Samstag, 7. Mai 2016
Jahr Null
Die deutsche Margaret Thatcher
Das Ost-Berliner Kabarett-Theater Distel hat für Mitte Mai sein neues Programm angekündigt „Wohin mit Mutti?". Auf dem Plakat sieht man eine Person im Hosenanzug, die Hände formen ein nachdenkliches Dreieck, der Kopf steckt in einem leuchtenden Lampenschirm. So erhält die fortwährende moralische und geistige Erleuchtung, die Deutschland durch seine Kanzlerin erfährt, ein prägendes Symbol. Das Plakat ist sehr witzig, einen Besuch der Distel habe ich bereits vorgemerkt.
Wäre solch ein Plakat in der Türkei denkbar, mit dem Kopf des Präsidenten Erdogan im Lampenschirm? Wohl kaum. Zu den über 2000 Anklagen, die in der Türkei wegen Beleidigung des Präsidenten laufen, käme eine weitere hinzu. Außerdem könnte die Steuerverwaltung entdecken, dass das Theater mit seinem Abgaben im Rückstand ist, die Einnahmen pfänden und so die Schließung erzwingen. Vielleicht reicht es aber auch aus, den Regisseur und zwei Hauptdarsteller in vorläufige Haft zu nehmen. Niemand weiß das im voraus, und so ist es unwahrscheinlich, dass in Ankara solch ein Satiretheater wie die Distel, nur wenige 100 Meter vom Regierungssitz entfernt, eine Überlebenschance hätte.
Nun ist es zwar bedauerlich, aber nicht neu, dass westeuropäische Standards der Meinungsfreiheit nicht überall in der Welt herrschen. Allerdings hat sich Europa seine Standards bislang nicht von anderen diktieren lassen. Es ist nicht bekannt, dass der Osmanische Sultan Mehmed V. beim deutschen Kaiser Wilhelm II. in Presseangelegenheiten interveniert hätte und dieser daraufhin tätig geworden wäre.
So betrat man zweifellos Neuland in den gegenseitigen Beziehungen, als das türkische Ausßenministerium den deutschen Botschafter am 22. März offiziell einbestellte, um gegen ein zweiminütiges Spottvideo im 3. Programm des Norddeutschen Rundfunks „Erdowie, Erdowa“ zu protestieren. Das kam in Deutschland gar nicht gut an, wäre aber bald vergessen worden, hätte nicht der Satiriker Böhmermann am 31. März sein Schmähgedicht zu Erdogan in seiner ZDF-Satiresendung ausgestrahlt. Dafür, dass Erdogang gegen solch eine geballte Schmähkritik gerichtlich vorgeht, kann man sogar Verstädnis haben. Allerdings hätte der Papst viel zu tun, wenn er sich gegen vergleichbare Beleidigungen jedesmal gerichtlich wehrte, und es wäre auch nicht gut für seine päpstliche Würde.
Das bleibt aber zunächst eine Angelegenheit des türkischen Präsidenten. Eine ganz neue Dimension wurde erreicht, als sich die Bundeskanzlerin in der Folge beim türkischen Ministerpräsidenten Davotoglu für das Schmähgedicht entschuldigte und es „bewusst verletzend“ nannte. Die Bundeskanzlerin liebt moralische Zensuren, und sie liebt es auch, in solchen Zusammenhängen die Muskeln der Staatsmacht spielen zu lassen. Das habe ich selbst erlebt. Meist kommt sie damit durch, diesmal war es aber anders. Dieser erneute Fauxpas mit einer Betragenszensur an falscher Stelle berührt nämlich gleich drei wunde Punkte:
Er wirft zunächst die Frage auf, wie ernst es der Kanzlerin mit der Meinungsfreiheit ist. Der scharfe Abfall in ihren persönlichen Beliebtheitswerten veranlasste sie zu einer für ihre Psyche ganz ungewöhnlichen Korrektur: Sie erklärte öffentlich, es sei falsch gewesen, das Gedicht als „bewusst verletzend“ zu bezeichnen, und ihr Regierungssprecher betonte wiederholt, wie wichtig ihr die Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit sei. Das konnte den Schaden natürlich nicht beheben. Auch von Putin oder Erdogan sind solche Beteuerungen jederzeit zu hören.
Sodann erhebt sich die Frage, ob die selbst gewählte Abhängigkeit Deutschlands von der Türkei in Fragen der Flüchtlingspolitik ein vermehrtes Hineinregieren der Türkei in innerdeutsche Angelegenheiten zur Folge haben wird. Diese Abhängigkeiten sind ja objektiv gegeben. Es liegt allein in der Hand des von Deutschland eingesetzten Grenzwächters Türkei, ob mehr oder weniger Flüchtlinge auf den griechischen Inseln ankommen und in welchem Umfang die Tätigkeit der Schlepper unterbunden wird. Die Eilfertigkeit, mit der sich die Bundeskanzlerin beim türkischen Ministerpräsidenten entschuldigte, konnte als Ausfluss dieser Abhängigkeit interpretiert werden.
Diese Abhängigkeit zeigt sich auch in dem kolossalen Druck, den die Bundesregierung entfaltet, um bis zur Jahresmitte die Visafreiheit für türkische Bürger bei der Einreise in die EU zu erreichen. Die Türkei hat ja schon unverhohlen damit gedroht, das Grenzabkommen wieder außer Kraft zu setzen, wenn die Visafreiheit als politische Gegenleistung nicht kommt. Auf die Europäische Kommission kann man in diesem Punkt offenbar nicht hoffen, Jean Claude Juncker steht hier fest an der Seite der Bundeskanzlerin, denn er möchte das Schengen-Regime um nahezu jeden Preis retten. Wenn die Visafreiheit scheitert, wird sie am Widerstand der Franzosen scheitern.
Der dritte wunde Punkt ist ein generelles Unbehagen über eine Einlussnahme des Islams auf die Werte unserer Kultur. Dazu gehören Fatwahs gegen Schriftsteller, Todesdrohungen gegen Karikaturisten, Attentate auf satirische Zeitschriften, das Verschwinden von Schweinefleisch aus den Kantinen der Schulen, der wachsende Anteil muslimischer Schüler, die nicht am gemeinsamen Sport- und Schwimmunterricht und an Klassenfahrten teilnehmen, die Tätigkeit der türkischen staatsfinanzierten Ditib an Moscheen in Deutschland, aber eben auch die Versuche der türkischen Regierung, auf die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland und Europa unmittelbar Einfluss zu nehmen. Diese Ängste treiben den Aufstieg islamkritischer Parteien.
Für diesen Aufstieg hat die deutsche Bundeskanzlerin durch ihr missverständliches Agieren jetzt erneut eine Menge getan. Gleichzeitig hat sie für sich persönlich eine neue Front eröffnet, die sie nicht mehr mit einer eigenen Entscheidung schließen kann und an der sie auch nicht gewinnen kann. Das Gerichtsverfahren von Erdogan gegen Böhmermann wird über alle Instanzen gehen, das haben beide Seiten bereits angekündigt, und es wird vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2017 voraussichtlch nicht abgeschlossen sein. Wie immer es auf den einzelnen Instanzen ausgeht, Angela Merkel wird immer zu den Verlierern gehören: Wenn Böhmermann gewinnt, wird sie verlieren, weil sie sich von ihm öffentlich distanziert hat. Wenn er verliert, wird sie auch verlieren, weil sie durch ihre Kritik den türkischen Präsidenten quasi zur Klage ermutigt hat.
In der Rückbetrachtung mag es so sein, dass dieser Anruf beim türkischen Ministerpräsidenten das politische Ende von Angela Merkel eingeläutet hat.
Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche Thilo Sarrazin
Ziemlich schnell wurden wir aus dem Schlaraffenland wieder vertrieben. Was waren das für tolle Monate! Zuvor mussten wir jahrzehntelang knausern, schmetterten Politiker unsere Wünsche mit dem Hinweis ab, dass sie angeblich nicht finanzierbar seien.
Seit Sommer 2015 aber war plötzlich alles anders. Die Euronen regneten in dichten Schauern wie Manna vom Himmel. Milliarden und Abermilliardern konnten für Flüchtlinge, die aus Österreich zu uns geflüchtet waren, bereitgestellt werden, „ohne dass jemandem etwas weggenommen wird“. Nicht einmal Schulden musste der Staat dafür machen, denn, so Wolfgang Schäuble, „die schwarze Null steht“.
Viele Leute sind von dem Geldsegen unerwähnter Herkunft reich geworden: Betreuungs- oder Sicherheitsunternehmer, Vermieter von (bislang unvermietbaren) Immobilien oder Container-Hersteller. Ob sie das verdient hatten oder nicht, interessierte niemanden. Wer wollte und die Möglichkeit hatte, konnte herzhaft zugreifen und sich am Ende sogar noch für sein „zivilgesellschaftliches Engagement“ moralisch überzuckern lassen. Es war wunderbar.
Vorbei. Seit Kurzem ist alles wieder wie vorher. Die ergiebigen Euronen-Schauer haben sich verzogen und der altbekannten finanziellen Dürre Platz gemacht, in der die grauen Pfennigfuchser ihr rabiates Regime erneut aufrichten konnten. In den politischen Debatten der Republik wird wieder strengstens gerechnet. Immerzu fragt einer nach der „langfristigen Finanzierbarkeit“, nach den „Grenzen der Belastbarkeit von Beitragszahlern und öffentlichen Haushalten“.
Woran liegt das bloß? Vielleicht hat der Themenwechsel den tragischen Wettersturz ausgelöst. Es geht in den aktuellen Diskussionen nämlich nicht mehr vorrangig um Asylbewerber, sondern um die heimischen Rentner, insbesondere um die von morgen. Da schauen die Politiker ganz genau hin, wer was bekommt, ob er das auch verdient hat und was das alles kosten wird.
Der Debattenschwenk vom Asylgeld-Segen zum Renten-Geknauser ging von den Sozialdemokraten aus. Denen laufen bekanntlich die Wähler davon. Grund des Bürger-Grolls ist, dass die einstige Partei der kleinen Leute in deren Augen zur Partei der fremden kleinen Leute und großen Asylgewinnler mutiert ist.
Als Gegenmaßnahme gegen den Vertrauensverlust hatte Sigmar Gabriel die Losung ausgegeben, man müsse sich wieder verstärkt um die Einheimischen kümmern. Dabei hatte er das Rentenloch entdeckt, in das jedes Jahr mehr Deutsche hineinfallen, um sich dort unten mit der Grundsicherung durch den Lebensabend zu quälen.
Da hagelt es nun Lösungsideen: Lebensleistungsrente oder „Deutschland-Fonds“ heißen zwei Schlagwörter. Die Lebensleistungsrente zielt darauf ab, dass es für die Rentenhöhe immer gleichgültiger sein soll, wie viel einer eingezahlt hat. „Deutschland-Fonds“ heißt die neue Riester-Rente, die nach dem Erfolg der alten entsprechend begeistert aufgenommen werden dürfte. Was sonst noch vorgeschlagen wird, läuft auf gewaltige Beitragssteigerungen hinaus.
Mit anderen Worten: Gabriels Schuss geht, wie alle seine schlauen Ideen, krachend nach hinten los. Muss er aber auch immer alles falsch machen! Allein die zeitliche Abstimmung ist eine Katastrophe. Der krasse Wechsel von der paradiesischen Geldverschleuderei zugunsten der Asylbewerber zur gramverknitterten Kostendebatte bei den Renten hat dem Letzten enthüllt, dass er mit dem Verdacht, den Gabriel eigentlich entkräften wollte, völlig richtig liegt: Nämlich dass Leute, die vom Ausland hereinschneien, bevorzugt behandelt werden.
Überdies sind es bis zur nächsten Bundestagswahl noch fast anderthalb Jahre. Wären es bloß ein paar Wochen, könnten die Politiker sich gegenseitig mit den unhaltbarsten Versprechungen überbieten und so das entzückte Volk hinter sich scharen. Anderthalb Jahre aber genügen, um jede ihrer wortreich ausgeschmückten Spinnereien auffliegen zu lassen. Zumal der Glaube der Deutschen an ihre Rentenpolitiker ohnehin ein wenig erschüttert ist, seit sich 16 Millionen Leute von einem SPD-Minister auf die Leimruten der Versicherungskonzerne haben riestern lassen, wo sie seitdem geplündert werden.
Was also wird bei dem anstehenden Renten-Hickhack herauskommen? Am besten für die Politiker wäre es, wenn am Ende gar nichts passiert. In Wahrheit aber steht weit Übleres zu befürchten. Es könnte im Zuge der Debatte nämlich ans Licht dringen, welchen Schaden die Regierungen am einst so soliden deutschen Rentensystem angerichtet haben mit ihrem Gefinger der vergangenen 15 Jahre; dass es keineswegs nur dem Pillenknick geschuldet ist, dass sich dieses früher so verlässliche Regelwerk in ein unkalkulierbares Risiko verwandelt hat. Diese Entdeckung wird den Wählern große Freude bereiten, welche am Wahltag im September 2017 ihren Niederschlag finden dürfte.
Es ist immer eine hässliche Erfahrung, mit den eigenen Fehltritten der Vergangenheit konfrontiert zu werden, das gilt beileibe nicht nur für Rentenpolitiker. Heiko Maas ist seinem eigenen Sündenfall am 1. Mai begegnet. Sein Vergehen: Vor Monaten hatte Maas in einer Runde von Potsdamer Gymnasiasten die Blockade rechter Demos als „cool“ bejubelt. Das war schon was: Solche Blockaden sind ein schwerer Verstoß gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, ebenso wie die massive Störung legaler öffentlicher Versammlungen. Es verblüfft ein wenig, wenn ein Bundesjustizminister Verbrechen an einem fundamentalen Bürgerrecht begrüßt.
Zum Tag der Arbeit wollte Maas nun in Zwickau eine Rede halten. Die aber haben aufgebrachte Bürger derart lautstark gestört, dass der Redner gleichsam „blockiert“ war, schließlich in seine dunkle Dienstlimousine flüchtete und, so Augenzeugen, „mit quietschenden Reifen“ davonsauste. Na? War das „cool“, Herr Bundesminister?
Woher der Ärger der Zwickauer rührt, ist leicht aufzuspüren. Minister Maas hatte, wie andere Politiker auch, gewisse Demonstranten mit unflätigen Schimpfwörtern überzogen, Demonstranten, von denen es in Sachsen besonders viele gibt und denen die Asylpolitik der Bundesregierung auf den Magen geschlagen ist.
Diese Bürger wird es freuen, wenn sie das neueste Kabinettstück zu dem Thema hören, welches die „Zeit“ in einem Online-Video unters Volk bringt. Dort wird berichtet, dass Berlin für Neuzuwanderer 20 Prozent höhere Mietzuschüsse gewährt als es für Hartz-IV-Empfänger herausrückt. Eine interessante Nachricht für alle geschäftstüchtigen Vermieter, von denen einige schon daran arbeiten werden, ihre Hartzer auf die Straße zu bekommen.
Niemandem wird etwas weggenommen? Na ja, wir wollen nicht kleinlich sein. Schließlich werden wir alle dereinst von den neuen Nachbarn profitieren, denn, so schallt es uns täglich um die Ohren, die Zuwanderer bringen Deutschland schließlich voran.
Voran schon, doch in welche Richtung? In einem Gutachten fordert der „Aktionsrat Bildung“ (nach eigenen Angaben ein „Expertengremium renommierter Bildungswissenschaftler“), aus Rücksicht auf die „Flüchtlinge“ die Standards in der deutschen Berufsausbildung abzusenken. An der Schule sollten Lehrer in den Fächern der Naturwissenschaften zudem den Gebrauch von Fachausdrücken einschränken.
Die Experten würzen ihre Vorschläge mit aufschlussreichen Daten darüber, wie weit uns die Zuwanderung in der Vergangenheit schon vorangebracht hat: Danach gehen gut zweieinhalb Mal so viele Ausländerkinder ohne Berufsabschluss ins Leben wie ihre deutschen Altersgenossen.
Hatten wir nicht auch mal was gehört von der segensreichen Wirkung der Zuwanderung auf die Rentenkasse? Nach diesen Zahlen ahnen wir, wer da später für wen die Rente zahlen soll. PAZ am 7. 5. 2016
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