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Dienstag, 26. Juni 2018

Deutsche Mark

Nach 40 Mark standen die Menschen am 20. Juni 1948 Schlange. Soviel erhielt jeder Deutsche in den Westzonen, der sogenannten Trizone, als Startgeld, nachdem die Reichsmark ihre Gültigkeit verloren hatte. Nur Münzen und Briefmarken blieben zu einem Zehntel ihres Wertes vorläufig weiter im Umlauf.
Diese Währungsreform war unter strengster Geheimhaltung vorbereitet worden. Nahe Kassel kamen elf Vertreter deutscher Banken, Wirtschaftswissenschaftler und drei Vertreter der Militärregierungen zusammen und erarbeiteten Bestimmungen zur Einführung einer neuen Währung. Sie sollte die wertlos gewordene Reichsmark ersetzen, die durch die Kriegs- und Rüstungsausgaben inflationär aufgeblasen worden war. Und sie sollte die florierende Zigarettenwährung, also den direkten Tauschhandel, ablösen.
Bis zuletzt wurde die Aktion verdeckt geführt. Dennoch kam die Reform nicht aus heiterem Himmel. Sie war erwartet worden, Gerüchte gab es schon länger. Doch erst am 18. Juni 1948, also drei Tage vor der Freigabe, erfuhren die Menschen offiziell durch eine Meldung im Rundfunk von der Einführung des neuen Geldes. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein klang es überall: „Die Währungsreform entfernt den Schleier, der bisher die wahre Vermögenslage Deutschlands verhüllte. Für jeden wird nun offenbar, wie arm das deutsche Volk geworden ist. Die Verschleuderung unseres Volksvermögens durch die katastrophale Politik des ‚Dritten Reiches‘ ist jetzt aufgedeckt. Das Volk muss die Rechnung begleichen. Die Währungsreform beseitigt mit einem radikalen Schnitt den durch die unproduktiven Kriegsausgaben verursachten Geldüberhang. Sie ersetzt die trügerische Hitlermark durch ein neues Geld, das Vertrauen verdient. Damit wird der Beginn einer Gesundung der deutschen Wirtschaft ermöglicht. Für ehrliche Arbeit gibt es jetzt wieder ehrliches Geld. Sparen erhält wieder einen Sinn.
Ans Sparen war bei den 40 Mark Handgeld, das jeder am Tag der Währungsreform erhielt, vorläufig kaum zu denken. Für die Wirtschaft allerdings gab es wieder eine reale Grundlage und vor allem bekamen die Menschen wieder Vertrauen in die eigene Leistung. Das spornte an, die Zahl der Menschen auf der Suche nach Arbeit stieg sprunghaft.

Im Potsdamer Abkommen von 1945 war vereinbart worden, Deutschland unabhängig von den Grenzen der Besatzungszonen als wirtschaftliche Einheit zu behandeln. Das änderte sich vollkommen, als im Streit um eine Währungsreform sich die Sowjets aus dem Kontrollrat verabschiedeten. Jetzt drängten die USA. Sie wollten nicht länger für die in Deutschland hungernde Bevölkerung zuständig sein. Wenn eine gemeinsame Aktion nicht möglich sein sollte, dann eben im Alleingang mit den Engländern in der Bizone.
Die Pläne dafür arbeitete ein geheimes Konklave in Rothwesten im Landkreis Kassel aus. Es stand unter der Leitung des US-Oberleutnants Edward E. Tenenbaum. Der Sohn jüdischer Emigranten aus Polen gehörte als Ökonom zum Stab der US-amerikanischen Militärregierung unter Lucius Clay. Dem 26-jährigen Tenenbaum, der sich als Offizier des US-Geheimdienstes bestens mit der Wirtschaft in Deutschland auskannte, standen elf deutsche Währungs- und Wirtschaftsfachleute zur Seite. Die hatten allerdings so gut wie nichts zu entscheiden. Der heute nahezu vergessene Tenenbaum gilt als der eigentliche Schöpfer der Deutschen Mark. Die Mitglieder des Konklaves waren auf einem Militärflugplatz bei Kassel eingesperrt. Jeder ausgehende Brief wurde zensiert und zur Tarnung im fernen Bad Homburg aufgegeben.

Die neue Deutsche Mark, die optisch noch sehr an den Dollar erinnerte, wurde in den USA gedruckt. In der geheimen Aktion „Bird Dog“ wurden die ersten sechs Milliarden Mark nach Bremerhaven verschifft. Von dort ging es weiter in die Keller der Reichsbank in Frankfurt am Main. Der 1. Juni 1948 war ursprünglich als Tag der Währungsreform festgesetzt worden. Geködert mit Geldern aus dem Marshallplan, sprang das zögernde Frankreich im letzten Moment auf den fahrenden Zug. Der Termin des Geldtausches wurde auf den 20. Juni 1948 verlegt.
Vom 21. Juni 1948 an war die Deutsche Mark alleiniges Zahlungsmittel in der Trizone. In den Westzonen Berlins wurde sie gegen den Protest der Sowjets drei Tage später eingeführt. Das war der endgültige Auslöser der Berlin-Blockade. West-Berlin war nun nicht mehr über Land oder auf dem Wasserweg zu erreichen. Die Blockade dauerte vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949.
Von dem neuen Geld wurden pro Person 60 Mark „Kopfgeld“ ausgezahlt, 40 Mark am Tag der Umstellung, 20 Mark zwei Monate später. Firmen erhielten pro Mitarbeiter 60 Mark. Vorhandene Bestände an Reichsmark mussten gemeldet werden, sie wurden umgetauscht, von 100 Reichsmark blieben am Ende 6,50 DM.
Über Nacht füllten sich die Regale in den Geschäften mit lange gehorteten Waren. Da gab es plötzlich Trockenpflaumen aus Kalifornien, Feigen aus der Türkei, Walnüsse aus Italien. Die Menschen staunten. Es gab allerdings auch eine Kehrseite. Mit der Währungsreform endete die Preisbindung nahezu vollständig. Die Nachfrage bestimmte die Preise und die stiegen inflationär. Nach nur einem halben Jahr hatte die Deutsche Mark elf Prozent ihres Wertes verloren.

[Weshalb? Sicherlich nicht auf Grund hoher Nachfrage nach Waren.]

Auch in der Sowjetischen Besatzungszone löste die Währungsreform in den Westzonen eine Inflation aus. In der späteren DDR galt immer noch die Reichsmark. Bewohner der Westzonen schaufelten ihre wertlos gewordene Reichsmark dorthin. Um den damit einsetzenden Wertverfall zu stoppen, wurden am 23. Juni 1948 maximal 70 Reichsmark pro Person mit Wertmarken beklebt. Nur noch diese „Klebemark“ oder „Tapetenmark“, wie die Bevölkerung das Notgeld nannte, war alleiniges Zahlungsmittel. Allerdings nur für kurze Zeit. Bereits am 24. Juli 1948 wurde auch hier eine neue Währung eingeführt, die ebenfalls Deutsche Mark hieß. Sie war bis 1964 gültig und wurde dann durch die Mark der Deutschen Notenbank ersetzt.    Klaus J. Groth

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