Die Hühnergasse in Köln galt früher als verruchter Ort. Die „Tom
Tom“-Bar, ein Treffpunkt von Homosexuellen, wurde bundesweit bekannt,
weil dort angeblich der Bundeswehr-General Günter Kießling gesehen
worden sein sollte. Das Besuchen von Schwulen-Bars galt Anfang der
achtziger Jahre als Sicherheitsrisiko. Heute steht Köln im Ruf einer
Homosexuellen-Hochburg.
Die politischen Wurzeln des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck
sind in der Domstadt zu finden. Wegen Homosexualität wird hier niemand
mehr verfolgt oder diskriminiert. Dafür hat auch Beck in den vergangenen
Jahrzehnten mit seinem Wirken bei den Grünen und im Bundestag gesorgt.
Es scheint heute vielmehr gewisse Großzügigkeiten zu geben, für die
gerade Beck wieder ein Beispiel ist. Beck wurde in Berlin mit der Droge
Chrystal Meth in der Nähe des Nollendorfplatzes, einem bekannten
Schwulen- und Stricher-Kiez, erwischt. Sofort trat er – mit Ausnahme des
Bundestagsmandats – von allen Ämtern zurück. Erste
Rehabilitationsversuche begannen schon am Tag des Rücktritts.
Eine Phalanx von Parteifreunden, Medien und Persönlichkeiten des
öffentlichen Lebens warb und wirbt dafür, Beck wieder mit Ämtern und
Würden auszustatten. Der 55jährige, der sich als verwitwet bezeichnet
(sein Lebenspartner verstarb), witterte Morgenluft und begann mit dem
Wiederaufstieg: „Er fädelt sein Comeback so vorsichtig und geschickt
ein, daß er es damit ins Lehrbuch für strategische Kommunikation
schaffen könnte“, beobachtete die Rheinische Post.
Andere Politiker, die sich in echte oder angebliche Affären
verwickelt sahen, hatten weniger Glück. Fast schon vergessen sind
Philipp Jenninger (CDU), der ehemalige Bundestagspräsident, und der
frühere CDU-Abgeordnete Martin Hohmann. Beiden wurde vorgeworfen,
angeblich antisemitische Reden gehalten zu haben. Nach kurzem Zappeln
war die öffentliche Vorverurteilung so einhellig, daß sie ihre Ämter
verloren.
CSU-Aufsteiger Karl-Theodor zu Guttenberg, damals
Bundesverteidigungsminister, hatte zuviel Fremdtext in seiner
Doktorarbeit – er mußte genauso gehen wie Bildungsministerin Annette
Schavan (CDU); andere blieben trotz Problemen mit ihren Arbeiten im Amt.
Die Ministerpräsidenten Lother Späth (Traumschiff) und Max Streibl
(Amigo) kippten aufgrund von Bereicherungsvorwürfen. Und warum mußte
eigentlich Bundespräsident Christian Wulff zurücktreten? Die Vorwürfe
jedenfalls lösten sich in Luft auf.
Überhaupt das Fliegen: Bonusmeilen beziehungsweise der Verdacht der
privaten Nutzung kosteten Cem Özdemir (Grüne) und Gregor Gysi (Linke)
die Ämter. Beiden gelang immerhin nach einer Pause der Wiederaufstieg.
Der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) konnte die großzügige
Auslegung von Dienstwagen-Bestimmungen des Bundestages nichts anhaben.
Nun heißt es, wenn zwei das gleiche tun, ist das noch lange nicht
dasselbe. Aber es gibt eine Systematik, von der Politiker von Süssmuth
bis Beck über Gysi bis Özdemir profitieren und die Politiker von
Jenninger bis Hohmann zum Abtritt zwingt. Es hat etwas mit der
Vernetzung zu tun, wozu unverzichtbar eine Medien-Affinität gehört.
„Cleverle“ Späth war abgehoben wie Streibl, Hohmann war ein
Einzelgänger. Guttenberg war ein Überflieger, der weit über seinen
Parteifreunden schwebte, verankert war er nicht. Übrigens auch
Hans-Peter Friedrich nicht. Der CSU-Minister hatte angeblich
Vertraulichkeiten über Ermittlungen gegen den SPD-Abgeordneten Sebastian
Edathy wegen Kinderpornographie weitergegeben. Er mußte gehen.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, den der gleiche Vorwurf traf, ist
bis heute im Amt. Vernetzung heißt: Es gibt genug Parteifreunde, die
auch bei starkem Gegenwind solidarisch bleiben. Früher hieß das
Seilschaft. Medien-Affinität heißt: Politiker, die dienstliche Termine
absagen, um lieber auf Pressetreffs zu gehen, schaffen sich so Rückhalt
bei Medien.
Beck hat, das muß man wissen, bei Twitter mehr „Follower“ als die
Grünen-Fraktion. „Außerdem ist diese Drogennummer so wichtig nun auch
wieder nicht“, relativierte die taz. Andere Zeitungen wie der Kölner Stadt-Anzeiger sprangen Beck ebenfalls bei: „Mit Crystal Meth schädigt man nur sich selbst, mit Alkohol am Steuer gefährdet man auch andere.“
Und die „wirkliche gefährliche Alltagsdroge auch im Bundestag ist der
Alkohol. Ein Abgeordneter kann ihm praktisch nicht entrinnen“,
schwächte die Hessische Allgemeine ab, und für die Süddeutsche Zeitung
stand fest, Beck habe sich seine eigene Wirklichkeit mit Substanzen
geschaffen, „die das Leben schneller, bunter und selbstzentrierter
machen“.
Nachdem schon der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann mit Crystal
Meth aufgefallen war (Hartmanns Karriere ist zu Ende), fragte die FAZ
sorgenvoll: „Wissen wir, welchen Belastungen Politiker ausgesetzt
sind?“. Höhepunkt der Unterstützungskampagne war ein Aufruf von über 30
in Deutschland lebenden prominenten Juden, die der
Grünen-Fraktionsführung nahelegten, Beck wegen seiner Verdienste um die
Aussöhnung mit Israel in seinen Ämtern zu lassen.
Nachdem der „Sündenfall des Moralisten Volker Beck“ (B.Z.)
doch nicht so tief war, wurde aus der verschämt gestarteten
Rehabilitierung ein Hochamt: „Welcome Beck“ hieß es auf dem
Grünen-Landesparteitag NRW in Neuss lautstark, wo die Rheinische Post
noch einen zurückhaltend agierenden Beck beobachtete: „Er mied
Funktionäre und sammelte gezielt von eher unbekannten Parteifreunden
Schulterklopfer ein. Etwas tuscheln, flüchtige Umarmungen, dann weiter.“
Ein paar Tage später war es mit den grünen Distanzierungen nach dem
ersten Schreck endgültig vorbei: Fraktionschef Anton Hofreiter nahm Beck
vor den Grünen-Abgeordneten demonstrativ in den Arm. Die Fraktion
machte ihn inzwischen zum Sprecher für Menschenrechte und Religion.
Beck selbst reitet wieder auf hohem Roß: „Solange er niemand anderem
schadet, geht das Privatleben die Öffentlichkeit nichts an“,
ließ er über die Süddeutsche die Öffentlichkeit zu seinem Fall wissen. Zu den in Serie gegebenen Interviews von Beck fiel das im Kölner Express
auf: „Diejenigen, die mich schon immer gehaßt haben, haben das Thema
natürlich gegen mich verwendet. Der Mob im Internet hat das gefeiert.“
Dabei betreffe der Vorgang seine „Privatsphäre“.
Man kann das wie die Bild-Zeitung zu Recht als Abgehobenheit
und Arroganz geißeln. Tatsächlich zeigt der Fall Beck mehr: Die
deutsche politisch-mediale Klasse lebt in einer Parallelgesellschaft,
weit entfernt von der Realität und so fremdartig für die Bürger wie die
Kölner Hühnergasse für ein katholisches Ehepaar. JF am 7. 5. 2016
Anmerkung: Volker Beck sieht viel zu gesund aus, um diese Droge für sich selbst gekauft zu haben. Wahrscheinlich ist, dass er sich drogenabhängige Strichjungen damit gefügig machte. Und ihnen dadurch Schaden zufügte.
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