Dass Ferdinand von Schirach während Corona Alexander Kluges Nähe suchte, hat, so glaube ich, mit kompensatorischem Hokuspokus zu tun, den ich nicht so gerne mag. Zumal ich bei Leuten wie Kluge und Habermas immer das Gefühl habe, dass sie - wie Johannes Agnoli - ihr Leben lang damit beschäftigt sind, etwas vertuschen zu wollen. Aber Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge haben eine erfreuliche Gemeinsamkeit: Beiden verdanken wir gutes Fernsehen!
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Als im November 2022 Hans Magnus Enzensberger mit 93 Jahren starb, blieb Alexander Kluge wie ein verwaister jüngerer Bruder zurück. Nur zweieinviertel Jahre trennen die beiden Polytalente voneinander, in ihrer Schaffenslust und Spielfreude könnten sie Zwillinge sein. Was für den Schriftsteller, Essayisten und Zeitschriftengründer Enzensberger das Großprojekt «Die Andere Bibliothek» war und zum Gedächtnis abendländischer Bildungsimpulse im Popzeitalter wurde, ist beim Rechtsanwalt Kluge, der zum Autor, Filmemacher und Improvisationsphilosophen ausschweifte, eine Art «Anderes Fernsehen», das er 1987 den aufkommenden privaten TV-Stationen mit juristischer List als Untermieterkonstrukt aufdrängte.
Mit dem Geld der japanischen Werbeagentur Dentsu begab sich Kluge auf seinen eigenen Marsch durch die Fernsehinstitutionen; er betreibt mit seiner TV-Produktionsgesellschaft DCTP seither bei RTL, Sat 1 und Vox Sendefenster inmitten von Privatprogrammen, die oft genug direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Kluges Plattform indes entwickelte sich zur Oase des Intelligenzfernsehens – allen voran mit «Spiegel TV», aber auch mit Sendeformaten von NZZ, Zeit, Stern und anderen Printmarken. Über allem thront Kluge wie ein geheimnisvoller Pate, der nicht mal in seinen eigenen Kulturmagazinen zu sehen ist. In den oft erratischen Nachtsendungen wie «News & Stories» und «Prime Time / Spätausgabe» ertönt seine markant raunende Stimme aus dem Off, selbst wenn er seine Interviews führt.
Mit seinem Freund Stefan Aust, dem Gründer von «Spiegel TV», dem langjährigen Chefredakteur des Spiegels und heutigen Herausgeber der Welt, hat Kluge nun ein Buch über ihre langjährige Zusammenarbeit vorgelegt: «Befreit die Tatsachen von der menschlichen Gleichgültigkeit»*. Der Titel wirkt in seiner Verträumtheit erst einmal rätselhaft, aber schon bald ist klar, dass er auf den subjektiven Zugriff zweier Chronisten anspielt. In der 68er-Studentenbewegung hieß es noch: Das Private ist politisch. Bei Kluge und Aust heißt es: «Nichts an unserem Beruf ist uns gleichgültig.» Kluges poetisches Temperament lässt die Zeitgenossenschaft schon mal ins Komische eskalieren und macht sich Weltgeschichte kurzerhand zu eigen: «Am Tag von Kennedys Tod verstauchte ich mir die Hand.»
Die 336 Seiten sind ein Arbeitsjournal, eine Zeitchronik, ein Sammelsurium von Texten, Fotos, Dokumenten und Gesprächen, die hintereinanderweg kuratiert sind. Sein formfauler Improvisationscharakter erinnert ein bisschen an die Unbefangenheit der frühen Autorenfilme, die darauf vertrauten, dass jeder Dilettantismus zu neuer, inspirierter Gestalt gelangt. Mögen sich andere Künstler mit Form und Stil quälen – der Neue Deutsche Film, wie ihn in den 1960er Jahren Kluge mitbegründet hat, verließ sich in seiner Avantgarde-Seligkeit darauf, dass alles, was Jungfilmer berühren, zum Kunstwerk aufsteigt. Alexander Kluge ist so ein romantischer Midas der Medialität. Ohne größenwahnsinnige Selbsttranszendenz, das lernen wir aus diesem Buch, ist eben kein schöpferisches Arbeiten möglich.
Wer will, kann das Buch als ein Stück deutsche Fernseh- und Pressegeschichte lesen. So bekennt Aust ungeniert: «Augstein hätte mich zu seinem Erben machen sollen.» Es ist aber auch ein Werkstattbesuch, ein Blick über die Schulter zweier obsessiver Öffentlichkeitsfachkräfte, in deren Leben und Denken das Weltgeschehen blinzelt. Auffällig ist, dass der ältere Kluge, 91, in seiner habermasschen Gravität der altlinken Rhetorik mit gewohnheitsmäßiger USA-Kritik treu geblieben ist. Aust hingegen, 77, hat sich vom 68er-Urimpuls erfolgreicher emanzipiert, bekennt sich heute als migrationskritisch und hinterfragt in seiner Zeitung die offiziellen Klima-Narrative.
Überhaupt scheint Jürgen Habermas stets im Nebenraum zu sitzen, unentwegt wird die Öffentlichkeit beschworen, dieser nie greifbare kommunikative Raum, diese Gottheit der Aufklärung, die ein Jegliches durchsichtig machen will, um Zusammenhänge zu schaffen und Sinn zu stiften. Hinterfragt wird diese abstrakte Figur weder von Aust noch von Kluge, dazu sind beide zu öffentlichkeitsvernarrt. Und das Beschreiben von Öffentlichkeit als eine zeitgenössische Fiktion, die fixe Idee vom universalen Vernetzen, der Wahn von totaler Transparenz, bei der der einzelne Mensch mit seinen Verborgenheiten auf der Strecke bleibt, wäre wohl Gegenstand eines ganz anderen Buches.
Stattdessen obsiegt bei Aust und
Kluge die Technikbegeisterung. Immer wieder finden sich auf den
Buchseiten QR-Codes, mit denen der Leser Videos aufrufen und das Buch
gleichsam auf sein Smartphone erweitern kann. Auch so kann, ganz
praktisch, der Ausblick nach vorne aussehen. Holger Fuss
*Ein typischer Kluge-Slogan. Mit provokatorischer, nach Ideologie stinkender Sprache, stiftet man mehr Verwirrung als man auch beim besten Willen Klarheit schaffen könnte. So gesehen hat Kluge die Literatur sicher nicht bereichert. Aber, wie gesagt, das Fernsehen hat er bereichert.
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