Es fällt einem in Ost- bzw. Mitteldeutschen Aufgewachsenen schwer,
sich dieser Tage nicht an den Herbst 1989 erinnert zu fühlen, die Déjà-vus
werden in allzu großer Zahl vorstellig. Wieder wankt ein Regime, das
sich im Namen des Fortschritts und des Weltfriedens wie ein gewaltiger
Parasit auf das Land gelegt hat und seine Bürger aussaugt, wieder
bekämpft ein "breites gesellschaftliches Bündnis" aus Politbürokraten,
Blockparteifunktionären, sozialistischen Medien- und Kulturschaffenden,
Lehrern, Staatspfaffen, Professoren, Kampfgruppen, Kabarettisten,
Engagierten und Spitzeln die Opposition, wieder streut die Führung über
die staatlich gelenkten Medien infantile Durchhalteparolen aus
("Vorwärts immer, rückwärts nimmer" = "Wir schaffen das"; "Die Partei,
die Partei, die hat immer recht" = "Meine Politik ist alternativlos"),
während sie das Land verkommen lässt, wieder gehen unbotmäßige Bürger
gegen ideologisierte Bürokraten auf die Straße, wieder werden
Bürgerrechtler von Schlägern verfolgt und von Bütteln denunziert, wieder
findet in Betrieben eine Jagd auf Falschmeiner und Abweichler statt,
wieder ist Oppositionsverleumdung die Hauptaufgabe der Medien, wieder
ist Sachsen das Herz des Widerstandes, wieder zerbricht ein autoritärer
transnationaler Pakt zuerst an den freiheitsliebenden Polen und Ungarn,
wobei die Ungarn diesmal eben die Grenzen gegen eine gefährliche Flut
schließen, statt sie einer befreienden zu öffnen (zu den noch nicht
ausreichend gewürdigten Pikanterien unserer Tage gehört, dass eine den
DDR-Mauerbauern als Jugendfunktionärin Dienstbare heute erklärt, Grenzen
könnten keine Menschen aufhalten).
Die Rolle Gorbatschows hat Donald Trump übernommen, während Vera Lengsfeld wieder von Vera Lengsfeld gespielt wird; Glasnost und Perestroika
kommen heute über den Atlantik, und die einheimische Nomenklatura
schaut geifernd und zähnefletschend zu, wie der einstige große Bruder
und Verbündete von der reinen Lehre abfällt, während Russland in die
Rolle der USA, durch Honnis Schieleisen gesehen, schlüpfte und der
"Aggressor Israel" das für seinen Überlebenswillen zu verurteilende
Israel geblieben ist. Die einzige Oppositionspartei AfD ist das aktuelle
Neue Forum, die hauptamtliche Stasi ist zwar deutlich kleiner und in
ihren Methoden behutsamer, die Zahl der Spitzel, Anschwärzer und IM
allerdings ungleich größer geworden. Damals wie heute golt und galt der
Kampf dem wieder drohenden "Faschismus", dem einzig wirklich fruchtbar
gebliebenen deutschen Schoß, und damals wie heute bekam jeder dieses
Stigma verpasst, der sich gegen die Politik des Regimes aussprach.
In einem der letzten regierungstreuen Kommentare des Neuen Deutschland
schrieb im Oktober 1989 irgendeine Funktionärin, egal was passieren
werde, die Kommunisten hätten stets recht und ihre Gegner stets unrecht
gehabt, heute liest man diesen Satz in unzähligen Variationen täglich
von taz bis Zeit. Buhr heißt heute Habermas und ist
sogar intelligenter geworden (kann aber schlechter schreiben),
Karl-Eduard nennt sich Heribert und einmal in der Woche Jakob. Jenem
treuen Untertanen Erichs des Einzigen, den West-Agenten im Oktober 1989
angeblich mit K.O.-Tropfen betäubt und nach Österreich entführt hatten,
von wo er in seine geliebte DDR zurückzukehren begehrte, entspricht als
Medienclou heute die Anzeige gegen den Chef der Bundespolizei, weil der
den Extremkuschler Ali B. angeblich aus dem Irak hat entführen lassen.
Nicht zu reden von der sentimentalen Träne, die Margot Merkel beim
Abschied von Barack Breschnew Medienberichten zufolge über die
beschichtete Wange rann, nicht zu reden ferner von den hunderten
Brieftaschen, die Asylbewerber gefunden und ihren schusseligen deutschen
Besitzern zurückerstattet haben, oder von den wirtschaftlichen Erfolgen
der Neubürger, die jenen der realsozialistischen Wirtschaft kaum
nachstehen. Betreutes Schreiben und Lesen damals wie heute,
Durchsetzungsgesetze damals ohne Netz wie heute mit,
Internationalsozialismus diesseits wie jenseits der Zeitmauer und der
ehemals realen.
Was fehlt noch? Das Pendant einer Szene vom 17.
Oktober 1989: "Ich beantrage die Entbindung des Genossen Honeckers von
allen seinen Ämtern. – Angela, es geht nicht mehr. Du musst gehen."
***
Nun,
so schnell wird die böse Fee nicht weichen. Nachdem sie vorgestern
Abend einsehen musste, dass sie in ihrer eigenen Fraktion keinen
Unterstützer mehr für ihre Völkerwanderungsermunterungspolitik mehr
besitzt, griff Angela I. beherzt zum Händi und telefonierte
naheliegenderweise mit den Sozis, denen sie in schlauer Antizipation des
Kommenden überschwänglich viele und zu Dankbarkeit verpflichtene
Ministerien übertragen hat; es soll keiner sagen, sie hinge an einer
Partei. Danach hat sie wahrscheinlich auch mit einigen Grünen
telefoniert, dann mit Pressebesitzern, und ganz zuletzt klingelte sie
die CDU-Landeschefs aus der Heia (also das alles hätte zumindest ich an
ihrer Stelle getan, wobei ich nicht unglücklich darüber bin, an meiner
Stelle zu sein). Nach positiven Rückmeldungen kam das CDU-Präsidium an
die Reihe. Wenn die CDU-Fraktion der CSU folgt, muss eben eine neue
Front aufgebaut werden. Heute wurde das Ergebnis bekannt: Die SPD droht
mit Koalitionsaustritt, falls die Union sich von Merkels Idee
verabschiedet, die europäischen Völker mit Drittweltmigranten zu
verdünnen, mählich in Einheitsbevölkerungen zu verwandeln und zur
Erleichterung dieses Transformationsprozesses die Nationalstaaten unter
die Fuchtel der barbarischen Brüsseler Vereinheitlicher zu zwingen (ein
Abgeordneter aus dem Kulturausschuss berichtete, dass die EU nun analog
zum Gender Mainstreaming ein Cultural Mainstreaming-Programm
über willige Vollstrecker im Bundestag durchdrücke, und dies ganz
orwellesk als Förderung von Vielfalt verkaufe), und stracks sank die
Helden- und Heldinnenriege des Präsidiums zum Treueschwur auf die
morschen Knie.
Schon im Herbst 2015 hatte sich in der
CDU-Bundestagsfraktion eine Fronde gegen die Grenzöffnung formiert, mehr
als 60 Abgeordnete protestierten, aber sie ließen sich auf den
läppischen Modus eines Briefs an die Domina herunterhandeln. Jeder
einzelne musste danach bei Kauder antanzen und sich über seine
persönlichen Karrierepläne befragen lassen, mit Ausnahme der
Direktkandidaten ist keiner der Frechlinge 2017 wieder in den Bundestag
eingezogen – nicht dass Sie glauben, geneigter Leser, sie werden von
Leuten regiert, die an Freiheit, Recht und Pluralismus interessiert
sind. Nein, diese Figuren sind bloß fatzkehaft kleine Teile "jener
Kraft,/ die stets das Gute will und stets das Böse schafft".
Inzwischen
ist die Lage für die Empörer günstiger, die CSU hat die Landtagswahl im
Nacken, und im Zweifelsfalle san mia halt mia und g’schissen is auf den
Bund. Die Fraktion war sich erstmals einig gegen Merkel, aber was heißt
das schon, es wäre ja nicht das erstemal, dass jemand von seiner
eigenen Courage erschrickt, zumal Merkel nun ihre Nazgûl aussendet, um
jeden einzelnen Abgeordneten für sich allein aufzutreiben, zu
erschrecken und zu kaudern? "Der Starke ist am mächtigsten allein"
(Schiller, "Wilhelm Tell") ...? – Aber wo denn? Müssen doch alle ihr
Auskommen finden, und das Land geht langsamer vor die Hunde als die
eigene Karriere... –
Dennoch, ich bleibe dabei, die
Merkeldämmerung hat begonnen. Die AfD-Abgeordneten sollten jetzt
T-Shirts mit dem Aufdruck tragen: "Jeder Abgeordnete ist einzig seinem
Gewissen unterworfen"; mehr Opposition geht nicht in einem Parlament, in
dem die Otto-Wels-Verehrer die absolute Mehrheit stellen. Oder stellen
thäten. Heute vormittag wurde übrigens die Plenardebatte unterbrochen,
damit sich die Union zur internen Beratung zurückziehen konnte. Das ist
nicht nur ungewöhnlich und unüblich, sondern zeugt von einer gewissen
Dreistigkeit, denn was anderes als der Terminplan der Fremdenführerin
kann Anlass gewesen sein, das restliche Parlament in die Hofpause zu
schicken?
***
Seit Wochen, notierte der Spiegel
im Oktober 1989, haben in der DDR Witze über den greisen
Generalsekretär Konjunktur: "Typisches Beispiel: Was hat Honecker mit
einem Blindgänger gemeinsam? Niemand traut sich an ihn ran, und von
selbst krepiert er nicht."
***
Was
unsere Sonnenkanzlerin betrifft, würde es mir genügen, wenn sie sich
weniger mit dem deutschen und mehr mit dem chilenischen Asylrecht
beschäftigte.
***
Gestern
Abend in der Bibliothek des Konservatismus. Im Anschluss an den
Referenten, einen CDU-Funktionär auf ungefähr Höhe Halbmast, folgt die
Fragestunde. Eine Ärztin leitet ihre Frage mit der Bemerkung ein, dass keiner
ihrer muslimischen Patienten nicht mit einem oder einer Verwandten
verheiratet sei. Die Folgen für den Nachwuchs seien schrecklich, fast
alle diese Kinder hätten irgendwelche auf Gendefekten beruhende
Gesundheitsschäden. Wenn sie das aber öffentlich thematisiere, werde man
sie als Euthanasistin oder Nazisse beschimpfen.
Merke: Den Gutmenschen irritieren nicht die Tatsachen, sondern dass sie einer ausspricht.
***
Das Zentralorgan für Empathie und angewandten Humanitarismus Spiegel online sorgt sich um die Stimmung in Mainz.
"Der
Lebensgefährte von Susannas Mutter macht die Wohnungstür auf, müde und
unrasiert. Es tue ihm leid, aber er wolle nichts sagen. Dann macht er
freundlich die Tür zu. Eine Ahnung dessen, was in ihm vorgeht, bietet
sein Facebookprofil. Vor Susannas Verschwinden veröffentlichte er
Fußballclips und Videos von sizilianischen Stränden. Jetzt teilt er ein
Video der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die Merkels Rücktritt
fordert. Oder Bilder, die Angela Merkel zeigen, mit blutenden Händen,
eine Kugel im Bauch. Die Wut, so sieht es aus, hat auch ihn erfasst."
Seltsam. Was mag dem Mann Schlimmes zugestoßen sein? MK am historischen 14. Juni 2018
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