Seit einiger Zeit wird über die „Emigration“ – genauer gesagt: den
Umzug von Hamburg nach Wien – des Schriftstellers Matthias Politycki
berichtet und diskutiert. Denn Politycki gibt als Grund für seinen
Weggang das Meinungsklima in Deutschland an, die Blockwartmentalität,
die Schere im Kopf, die Ächtung in den sozialen Medien, wenn man durch
abweichende Positionen auffällt, alles, was mit Politischer Korrektheit
gerechtfertigt und als „Cancel Culture“ umgesetzt wird.
Politycki beschreibt eine Atmosphäre zunehmender Einschüchterung und eine Art von
weichem Terror qua Sprachregime, der denjenigen wieder auf Linie
bringt, der sie zu verlassen droht. Die mächtigen Minderheiten, die
diese Praxis durchsetzen, sagt er, seien für Kritik unempfänglich. Sie
folgten einer Agenda, die letztlich auf die totale Umerziehung der
Mehrheit hinauslaufe.
Daß er mit seiner Klage so viel Aufmerksamkeit erfährt, hat damit zu tun, daß Politycki eigentlich „dazu“ gehört: ein Mann des etablierten Literaturbetriebs, erfolgreicher Autor, vielfach ausgezeichnet, gern gesehen in den Feuilletons und – selbstverständlich – ein Linker. Ein Linker, den das, was sich da abspielt, zunehmend beunruhigt. In einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung von Mitte Juli hat Politycki die Motive für seinen „Abschied von Deutschland“ erklärt. Da heißt es an entscheidender Stelle: „Was unterm Schlagwort der politischen Korrektheit zügig Terrain gewann, hatte auch ich zunächst begrüßt, vielleicht weil ich es für linkes Gedankengut hielt. Was inzwischen, zusammengefaßt unterm Begriff ‘Wokeness’, unseren gesellschaftlichen Diskurs dominiert, ist für mich nichts weniger als Pervertierung linken Denkens.“
Sätze, die zeigen, daß Politycki das Entscheidende nicht begriffen hat. Denn sein Gerede über die „Pervertierung linken Denkens“ ist nicht nur eine Entschuldigungsfloskel, sondern Ausdruck eines typisch linken – und nicht nur linken – Denkfehlers, der auf der Annahme beruht, daß die Linke ein Nahverhältnis zur Freiheit hat. Das ist aber nicht der Fall. Wer auch nur einen oberflächlichen Blick auf die Vergangenheit wirft, stellt fest, daß die historischen Freiheitsforderungen der Linken lediglich taktischen Zielen dienten. Sie sollten Anhänger mobilisieren und Gegner mürbe machen.
War man erfolgreich, hieß es prompt „Freiheit, außer für die Feinde der Freiheit“ (Robespierre) und die Guillotine nahm ihre Arbeit auf. Die „Freiheit des Andersdenkenden“ (Luxemburg) war nie mehr als ein leeres Wort, und die Parole „Es ist verboten, zu verbieten“ (`68) bereitete Anarchie und Terror den Weg.
Deshalb kann im aktuellen Fall auch nicht von einem guten Plan die Rede sein, der nur schlecht umgesetzt wurde. Ausschlaggebend ist für die Linke nie der Gedanke der Freiheit, sondern die Überzeugung, als „Agent der Geschichte“ (Hanno Kesting) zu handeln. Sie kennt die Gesetzmäßigkeit, nach der der Fortschritt kommt, und dessen Gegner hat kein Pardon zu erwarten. Auf einen wichtigen Aspekt dieses Zusammenhangs hat Mathias Brodkorb in einem Beitrag für die jüngste Ausgabe des Cicero hingewiesen. Er trägt die Überschrift „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“.
Bei dieser Formel handelte es sich um den Refrain einer SED-Hymne, in der nicht nur Geschlossenheit und Kampfbereitschaft beschworen wurden, sondern auch der Grundsatz der „Parteilichkeit“, das heißt der Unterordnung des einzelnen mit seinen Einsichten unter die überlegenen Einsichten der Partei, die um das Ganze im Sinn der marxistischen Lehre weiß. Verblüffenderweise hat diese bizarre Vorstellung bei (Post-)Kommunisten auch den Kollaps des Realexistierenden Sozialismus überlebt. Deutlich macht Brodkorb das an der Veranstaltung des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit vom vergangenen Monat, zu dem Vertreter aller Bundestagsparteien eingeladen waren.
Darunter auch Petra Sitte, die Vertreterin der Linken, die offen erklärte, daß es ihrer Auffassung nach an deutschen Hochschulen kein Problem mit der Freiheit von Forschung und Lehre gebe. Diejenigen, die tagtäglich bedroht und schikaniert oder daran gehindert würden, Vorträge zu halten oder Seminare durchzuführen, müßten sich damit ebenso abfinden wie die Dozenten oder Bibliotheksleitungen, auf die Aktivisten ihrer Couleur Druck ausüben, um die Lektüre oder den Besitz von unliebsamen Texten unliebsamer Autoren (bevorzugt: heteronormative, weiße Männer) zu unterbinden. Das alles seien nur Äußerungen berechtigter Kritik und Teile des gesellschaftlichen Protests, dem jeder Erfolg zu wünschen bleibe.
Geht man nach dem Bericht von Hannah Bethke über die erwähnte Podiumsdiskussion in der Neuen Zürcher Zeitung, unterschieden sich die Auffassungen der Vertreter von SPD und Grünen nur um Nuancen von denjenigen Sittes. Lediglich Jens Brandenburg (FDP) und Marc Jongen (AfD) sahen das grundsätzliche Problem, daß durch die Pressionen und das Klima der Einschüchterung an den Hochschulen faktisch die Geltung von Artikel 5 des Grundgesetzes – der die Meinungs-, Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit sowie die Freiheit von Forschung und Lehre garantiert – gefährdet ist.
Eine Feststellung, die allerdings in einer Hinsicht der Ergänzung bedarf. Denn die tiefste Ursache für die zu Tage tretende Ungerührtheit der Repräsentanten des blutrot-rot-grünen Spektrums liegt darin, daß sie ihre Positionen im Universitätsbereich ausschließlich unter Machtgesichtspunkten bewerten und deshalb für unangreifbar halten. Das erklärt sich nicht nur mit der kulturellen Hegemonie der Linken, sondern auch mit ihrer Landnahme im Bildungssektor. Deren Erfolg hat wenig mit der Überzeugungskraft linker Argumente zu tun, mehr mit der attraktiven Mischung aus Ideologie und Niveausenkung.
Den Kern der Ideologie bildet die Forderung nach Gleichheit des Ungleichen, den Kern der Praxis die Außerkraftsetzung des Leistungsprinzips, so daß zuerst die Massenfächer der Sozial-, dann die Geistes- und Kulturwissenschaften sowie die Sprachen den Unfähigen und Unwilligen ausgeliefert wurden, die entweder apathisch Anforderungen abarbeiten oder sich urteils- und kenntnislos von jedem einspannen lassen, der ihnen nach dem Munde redet.
Keine
politische Kraft hat diesem seit Jahrzehnten ablaufenden Vorgang
Widerstand entgegengesetzt. Was die Aufgabe ungeheuer erschwert,
irgendetwas zu tun, um den Tonangebern an den Universitäten samt ihrem
Mob den Einfluß zu beschneiden und wieder etwas in Achtung zu setzen,
was die Bezeichnung „Wissenschaft“ verdient. KhW
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