Sehr geehrte Frau Kässmann,
Sie haben drei Tage nach dem Blutbad von Brüssel, bei dem 35 Menschen getötet und über 300 verletzt wurden, der Bild am Sonntag
ein Interview gegeben, in dem Sie auf die Frage: „Was würde Jesus zum
Terror sagen? Würde Jesus den Terroristen vergeben?" Folgendes
geantwortet haben :„Jesus hat eine Herausforderung hinterlassen: Liebet
eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen. Er hat sich nicht
verführen lassen, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Für Terroristen,
die meinen, dass Menschen im Namen Gottes töten dürfen, ist das die
größte Provokation. Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und
Liebe zu begegnen.“
Nun weiß ich nicht, ob Sie vielleicht Stimmen hören, die ich nicht
höre, oder ob Sie einen direkten Draht zu IHM haben, den ich nicht habe.
Jedenfalls scheinen Sie genau zu wissen, wie Jesus auf einen
Terroranschlag reagieren würde: mit Gebeten und Liebeserklärungen an die
Adresse der Terroristen, vorausgesetzt, er hätte den Anschlag überlebt
und wäre nicht in Stücke gerissen worden, wie die Opfer der letzten
Terrorakte.
Erlauben Sie, dass ich Ihnen eine Zusatzfrage stelle? Haben Sie noch
alle Perlen an ihrer Halskette? Hätten Sie den Mumm, den Menschen, die
ihre Angehörigen am 22. März verloren haben, ins Gesicht zu sagen:
„Liebet eure Feinde! Versucht den Mördern mit Beten und Liebe zu
begegnen“? Möglicherweise sind Sie tatsächlich davon "überzeugt, dass es
ein Leben nach dem Tode gibt“, während ich nur glaube, dass Hunde
intelligenter sind als Katzen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich allerdings
davon überzeugt, dass man potenziellen Mördern in den Arm fallen
sollte, bevor sie zur Tat schreiten, statt hinterher für sie oder mit
ihnen zu beten.
Sie, Frau Kässmann, überschütten die Täter mit Ihrer wohlfeilen
Liebe, und Sie verhöhnen die Opfer, die offenbar nicht genug gebetet
haben, um verschont zu werden. Verraten Sie mir bitte: Wie wird man mit
solchen Obszönitäten zu einer moralischen Instanz?
Aus welcher Quelle sprudelt dieser Sündenstolz? Ist es die Posener Rede oder sind es die gesammelten Aufrufe der Roten Armee Fraktion?
Fassungslos
B.
Margot Käßmann ist die bekannteste deutsche Theologin. Die
ehemalige Ratsvorsitzende der EKD dient derzeit als „Botschafterin für
das Lutherjahr 2017“
Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche
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