Der Hermeneutiker will einen Text verstehen, der Dekonstruktivist
will ihn entlarven. Der eine behandelt einen Text wie ein aufmerksamer
Gastgeber einen lieben Besucher, der andere wie ein Geheimdienstoffizier
einen verdächtigen Ausländer.
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Ich gehöre der letzten Kohorte an, die ihre Kindheit noch in der Antike verbracht hat.
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"Je
älter ich werde, desto unchristlicher finde ich mich. Es ist das
Gegenteil von dem, das mit dem Alter eintreten sollte. Ist das ein
Niedergang des inneren Niveaus, ist es im Gegenteil eine Reifung? Ich
weiß nicht. Aber es ist sicher, daß ich mich mehr und mehr der
vorchristlichen Weisheit nähere und daß die griechischen Tragödien in
mir ein tieferes Echo erwecken als die Evangelien. Jerusalem entfernt
sich zugunsten der heidnischen Welt, nicht nur von Athen. Ich verstehe
sie nicht gut, ich fühle nur die Sache der Fatalität."
Cioran, Notizen, 19. September 1970
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Nett,
uninspiriert, ungefährlich, ideen-, kontur- und kantenlos, ermüdend
langweilig, ohne Führungsspieler und ohne jeden Willen zur Dominanz:
Doch doch, die ehemals deutsche Nationalmannschaft ist schon ein gutes
Abbild ihres Landes.
Fußball-WM, zum zweiten: Der Tagesspiegel trompetete
am 17. Juni: "Der WM-Titel 2014 war das alleinige Verdienst einer
multiethnischen Fußballmannschaft. Das Team ist der beste Beweis dafür,
wie grotesk das Verlangen nach einer bewahrenswerten deutschen Identität
ist." Tja, und wessen Verdienst ist der letzte Gruppenplatz in der
Vorrunde?
Fußball-WM, zum dritten: "Kaum je in der Geschichte
haben deutsche Journalisten die Gastgeber einer WM so schäbig behandelt
wie jetzt Russland, nicht mal das obligatorische WM-Studio-Hauptquartier
wollten sie im Feindesland errichten. Politpsychologische Abgründe
eines alten deutschen Größenwahns, allenfalls vergleichbar mit
polnischen Minderwertigkeitsbefindlichkeiten: Mainstream-Medien in
beiden Ländern forderten vor der WM einen Boykott. Jetzt haben sie ihn
endlich bekommen, kurz bevor das Turnier mit denen richtig losgeht, die
dieses Fußballweltfest wirklich gemeinsam feiern wollen", kommentiert
André F. Lichtschlag. ARD und ZDF wissen jetzt wahrscheinlich nicht, an
welche Partien sie ihre vorproduzierten Propaganda-Reportagen über
Putins Reich des Bösen pappen sollen. Sogar dass die Russen in St.
Petersburg den höchsten Turm Europas gebaut haben – übrigens mit
erheblicher deutscher Kollaboration –, fanden unsere Volksaufklärer
gaaanz verwerflich und teilten das allen Fußballguckern mit, die nicht
rechtzeitig weggezappt haben. Der Höchste ist schließlich genau so
altweißmaskulnazgûlsexistischschlimm wie der Längste!
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Wo
es Positionen wie die der Neonazis gibt, muss es auch das krasse
Gegenteil davon geben. Das gebietet die politische Tektonik, auch wenn
die insofern etwas schief ist, als die einen Extremisten sich überall zu
Wort melden dürfen, die anderen nicht. Die es medienverstärkt können,
haben einen Aufruf
gestartet namens "Solidarität statt Heimat", also praktisch NPD
seitenverkehrt, vielleicht sogar von denselben Leuten erfunden. Ähnlich
sinnfrei wie der Titel – man muss zumindest sehr übelmeinend sein, um
zwischen beide Termini kein und zu bekommen – ist die
Begründung, und wer den noch mit Jobangaben versehenen Anfangsteil der
Unterzeichnerliste studiert, sieht schnell, dass kaum einer dabei ist,
der nicht auf Kosten des Steuerzahlers in irgendeiner staatsgesponserten
Kultursimulationseinrichtung mit politischen Fingerfarben spielt oder
in einer im Lande Hegels und Heideggers allen Ernstes immer noch als geisteswissenschaftlich
bezeichneten Fakultät Theoriemüllhalden häuft; insofern bildet der
Trupp von Schildbürgern mit Abitur ein lilliputaneskes Gegenstück zu den
Unterzeichnern der "Gemeinsamen Erklärung 2018". Als Zeugnis eines
kollektiven Dachschadens, der sich allein mit dem Durchschnitts-IQ der
Unterzeichner nicht restlos wird erklären lassen, bleibt dieser Text
gleichwohl festhaltenswert. Am besten gefällt mir darin die Passage:
"...inmitten der beeindruckenden Kämpfe von Geflüchteten für ihr Recht
auf ein gutes Leben", weil ich hier ja gelegentlich von solchen Kämpfen
künde. Zusammen mit dem Hinweis auf die Erklärung bekam ich
beispielsweise einen eindrucksvollen Vorfall
aus Kassel zugeschickt: "Mann schüttet Hausmeister heißes Öl ins
Gesicht". Mann, ganz klar, das heißt noch nicht so lange hier, verfolgt,
traumatisiert, sensibel, reizbar. Hausmeister, noch klarer, das heißt
Schäferhund, abgeschlossene Türen, strukturelle Gewalt, Heimat. Nun weiß
der Gauch auch, wohin Solidarität führen kann.
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Apropos
"beeindruckende Kämpfe": Ich habe jetzt den Kontakt zu der Witwe von
Thomas K. hergestellt, der vor kurzem in Bergisch Gladbach von einem
neunzehnjährigen Migranten totgeschlagen wurde (siehe Acta diurna
vom 10., 12. und 15. Juni). Bei der Versteigerung des Bildes von Bernd
Zeller sind 4300 Euro zusammengekommen, da der Meistbietende auf sein
Ersteigertes verzichtete, den Betrag trotzdem spendet und das Bild an
den Zweitmeistbietenden geht. In den nächsten Tagen bekomme ich die
Bankverbindung der Anwältin und werde sie all denjenigen schicken, die
mir geschrieben haben, dass sie den Hinterbliebenen – Thomas K.
hinterlässt zwei minderjährige Kinder – etwas spenden wollen.
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Und
nochmals apropos: Die "Gemeinsame Erklärung 2018" wird im Oktober im
Petitionsausschuss des Bundestages behandelt. Vera Lengsfeld wird vor
dem Ausschuss sprechen. Mit der Petition 2018 fordern Bürger vom
Parlament die Einsetzung einer Kommission, die Vorschläge zu drei
Punkten ausarbeiten soll:
• Ordnung der Migration an der Grenze,
um das Asylrecht für tatsächlich politisch Verfolgte zu erhalten, aber
ein Ende der Vermischung von Asylrecht und Einwanderung, um die illegale
Migration zu beenden; Schaffung eines pragmatischen Einwanderungsrechts
nach australischem beziehungsweise kanadischem Vorbild;
•
Überwindung des Kontrollverlusts im Inneren, Klärung der Identität der
hier Angekommenen, Abschiebung der abgelehnte Asylbewerber,
islamistischen Gefährder etc.
• Hilfe für diejenigen, die am
dringendsten Hilfe brauchen, Frauen, Kinder, Alte, Kranke, generell
diejenigen, die keine 10 000 Dollar für Schlepper zahlen können. Mit dem
Geld, das in Deutschland für einen Migranten ausgegeben wird – der mit
hoher statistischer Wahrscheinlichkeit weder politisch verfolgt wird
noch aus einem Kriegsgebiet kommt – lässt sich vor Ort Unterstützung für
mindestens fünfzig Menschen organisieren.
Im Idealfall kann die Kommission ihre Arbeit aufnehmen, wenn der Hauptfluchtgrund im Kanzleramt gerade beseitigt worden ist.
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Es gebe in Wien
keine Kaffeehausmusik mehr, bedauert der Portier im "Sacher", der es
wissen muss; es bestünde einfach keine Nachfrage.
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"In den Troerinnen
sagt Hekube, daß Troja untergehen müßte, weil es zu glücklich sei. Das
war die antike Auffassung. Herakles wird bestraft, weil er bei allen
seinen Arbeiten Erfolg hatte (...)
Wenn ich manchmal an diese den
griechischen Tragödien gemeinsame Vision denke, kann ich mich nicht des
Gedankens enthalten, daß diese abendländische Welt, belastet von
namenlosen Reichtümern, zusammengesetzt aus mißvergnügten Genießern,
absurderweise unzufrieden mit ihrem Los, das Schicksal von Troja haben
wird, weil die Götter eifersüchtig sind".
Cioran, Notizen, 24. September 1970
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Netzfund, per Mail bei mir gestrandet:
MK am 28. 6. 2018
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