Die Deutsche Welle strahlt eine
arabischsprachigen Talkshow namens "Shababtalk" aus, der Moderator heißt
Jaafar Abdul Karim und ist hierzulande ein bisschen bekannt, seit er
2015 auf einer Pegida-Demonstration mit Dunkeldeutschen ins Gespräch zu
kommen suchte. Bei seinem einstweilen letzten Shababtalk – die Sendung
fand im Sudan statt und stand unter dem Motto: "Was wollen sudanesische
Frauen?" – hatte eine 28-jährige Unverschleierte die Unterdrückung von
Frauen dortzulande verurteilt. "Die Kleidung, die ich trage, ist Teil
meiner Menschlichkeit und meiner Wahlfreiheit – und nicht der Wahl der
Gesellschaft mit ihren kranken und rückständigen Traditionen", sagte sie
in einem Streitgespräch mit dem Leiter der sudanesischen "Scholars
Corporation" namens Mohammed Osman Saleh.
"Seitdem gehen bei den Fernsehleuten immer mehr Verwünschungen und Morddrohungen ein", schreibt die FAZ. "Jaafar Abdul-Karim halte sich nicht mehr im Sudan auf, teilte die Deutsche Welle mit, man tue das Beste für die Sicherheit des Moderators." Der Partnersender Sudania 24,
mit dem die Sendung produziert wurde, stehe wegen Anschlagsdrohungen
vorläufig unter Polizeischutz. Die amerikanische Botschaft in Khartum
warne ihre Landsleute davor, sich in der Nähe des Sendergebäudes
aufzuhalten.
Die Junge Freiheit erinnert süffisant daran,
dass Karim bei der erwähnten Pegida-Demo "einen Schlag im Nacken
verspürt" habe und eine "Empörungsflut" die Folge gewesen sein. "Von der
Gefahr, in der er sich heute befindet, erfährt der Medienkonsument
dagegen so gut wie nichts."
***
Der
besagte Herr Karim hatte unter anderem auch als Reporter in der
jordanischen Hauptstadt Amman junge Männer gefragt, was sie tun würden,
wenn ihre Schwestern arbeiten gingen. Meist lautete die Antwort: "Ich
würde sie töten." Wer ihnen das Recht dazu gebe?, erkundigte sich Karim
weiter. "Mein Vater, mein Onkel, meine Verwandten." Aber sei es nicht
falsch, jemanden zu töten? "Es ist nicht falsch, es ist unsere Ehre."
Diesen
Menschenschlag mitsamt seinen Ehrvorstellungen (und seinen
gottvertrauend-landnehmerischen Vermehrungsgewohnheiten) importiert
’schland bekanntlich in großem Stil und mit der erwünschten Illusion,
die Neuankömmlinge würden sich den hierzulande geltenden Gepflogenheiten
schon zügig anpassen.
Aber warum sollten sie das tun? Sie wähnen sich
in Gottes Hand, ernähren ihre Kinder mit deutschen Sozialleistungen und
erhalten ihre Eigenart in einer fremden Umgebung, wo sie aber aufgrund
ihrer schieren Zahl immer größere Enklaven – aus ihrer Sicht: Exklaven –
bilden. Vor allem bleiben sie etwas, das es der herrschenden Ideologie
zufolge nicht geben darf: Fremde. (Es gibt nur Fremdenfeindlichkeit, ungefähr wie es angeblich kein Volk gibt, aber Volksverhetzung bestraft werden soll.)
Die
Leugnung von Fremdheit ist mittlerweile deutsche Staatsdoktrin, der
herrschende Zeitgeist "kennt kein Außerhalb" mehr. "Man stutzt heute das
Unverständliche auf ein Akzeptanzproblem zurecht, das es mit
aufgesetzter Toleranz zu überwinden gilt." "Dressiert von einer strengen
Sprach- und Blickregelung im Namen der Offenheit und Toleranz, leidet
die Fremdheitserfahrung unter Ausdrucksarmut und verstummt oftmals
ganz." Das Ziel lautet: "Abschaffung des Eigenen mittels Verleugnung des
Fremden". Deshalb soll Deutschland als "eigenschaftsloses
Auffüllbecken" für Wandernde und Fliehende aus aller Welt zur Verfügung
stehen, die in einem "grenzenlosen Smartphonien" ihre künftige (und dann
nicht mehr so genannte) Heimat finden.
Diese Zitate stammen aus
dem Vorwort zur Neuausgabe von Frank Böckelmanns Buch "Die Gelben, die
Schwarzen, die Weißen", das mir auf der Buchmesse in die Hände geriet.
Die Erstausgabe ist 1998 in Enzensbergers "Anderer Bibliothek"
erschienen und war zwischenzeitlich lange vergriffen. Mit einer gewissen
Zufriedenheit schreibt der Verfasser, man möge ihn bitte nicht der
Eitelkeit zeihen, wenn er feststelle, dass seine Darstellungen "in den
letzten zwei Jahrzehnten an Aktualität so gut wie nichts eingebüßt
haben". Der Medien- und Kulturwissenschaftler Böckelmann, 77, Kern-68er,
einer der vielen Wanderer von weit links nach gemäßigt rechts,
beschreibt in diesem Buch anhand historischer Quellen und persönlich
geführter Interviews, wie die verschiedenen Ethnien, die man einst
Rassen nannte und andernorts auch noch so nennt, einander wechselseitig
wahrnehmen – nämlich vorwiegend als fremd. Auch wenn wir heute keinen
schweren Schock mehr erleiden, wenn wir einen Andersrassigen erblicken –
wie etwa Papuas beim ersten Anblick eines Weißen Starrkrämpfe bekamen
oder schreiend davonrannten oder ein siebenjähriges Mädchen im
oberbayrischen Landkreis Mühldorf, das 1946 erstmals einen schwarzen GI
zu Gesicht bekam, dermaßen erschrak, dass eine schwere Zuckerkrankheit
bei ihm ausbrach, an der es elf Jahre später starb –, bleibt Fremdheit
doch eine anthropologische Kategorie sui generis.
Jeder
Mensch, der reist oder ausländische Bekannte hat, die ihm nicht nur
höflich nach dem Mund reden, weiß, dass die fremdheitseinebnende
Weltsicht westlicher Progressisten anderswo belächelt oder sogar
verspottet wird. Natürlich hat sich unter den Anderen längst
herumgesprochen, wie sehr die deutsche Fernstenliebe nur aus dem Mangel
an Nächsten- und sogar Eigenliebe rührt und wie verlogen sie ist (kein
Grund für Fremde, sie nicht ausgiebig zu strapazieren, gewiss). In der
Stickigkeit eines gesellschaftlichen Klimas, in dem über
Selbstverständliches nicht geredet werden soll, weil das angeblich dem
Rassismus Nahrung gibt, ist es hilfreich, ein Buch wie das von
Böckelmann zur Hand zu nehmen, welches den Verhältnissen die Ehre
erweist, sie weder zu preisen noch zu verdammen, sondern einfach nur als
Phänomen zu betrachten.
Allein die Schwierigkeiten beim
Auftreiben der Interviewpartner hätten eine reizende Miniatur über
gravierende ethnisch-kulturelle Eigenarten und Differenzen ergeben, wie
sie bereits zwischen Chinesen und Japanern herrschen. Wenn Letzere
ausnahmslos berichteten, "daß die große Mehrheit der in Europa
residierenden Japaner zurückgezogen unter ihresgleichen lebe und dieses
pseudoeuropäische Dasein nicht gern zum Gesprächsthema mache", ist das
freilich halbwegs generalisierbar. Dasselbe mag auch gelten, wenn der
Autor schildert, wie seine japanischen Gesprächspartner automatisch zu
den Begriffen "Weiße" und "weiße Rasse" wechselten, wenn er von
Deutschen, Europäern oder Amerikaner sprach.
"Der Japaner wendet
dem Weißen ein doppeltes Gesicht zu: das der Selbstverleugnung und das
der Gewißheit, einzigartig zu sein", notiert Böckelmann. Das entspricht
dem historischen Kennenlernprozess. Zuerst begegnete Nippon den fremden
Europäern mit blinder Empfänglichkeit, dann mit ebenso wahlloser
Aussperrung, war aber dabei stets bestrebt, alles von ihnen zu
übernehmen, was einen Vorteil versprach – Whkon Yosai
("Japanischer Geist, westliche Technik") sollte später die Maxime
lauten. Der Staats- und Wirtschaftswissenschaftler Honda Toshiaki
(1744-1821) wurde einmal gefragt, warum die Holländer imstande seien, so
vorzügliche Handelsgüter zu produzieren. Honda gab die treffliche
Antwort, dass sogar Tiere erstaunliche Fähigkeiten besäßen. Wie sollten
die Japaner mit der verrückten Tatsache fertig werden, dass Wilde und
Unreine ihnen überlegen waren? (Heute tritt eine ähnliche kognitive
Dissonanz bei vielen Muslimen zutage.) "Die Samurai-Schüler kümmerte es
wenig, ob ihr Lehrer ein Menschenwesen war oder nicht, solange er ihnen
wertvolles Wissen beibrachte. Hinter der Maske der Höflichkeit jedoch
studierten sie seine Gewohnheiten und gelangten gemeinsam zu einem
verächtlichen Urteil", kommentiert Böckelmann. Kein Europäer sollte
glauben, dass fremde Völkerschaften seine Lebensweise schätzen, nur weil
sie seine Technik übernehmen.
Der Autor zitiert das Beispiel des
Ladficadio Hearn, eines amerikanischen Reporters, der das Inselreich so
sehr liebte, dass er 1890 zum Japanertum konvertierte und versuchte, ein
besserer Japaner als alle Japaner zu sein, aber weder an der
Universität noch später im Staatsdienst akzeptiert wurde und als ein
völlig isolierter Fremdling endete. Der Unterschied zu heute besteht
einzig darin, dass die isolierten Fremden so zahlreich geworden sind,
dass es inzwischen mehr oder weniger abgeschottete Communities gibt, die
andersartigen Arbeitsmigranten ein gewöhnliches Leben in der Fremde
ermöglichen. Zu den Merkwürdigkeiten der modernen Globetrotterei, ob nun
touristisch oder beruflich, gehört ja, dass die meisten Mobilen im
Ausland unter ihresgleichen leben, sich abends mit Landsleuten treffen,
ungefähr dasselbe essen wie daheim und ihren Nachwuchs in Schulen
schicken, wo sie auf ähnlich geartete Kinder treffen. Integration findet
nahezu nirgendwo statt, Segregation indes wohin man schaut.
Bezeichnenderweise hielten Böckelmanns chinesische Interviewpartner eine
Verwestlichung ihres Landes "über Oberflächenphänomene hinaus" für
ausgeschlossen. Man will dort das Fremde nicht "integrieren" und sich
ihm schon gar nicht anpassen. Ein des Chinesischen kundiger Amerikaner
überlieferte folgenden Dialog, der sich auf einem Pekinger Markt zutrug:
"Mama, dieser Mensch da, ist es eine Frau oder ein Mann?" "Dummes Kind,
das ist weder ein Mann noch eine Frau. Dieser Mensch, mein Kind, ist
ein Ausländer."
Interessanterweise kamen in China um die Wende zum
20. Jahrhundert utopische Rassenmischungsvorstellungen auf, die an
heutige progressistische Phantasien von einer einheitlichen globalen
Mischethnie erinnern. Der Revolutionär Kang Yowei wollte die gelbe und
weiße Rasse vermischen, um eine global dominante weiße Bevölkerung zu
züchten. "Die Stärke der Weißen ist ohne Frage gewaltig und in ihrer Art
unerreicht; auf der anderen Seite aber sind die Gelben zahlreicher und
ihnen an Weisheit überlegen", postulierte er. "Nur die Braunen und die
Schwarzen, die von den Weißen himmelweit verschieden sind, lassen sich
tatsächlich schwer amalgamieren."
Während viele Intellektuelle in Deutschland und anderen westlichen Ländern immer noch an den Melting Pot
glauben, wurde der Gedanke in China nie populär. 1990 schrieb der
chinesische Lyriker Duo Duo im englischen Exil: "Bevor ich ins Ausland
ging, erzählte man mir: Wenn ein chinesischer Schriftsteller einen Monat
im Ausland ist, kann er hinterher ein Buch darüber schreiben; fährt er
für drei Monate, reicht es noch für einen Aufsatz; bleibt er für ein
Jahr fort, bringt er keine einzige Zeile aufs Papier."
Das
maoistische China entsandte in den 1970er und 80er Jahren 250.000
Vertragsarbeiter nach Tansania und Sambia, um die schwarzen Völker im
Kampf gegen den weißen Kolonialismus zu unterstützen, speziell beim Bau
der Tan-Sam-Eisenbahn. Die Gastarbeiter mieden alle persönlichen
Kontakte zu den Einheimischen, schlossen weder Freund- noch
Liebschaften, und als sie abzogen, ließen sie keine Nachkommen dort
zurück. Als Journalisten einige der Rückkehrer in der Heimat auf einer
Pressekonferenz fragten, welche Anregungen sie in Afrika empfangen
hätten, herrschte minutenlanges quälendes Schweigen... – Umgekehrt
verließen fast alle Afrikaner, die Anfang der 1960er Jahre zum Studium
nach China gegangen waren, das Land schnell wieder. Chinesinnen, die
sich mit Afrikanern angefreundet hatten, wurde ausnahmsweise erlaubt,
mit ihnen zu gehen. "Binnen Jahresfrist kehrte ein Teil der
ausgewanderten Bräute nach China zurück und beklagte sich öffentlich
darüber, daß das afrikanische Essen ungenießbar sei. Zudem habe sich in
Afrika herausgestellt, daß die Ehegatten jeweils schon mehrere Frauen
hatten."
In Japan kam nach 1945 eine sechsstellige Zahl von
Kindern zur Welt, deren Väter amerikanische Besatzungssoldaten waren,
und viele davon hatten naturgemäß schwarze Väter. Die Mütter solcher
Mischlinge setzten die Kinder entweder einfach aus, versuchten, sie
irgendwo abzugeben – oder sie wurden aus dem Land getrieben; von
Letzteren emigrierten viele nach Brasilien. Ein Teil der
Mischlingskinder wurde von amerikanischen oder europäischen Familien
adoptiert. "Kein einziges Kind fand japanische Adoptiveltern." Ein
halbes Jahrhundet später bewerteten Böckelmanns Interviewpartner den
Eintritt eines Schwarzen in eine japanische Familie wahlweise als
Katastrophe oder als Schande. Sie würde "weinen bis zum Tod", wenn ihre
Tochter mit einem Neger nach Hause käme, gab eine der befragten Frauen
zu Protokoll. Böckelmann zitiert einen japanischen Anthropologen mit den
Worten: "Humanismus ist eine Sache, der physiologische Widerwille vor
bestimmten Menschen eine andere."
Ich beende hier die
Beispiellese aus dem Buch. Es lassen sich zahllose weitere Exempel aus
der Gegenwart anführen, Erzählungen von Westlern, die lange im
nichtwestlichen Ausland gearbeitet haben und dort vor allem ihre
Eigenart erkannt haben, ja auf sie gestoßen wurden. Dass viele Mischehen
über ethnisch-kulturelle Gräben hinweg geschlossen werden – ich wies
hier vor einiger Zeit einmal auf das Phänomen hin, dass fast sämtliche
meiner Bekannten, die als "rechts" gelten, mit zum Teil durchaus
exotischen Ausländerinnen verheiratet sind –, zeigt nur, welche enorme
Bindungskräfte aktiviert werden müssen, um die Gräben zu überbrücken. Es
ist ja kein Zufall, dass nicht nur westliche Arbeitsmigranten in
Fernost oder dem Orient in separaten Kunstwelten nach westlichen
Standards leben, sondern eben auch die Einwanderer aus diesen
Weltgegenden in Europa fast immer unter sich bleiben. Die These, man
müsse den Fremden nur näher kennenlernen und schon löse sich die
Fremdheit in Nichts auf, ist nicht plausibler als die Gegenthese, dass
gerade ein näheres Kennenlernen die Fremdheit ins Bodenlose vertiefe. In
Übersee können wir beobachten, wie sich die Ethnien immer mehr
scheiden, wie sich der Melting Pot in einen Triple Melting Pot
verwandelt – schwarz, weiß, hispanisch –, wobei der Begriff den Vorgang
kaum mehr treffend beschreibt. Segregation, wohin man schaut. "The
Disuniting of America" (Arthur Schlesinger) ist vor allem ein ethnischer
Prozess.
"Die Vernunft der Weißen duldet freiwillig keine anderen
Geister neben sich", resümiert Böckelmann. Nach dem Verlust der
Kolonien und der globalen Dominanz habe sie heute einen Weg gefunden,
doch noch allein zu herrschen: "daß sie an allem schuld ist". Böckelmann
nennt diesen welthistorisch singulären kollektiven Knall "geständiger
Imperialismus". Das große Paradoxon besteht nun darin, dass die anderen –
also diejenigen, die wir nicht für fremd halten dürfen, während wir für
sie nichts als Fremde sind – unsere Gesellschaftsform annehmen sollen.
"Früher kamen wir als Eroberer über die Fremden, heute führen wir sie
bußfertig auf uns zurück. Sobald etwas Unbekanntes auftritt,
beschlagnahmen wir es als Eigenes oder als ein ‚versäumtes Eigenes’."
Wer sich aber weigere, "das Eigene auch gegen Anderes zu setzen, wird am Ende beides verachten". Sofern man ihn überhaupt noch nach seiner Meinung fragt.
(Böckelmanns Buch finden Sie hier.) MK am 23. 10. 2018
"Wenn die Völker einander besser kennen würden, würden sie sich mehr hassen." Ennio Flaiano