Montag, 11. Juni 2018
Anschaulich
Ein Foto, das vom Bundes-Presseamt zum G7-Gipfel in Kanada verbreitet wurde, machte innerhalb kürzester Zeit im Netz Karriere. „Das Bild, das bleibt“ schreibt Spiegel-Online. „Die Kanzlerin scheint engagiert für ihre Sache zu kämpfen. Neben ihr stehen der japanische Präsident Shinzō Abe und Emmanuel Macron. „Donald Trump wirkt in diesem Moment wie ein trotziges Kind,“ analysiert „meedia“. Die Erwartungshaltung der deutschen Medien und der Kanzlerinnen-Darstellungs-Auftrag von Regierungssprecher Steffen Seibert trafen trefflich aufeinander. Das Bild von der couragierten Kanzlerin, die dem Mann im Weißen Haus scheinbar mal kräftig Bescheid gibt, ging um die Welt. Mit der Realität der tatsächlichen Situation hat es aber wenig zu tun. Wer die Gegenschüsse und Totalen der Situation vergleicht, stellt schnell fest, dass sich Trump in diesem Moment nicht mit Merkel auseinandersetzt, sondern dass seine Aufmerksamkeit auf Emmanuel Macron und Theresa May gerichtet ist, die links verdeckt im Bild stehen.
„Das Foto ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass es gerade bei visuellen Darstellungen auf die Perspektive ankommt. Denn von den Minuten der intensiven Verhandlungen zwischen den mächtigsten Politikern der Welt gibt es unterschiedliche Fotodokumente – die jeweils eine andere (Bild)-Geschichte erzählen“, schreibt Meedia. Praktisch jede Pressestelle der vertretenen Politiker sucht eine spezielle Perspektive des Geschehens, um die Verdienste ihres jeweiligen Herren oder ihrer Herrin als möglichst entschlossen ins Bild zu setzen. Diese erzählen jeweils andere Geschichten – aus den Sichten von Trump, Trudeau, Abe und Macron. Ein wirklich interessantes Dokument sind nur alle Bilder zusammen, weil sie den politischen Kampf um die Hoheit über die Bilder so wunderbar offenlegen. Die Kraft der Situation entsteht im übrigen auch daraus, dass die um den Tisch versammelte Runde ikonografisch an Leonardos berühmtes Abendmahl erinnert. Der Tisch und die versammelten Jünger, die Gestik und die Gesprächssituationen weisen frappierende Parallelen auf.
Das von der Bundesregierung verbreitete Bild wird mehr für das heimische Image der Kanzlerin tun, als es hundert Reden könnten. Die Frage ist allerdings, ob dieser propagandistische Coup auch klug ist. Ich zweifle die spezielle Runde der Staatsfrauen und -männer um Trump herum nicht an. Die abgebildete Versammlung war sicher so engagiert beieinander, und sie wollten ganz sicher Mr. Trump überzeugen. Faktisch eine starke Mannschaft, die es braucht, um den einen Mann zu verklügern.
Das Resultat ist bekannt. Der US-Präsident war bereit, die G7-Erklärung unterzeichnen zu lassen. Die Mannschaft hatte tatsächlich was erreicht. Die Erklärung war in Sack und Tüten, Trump konnte nach Singapur fliegen, um sein Wunder mit Kim zu zelebrieren, und alles war gut. Aber Halt! Der zur berechenbaren Riege der Guten gehörende Justin Trudeau legte dem davonfliegenden unberechenbaren Beelzebub ein schwefliges eitles Ei ins Nest.
Statt den Erfolg mit Trump anzunehmen und sich der Erklärung zu erfreuen, machte Justin ohne Not auf High noon und baute sich zu Goliath auf, riss die gute Stimmung weg und drohte dem Cowboy aus USA. Dummerweise las der auch im Flugzeug die Nachrichten und kam sich sofort veräppelt vor. Was ihm nicht zu verdenken ist.
Trump flog im Hochgefühl einer mit ihm geglückten G7-Erklärung zum nordkoreanischen Gewaltherrscher und musste kurz nach dem Start im Flugzeug lesen, dass Trudeau ihn hinterrücks liliputaniserte. Was würde wohl Kim davon halten? Der Wert Trumps als gewaltiger Sparringspartner in Singapur fiel aus Sicht Trumps gegen Null. Umzukehren war dieser Effekt nur mit einer Ohrfeige für Trudeau und dessen Formulierungspolitikerkollegen der G6. Sowas kommt von sowas.
Es war Trudeau, der nicht bis drei zählte, und der damit das Scheitern der G7-Erklärung verursachte. Trump musste doch unbedingt als Siegertyp in Singapur landen. Trudeau sah das nicht voraus und nun sitzen die Trump-Bekehrer des Bundespresseamts als unglücklicher Hühnerhaufen allein zu Hause herum.
Und was machen sie? Natürlich wieder das Falsche: Trump ist böse, unberechenbar und überhaupt. Und wie beweisen sie das? Fotomontagenhaft. Auf dem Foto muss sich Trump scheinbar von Merkel Vorhaltungen machen lassen. So war es aber nicht. Ich will nicht behaupten, dass das Bundespresseamt lügt. Aber die Wahrheit verbreitet es auch nicht. Solche fake-ähnlichen Darstellungen sind nicht nur weltpolitisch alles andere als klug. Der US-Präsident wird sich mit seinem Elefantengedächtnis auch das merke(l)n. Die Bundeskanzlerin wird nun noch mehr schwimmen müssen. Wetten?
Zur Frage, wer ist berechenbar und wer unberechenbar? Ist Trump, der tut, was er sagt, tatsächlich unberechenbar, und sind seine Salonpolitikerkollegen der G6, die gestern anders reden als sie es heute tun, tatsächlich berechenbar? Beide sind berechenbar. Im Fall von Trump sollten wir ihm gut zuhören, und wir wissen sofort, was durch ihn und mit ihm geschieht, die pessimistische Variante ist wahrscheinlich. Bei seinen moralisch höher festgeschraubten Kollegen sollten wir frohgemut und optimistisch auf das Gegenteil ihrer Worte setzen. Das ist in gewisser Weise auch berechenbar. Gunter Weißgerber
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