm/m3) benötigt, um bei kurzfristiger Exposition (zwischen zehn Minuten und zwei Stunden) bei gesunden Probanden messbare Veränderungen von Lungenfunktionsparametern hervorzurufen.“
Nun könnte jemand einwenden: das war der Wissensstand vor 20 Jahren. Aber es gilt nach wie vor – für einen Zusammenhang von mäßiger Stickstoffoxidbelastung noch über dem Richtwert für Büros und Gesundheitsschäden gibt es keinen seriösen Nachweis. An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen führte der Toxikologe Thomas Kraus 2013 entsprechende Versuche mit entsprechenden Probanden durch; er veröffentlichte die Ergebnisse 2016. Als der so genannte Diesel-Skandal ins Rollen kam, überschlugen sich etliche Medien: Geheime Menschenversuche, Abgastests an Menschen, unethisch! Für viele Journalisten war es offenbar tatsächlich eine Neuigkeit, dass toxikologische Versuche an aufgeklärten Probanden etwas völlig Übliches sind, genau so wie die Erprobung von Medikamenten an Menschen. Die klinische Erprobung von Arzneimitteln an Menschen – an wem auch sonst? – ist sogar gesetzlich vorgeschrieben. Der Versuch in Aachen war auch weder geheim noch ethisch problematisch – er war ordnungsgemäß von der Ethikkommission der Hochschule geprüft und genehmigt worden. Trotzdem behauptete der Sprecher der Tagesschau vom 29. Januar 2018 mit hochbesorgter Miene, es habe sich ja wohl um eine „menschenverachtende Studie“ gehandelt. Selbst der zugeschaltete ARD-Redakteur Werner Eckert, eine Art öffentlich-rechtliche grüne Hochinstanz, erklärte dann zwar, mit dem Experiment sei alles in Ordnung gewesen. Aber „menschenverachtend“ – das Klingelwort hatte sich bei den Zuschauern schon festgesetzt. Der notorische ARD-„Faktenfinder“ Patrick Gensing fabulierte, die von der Autoindustrie organisierte “Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor” (EUGT) habe den Versuch in Aachen „durchgeführt“. In Wirklichkeit war das Studiendesign von Kraus und dessen Kollegen entworfen worden – erst dann hatte die EUGT sich entschieden, die Studie zu finanzieren.
Nur ganz am Rande erfuhren die Qualitätsmediennutzer etwas über das Ergebnis des Versuchs in Aachen: Auch bei einer Belastung mit deutlich mehr als 60 Mikrogramm Stickstoffoxid pro Kubikmeter Luft zeigten sich bei den Probanden keine erhöhten Entzündungsreaktionen, geschweige denn dauerhafte Gesundheitsschäden.
Umgekehrt existiert bis heute kein einziger Test, der das Gegenteil belegen würde. Zurück zu Merkel: Sie wusste und weiß offenbar sehr gut, dass der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm für Straßenverkehr völlig absurd ist. Warum er trotzdem in Kraft treten konnte, wieso die Bundesregierung dagegen nichts unternahm, welche Rolle dabei der Abmahnverein “Deutsche Umwelthilfe” spielt, der wiederum Geld von Toyota (und vom deutschen Steuerzahler) erhält – das sollte das Thema eines Bundestags-Untersuchungsausschusses werden. Bisher tat Merkel nichts gegen einen Grenzwert, dessen praktische Auswirkung die deutsche Dieseltechnik erdrosselt. Aber erst jetzt, ein Wahldesaster in Hessen vor Augen, versucht sie ein bemerkenswertes Manöver. Sie zwinkert den Medien und den Dieselfahrern zu und meint: Kommt, wir wissen doch, dass der Grenzwert von 40 völlig irrational ist, selbst bei 50 und darüber treten keine echten, also gemeint: irgendwie messbaren Probleme auf. Liebe Medien, ich baue einfach eine kleine Toleranz nach oben ein, damit die CDU in Hessen nicht völlig abschmiert und ich meine von euch, lieber Heribert Prantl, so geschätzte Politik weiter exekutieren kann.
Sie spricht also noch nicht einmal die offenkundige Wahrheit aus, dass es überhaupt keinen so genannten Dieselskandal gäbe, wenn der Grenzwert für Straßen dort liegen würde, wo der Richtwert für Büros liegt, ganz zu schweigen von dem Grenzwert 950 Mikrogramm für gewerbliche Jobs. Sie plädiert in ihrer Not nur für ein klitzekleines Stück Rationalität. Und genau dafür schlägt ihr Heribert Prantl ins Gesicht: „Gemeingefährliche Vergiftung“.
Nun erklärt sich diese Reaktion sicherlich auch mit der naturwissenschaftlichen Ignoranz beziehungsweise dem grünen Obskurantismus vieler Medien. Es sind schließlich die gleichen Medien, die Berichte über den CO2-Ausstoß regelmäßig mit Fotos von Kraftwerkskühltürmen illustrieren, die allerdings Wasserdampf statt CO2 ausblasen – was allerdings optisch eindrucksvoller aussieht. Es sind die gleichen Journalisten, die auf den Umstand, dass in der so genannten Dunkelflaute zum Jahresanfang die erneuerbaren Energien weniger als zwei Prozent des deutschen Strombedarfs decken, schlau antworten: dann müssten eben mehr Windräder aufgestellt werden.
Aber Merkels Kalkulation, sie könnte in der Not und mit Hinweis aufs übergeordnete Ganze eine ganz kleine Kurskorrektur vornehmen, ohne einen Liebesentzug durch ihre Begleitmedien zu erleiden – diese Kalkulation geht schon aus dem Grund schief, weil an einem Punkt dann eben doch die Interessen beider Seiten auseinanderlaufen. Die CDU-Chefin hatte immer gehofft, grüne Themen übernehmen zu können, aber in einer Weise, dass es für ihre Partei noch irgendwie reicht. Zu ihrer großen Überraschung profitieren von einer Vergrünung der CDU nur die Grünen. In der letzten Wahlumfrage zu Hessen liegt eine Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei trotz des moribunden Zustands der SPD bei 50 Prozent. Die CDU könnte in die Opposition geschickt werden. Aus Sicht von Heribert Prantl stellt das kein Problem dar, während Merkel selbst den treuesten der Treuen ihrer Partei nicht mehr weismachen kann, das alles sei eine raffinierte Strategie zum Nutzen der Union, die eben viele nur nicht verstünden.
Die Frage ist, wie sich am nächsten Sonntag hunderttausende Dieselbesitzer in Hessen entscheiden, die wissen, dass die mittlere Stickstoffoxidbelastung in Frankfurt bei knapp über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt, also noch unter dem Richtwert für Büros, und denen klar ist, dass nicht ihr noch relativ neuer Diesel das Problem ist, sondern ein absurder EU-Grenzwert. Kreuzen sie bei der Partei der Kanzlerin an in der Hoffnung, sie, die sie bisher die Autofahrer im Stich gelassen hatte, könnte ihnen nun mit ein bisschen Herumgeschraube am Grenzwert helfen? Noch gibt es das Merkel-Rettungsgesetz ja nicht.
Oder wählen sie taktisch, aber eben nicht so, wie in der CDU-Zentrale erhofft?
Die Wähler entscheiden selbst, ob demnächst strenge Grenzwerte für Merkelismus in Deutschland gelten.   Wendt