To whom it may concern: Seit einer guten Woche ist mein Buch „Tanz im Orientexpress
– eine feministische Islamkritik“ auf dem Markt, und die Erinnerungen
werden wach. Während meiner Karriere waren die Fehlinformationen über
den Bauchtanz schon weit verbreitet. Das ist inzwischen nicht besser
geworden. Daher kurz die größten Bauchtanzirrtümer:
1. Bauchtanz wird mit dem Bauch getanzt.
Irrtum. Bauchtanz wird vor allem mit dem Becken und mit dem ganzen
Körper getanzt. Bauchbewegungen gibt es nur wenige. Da europäische
Reisende im 19. Jahrhundert noch nie Tänzerinnen mit nackter Körpermitte
gesehen hatten, benannten sie den fremden Tanz nach seinem
hervorstechenden Merkmal. Der Bauchtanz heißt im gesamten Orient
Orientalischer oder Arabischer Tanz. Der englische Begriff „bellydance“,
so vermuten Etymologen, leitet sich möglicherweise vom ägyptischen
„baladi“ ab, einer Bezeichnung für volkstümlichen Bauchtanz
2. Bauchtanz gehört zur muslimischen Kultur.
Riesenirrtum! Der Bauchtanz hat mit dem Islam nichts zu tun. Er
existierte schon seit Jahrtausenden im orientalischen Raum. Ethnologen
und Kulturwissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass es sich um
den ältesten Tanz der Menschheit handelt. Er hat seinen Ursprung in
archaischen Fruchtbarkeitsriten, als es noch zahlreiche weibliche
Gottheiten gab, die Fruchtbarkeit von Frau und Erde als göttlich galt
und die weibliche Sexualität noch keine Schande war. Getanzt wurde zu
Ehren der babylonischen Astarte/Ischtar/Ostara (deren Namen wir sowohl
das Osterfest als auch das Östrogen verdanken) oder auch der ägyptischen
Isis. Zahlreiche Artefakte betätigen die Existenz des Tanzes in diesen
Zeiten, so diese Statuette oder altägyptische Grabfresken.
Mit dem Übergang zu monotheistischen Religionen, die die Frauen, ihre
Sexualität und ihre Körper zum Besitz von Männern machten, verlor der
Bauchtanz an Bedeutung und wurde zur profanen Unterhaltung. Mit dem
Siegeszug des Islam verbreitete sich der Tanz zwar weit im asiatischen,
afrikanischen und europäischem Raum, er wurde aber stets als unislamisch
bekämpft, die Tänzerinnen verteufelt und geächtet. Bis heute ächtet der
Islam den Bauchtanz, selbst in deutschen Moscheen und in Fatwen von
deutschen muslimischen Geistlichen wird der Tanz explizit als
„unislamisch“ verdammt.
3. Orientalinnen haben den Bauchtanz im Blut.
Nein, das haben sie nicht. Und außerdem korreliert dieser Irrtum mit
einem zweiten: …und daher können Europäerinnen auch nicht bauchtanzen.
Orientalinnen haben den Bauchtanz nicht im Blut, ebenso wenig wie
Deutsche den Schuhplattler. Die Fähigkeit zu volkstümlichen Tänzen wird
nicht genetisch vererbt, sondern sozio-kulturell. Wird das Mädchen in
eine Musik- und Tanz liebende Familie hineingeboren, fängt sie
wahrscheinlich mit dem Bauchtanz an, sobald sie gehen lernt. Ist das
nicht der Fall, lernt sie eben keinen Bauchtanz. Da der Bauchtanz in
mehrheitlich islamischen Ländern mehr und mehr zurückgedrängt wird, gibt
es hervorragende Bauchtänzerinnen inzwischen eher in Amerika, Europa
und Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Sogar die grazilen Chinesinnen
sind mittlerweile auf dem Vormarsch.
4. Bauchtanz ist hauptsächlich für die Männer da.
Erstaunlicherweise nicht. Jeder, der schon mal im Orient war, weiß,
wie sehr die Frauen ihren Tanz lieben und wie oft sie untereinander und
füreinander tanzen. Die Vorstellung, dass der „Haremstanz“ dazu diente,
den Sultan zu erfreuen, ist ein westliches Klischee, das kräftig von Orientalisten aller Couleur befeuert wurde.
Am häufigsten diente er im Harem dem Zweck, die tödliche Langeweile
im goldenen Käfig zu bekämpfen. Auch das Klischee, dass der Bauchtanz
eine Art orientalischer Tabledance sei, verdankt er Literaten wie
Gustave Flaubert, die die berühmten Tänzerinnen zwar wegen ihrer
Tanzkunst aufsuchten, hauptsächlich aber, um gegen Geld mit ihnen zu
schlafen.
5. Bauchtanz kann doch wirklich jeder.
Bauchtanz für den Hausgebrauch, für die Fitness und den Spaß am
orientalischen Lebensgefühl kann in der Tat jeder: Männer, Frauen,
Kinder. Den bühnenreifen Bauchtanz jedoch nicht. Wie heißt es doch so
schön: Viele sind berufen, doch nur wenige sind auserwählt. Guter
orientalischer Tanz erfordert jahrelange Übung und Fortbildung,
tägliches Training, perfekte Technik, hohe Musikalität, gutes
Rhythmusgefühl und unbedingt Ausstrahlung, einen gewissen Look und eine
persönliche Note. Schlechter Bauchtanz ist hingegen kaum auszuhalten.
Antje Sievers: Tanz im Orientexpress – Eine feministische
Islamkritik, mit einem Nachwort von Zana Ramadani,
Hardcover/Klappenbroschur, 21,0 x 14,5 cm, Verlag Achgut Edition, ISBN
978-3-9819755-0-5, 17,00 €. Hier gehts zum Shop.
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