Amne ist 15 und ein aufgewecktes Mädchen, eine gläubige Muslimin mit
Kopftuch. Und eine Heranwachsende mit vielen Träumen. „Ich möchte später
gerne Medizin studieren“, sagt die Realschülerin.
Bei der Suche nach einem
Schülerpraktikum fällt ihre Wahl deshalb zuerst auf eine Apotheke. Und
zunächst scheint auch alles glatt zu laufen. So sieht es auch die
Apothekerin, die regelmäßig Schülerpraktikantinnen in ihrem Betrieb
gehabt und dabei stets gute Erfahrungen gemacht habe. Sie ist gerne
bereit, Amne für knapp drei Wochen zu nehmen.
Beim Gespräch am letzten Montag
stempelt sie das ausgefüllte Formular der Schule ab, setzt ihre
Unterschrift darunter – und äußert dann eine Bitte, die eine völlig
unerwartete Eskalation auslöst. „Ich habe das Mädchen in einem
freundlichen Ton gebeten, während des Praktikums auf das Kopftuch zu
verzichten.“ Bei einer marokkanischen Praktikantin habe sie genauso
gehandelt, ohne dass es Probleme gegeben habe. „Das Mädchen hat das
Kopftuch morgens vor der Arbeit abgelegt und abends wieder angetan.“
Apothekerin zerreißt die Zusage
Doch
im Fall Amne werden die Meinungsverschiedenheiten um ein banales Stück
Stoff gefühlt ein kleines Erdbeben auslösen. Der Streit wird so heftig
sein, dass er die geschockte Apothekerin selbst Tage später immer noch
aufwühlt.
Denn dieselbe Schülerin,
die die Apothekerin zuvor als ein intelligentes, freundliches Mädchen
erlebt hat, habe sich nach der Bitte um den Kopftuch-Verzicht
schlagartig verwandelt. „Sie war aufgebracht und wurde aggressiv“,
erinnert sich die Apothekerin. Den Schleier abzulegen, habe die
15-Jährige kategorisch abgelehnt.
Wenige
Minuten später sei sie mit ihrem Vater an der Seite zurückgekehrt. Und
der muss sich aufgeführt haben wie ein Berserker. „Er wurde sehr laut
und sehr aggressiv, er hat mich und meine Mitarbeiterinnen beschimpft
und bedrängt“, berichtet die Inhaberin. Eine Frau, die sich als
weltoffen, tolerant und hilfsbereit beschreibt. Drei ihrer
Mitarbeiterinnen sind türkischstämmige Frauen, Muslima, die sich
schminken und gerne modische Kleidung tragen. Alle beteuern glaubhaft,
gerne in der Apotheke zu arbeiten. Bei der Kundschaft kommt so viel
Multikulti übrigens gut an. Denn in dem Viertel leben viele Zuwanderer.
Der
Vater habe sich dann – ohne Rücksicht auf die Kundschaft – weiter in
den Zorn hineingesteigert. Das Kopftuch sei ein genauso normales
Kleidungsstück wie ein Schuh, habe er argumentiert. Und der Inhaberin
immer wieder die verletzende Frage gestellt: „Haben Sie überhaupt ein
Herz?“
Als die Drohungen und
Beschimpfungen nicht enden wollen, zerreißt die resolute Apothekerin das
Schulformular mit ihrer Zusage in Stücke. „Daraufhin hat er mich als
Rassistin beleidigt.“
Der Koran verbiete ihm, Frauen zu frisieren
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darauf greift Amnes Vater zum Telefon und beschwert sich in dieser
Redaktion über die Apothekerin. Bashar Al Daraji, ein Iraker, gebürtig
aus Bagdad und seit 18 Jahren in Deutschland, sieht sich in dem heftigen
Kopftuchstreit völlig im Recht. „Deutschland ist ein demokratischer
Staat mit Religionsfreiheit“, sagt der 45-Jährige, der als Beruf Friseur
angibt.
In Holsterhausen führt
er den Vorsitz in einem schiitisch-islamischen Kulturverein mit rund 120
Mitgliedern. Ihr Domizil: eine alte Gewerbeimmobilie mit mehreren
Etagen, in denen einst ein Fitness-Studio untergebracht war. Ganz oben
befindet sich sein geräumiges Vorsitzendenbüro.
Aus
seiner tiefen Religiosität macht Bashar Al Daraji kein Hehl. „Ich habe
den Koran von klein auf gelesen.“ Von sich selbst zeichnet er das Bild
eines gottesfürchtigen frommen Mannes, der andere Religionen
respektiere. „Das Kopftuch“, sagt er, „ist wie ein Teil des Körpers, wie
eine Hautfarbe.“ Nebenbei räumt er ein, dass der Koran ihm strikt
verbiete, Frauen zu frisieren. „Ich möchte keinen Kontakt zu Frauen
haben.“
Apothekerin: „Ich empfinde es als verkehrte Welt“
Amne,
die 15-Jährige, erzählt, dass sie das Kopftuch schon seit dem neunten
Lebensjahr trage – also lange vor der Geschlechtsreife. „Ich trage es
freiwillig, und es ist für mich überhaupt keine schlimme Entscheidung.“
Sie sei in Deutschland geboren und sehe ihre Zukunft in diesem Land –
auch beruflich. Dann klagt sie pauschal all jene Unternehmen an, die das Kopftuch untersagen. „Jetzt weiß ich, warum muslimische Frauen zuhause bleiben müssen.“
Ein
Schuh, den sich die Essener Apothekerin nicht anzieht. „Ich empfinde es
als verkehrte Welt, dass ausgerechnet ich mich dafür rechtfertigen
soll, wenn ich das Kopftuch nicht wünsche.“ Besonders hart treffe sie
der Rassisten-Vorwurf. Für sie ein Schlag ins Gesicht. Es habe nicht
viel gefehlt, berichtet die Apothekerin, und sie hätte die Polizei zur
Hilfe gerufen.
Der unnachgiebige
Vater kündigt unterdessen weitere Schritte an. Er will sich an den
Grünen-Politiker Omeirat gewandt haben, und dieser erwäge angeblich, den
Kopftuch-Vorfall bei der Apothekerkammer zur Sprache zu bringen. Gerd Niewerth