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Dienstag, 26. Juni 2018

Ein bisschen Anthropologie und Geschichte

To whom it may concern: Seit einer guten Woche ist mein Buch „Tanz im Orientexpress – eine feministische Islamkritik“ auf dem Markt, und die Erinnerungen werden wach. Während meiner Karriere waren die Fehlinformationen über den Bauchtanz schon weit verbreitet. Das ist inzwischen nicht besser geworden. Daher kurz die größten Bauchtanzirrtümer:
1. Bauchtanz wird mit dem Bauch getanzt.
Irrtum. Bauchtanz wird vor allem mit dem Becken und mit dem ganzen Körper getanzt. Bauchbewegungen gibt es nur wenige. Da europäische Reisende im 19. Jahrhundert noch nie Tänzerinnen mit nackter Körpermitte gesehen hatten, benannten sie den fremden Tanz nach seinem hervorstechenden Merkmal. Der Bauchtanz heißt im gesamten Orient Orientalischer oder Arabischer Tanz. Der englische Begriff „bellydance“, so vermuten Etymologen, leitet sich möglicherweise vom ägyptischen „baladi“ ab, einer Bezeichnung für volkstümlichen Bauchtanz
2. Bauchtanz gehört zur muslimischen Kultur.
Riesenirrtum! Der Bauchtanz hat mit dem Islam nichts zu tun. Er existierte schon seit Jahrtausenden im orientalischen Raum. Ethnologen und Kulturwissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass es sich um den ältesten Tanz der Menschheit handelt. Er hat seinen Ursprung in archaischen Fruchtbarkeitsriten, als es noch zahlreiche weibliche Gottheiten gab, die Fruchtbarkeit von Frau und Erde als göttlich galt und die weibliche Sexualität noch keine Schande war. Getanzt wurde zu Ehren der babylonischen Astarte/Ischtar/Ostara (deren Namen wir sowohl das Osterfest als auch das Östrogen verdanken) oder auch der ägyptischen Isis. Zahlreiche Artefakte betätigen die Existenz des Tanzes in diesen Zeiten, so diese Statuette oder altägyptische Grabfresken.
Mit dem Übergang zu monotheistischen Religionen, die die Frauen, ihre Sexualität und ihre Körper zum Besitz von Männern machten, verlor der Bauchtanz an Bedeutung und wurde zur profanen Unterhaltung. Mit dem Siegeszug des Islam verbreitete sich der Tanz zwar weit im asiatischen, afrikanischen und europäischem Raum, er wurde aber stets als unislamisch bekämpft, die Tänzerinnen verteufelt und geächtet. Bis heute ächtet der Islam den Bauchtanz, selbst in deutschen Moscheen und in Fatwen von deutschen muslimischen Geistlichen wird der Tanz explizit als „unislamisch“ verdammt.
3. Orientalinnen haben den Bauchtanz im Blut.
Nein, das haben sie nicht. Und außerdem korreliert dieser Irrtum mit einem zweiten: …und daher können Europäerinnen auch nicht bauchtanzen. Orientalinnen haben den Bauchtanz nicht im Blut, ebenso wenig wie Deutsche den Schuhplattler. Die Fähigkeit zu volkstümlichen Tänzen wird nicht genetisch vererbt, sondern sozio-kulturell. Wird das Mädchen in eine Musik- und Tanz liebende Familie hineingeboren, fängt sie wahrscheinlich mit dem Bauchtanz an, sobald sie gehen lernt. Ist das nicht der Fall, lernt sie eben keinen Bauchtanz. Da der Bauchtanz in mehrheitlich islamischen Ländern mehr und mehr zurückgedrängt wird, gibt es hervorragende Bauchtänzerinnen inzwischen eher in Amerika, Europa und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Sogar die grazilen Chinesinnen sind mittlerweile auf dem Vormarsch.
4. Bauchtanz ist hauptsächlich für die Männer da.
Erstaunlicherweise nicht. Jeder, der schon mal im Orient war, weiß, wie sehr die Frauen ihren Tanz lieben und wie oft sie untereinander und füreinander tanzen. Die Vorstellung, dass der „Haremstanz“ dazu diente, den Sultan zu erfreuen, ist ein westliches Klischee, das kräftig von Orientalisten aller Couleur befeuert wurde.
Am häufigsten diente er im Harem dem Zweck, die tödliche Langeweile im goldenen Käfig zu bekämpfen. Auch das Klischee, dass der Bauchtanz eine Art orientalischer Tabledance sei, verdankt er Literaten wie Gustave Flaubert, die die berühmten Tänzerinnen zwar wegen ihrer Tanzkunst aufsuchten, hauptsächlich aber, um gegen Geld mit ihnen zu schlafen.
5. Bauchtanz kann doch wirklich jeder.
Bauchtanz für den Hausgebrauch, für die Fitness und den Spaß am orientalischen Lebensgefühl kann in der Tat jeder: Männer, Frauen, Kinder. Den bühnenreifen Bauchtanz jedoch nicht. Wie heißt es doch so schön: Viele sind berufen, doch nur wenige sind auserwählt. Guter orientalischer Tanz erfordert jahrelange Übung und Fortbildung, tägliches Training, perfekte Technik, hohe Musikalität, gutes Rhythmusgefühl und unbedingt Ausstrahlung, einen gewissen Look und eine persönliche Note. Schlechter Bauchtanz ist hingegen kaum auszuhalten.
Antje Sievers: Tanz im Orientexpress – Eine feministische Islamkritik, mit einem Nachwort von Zana Ramadani, Hardcover/Klappenbroschur, 21,0 x 14,5 cm, Verlag Achgut Edition, ISBN 978-3-9819755-0-5, 17,00 €. Hier gehts zum Shop.

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