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Sonntag, 29. Dezember 2019

1977



Als ich im Februar 1977 mit meinen Eltern in Stettin war, hörte ich abends kurz Radio DDR (selbst in Franken noch über Mittelwelle 783 kHz der damals am deutlichsten hörbare Sender). Da wurde gerade Pinochet zitiert, um die BRD zu verunglimpfen. Pinochet habe gesagt: "Das Land, das uns am meisten nahesteht, ist die Bundesrepublik Deutschland".
Dass eines Tages Erich der Große ausgerechnet nach Chile fliehen würde, hätte er sich wohl nicht vorstellen können. Ich auch nicht. Weshalb kam es dazu? Wieso blieb er nicht in Moskau? Weil man dort inzwischen demokratisch genug ist, um Snowden aufzunehmen und Honecker abzulehnen.
Hoffentlich folgt Merkel ihm eines Tages nach.

Übrigens muss man Pinochet zugute halten, dass er sein Land aus eigenem Antrieb in eine parlamentarische Demokratie entlassen hat. Ich habe, Jahre bevor es dazu kam, ein Interview mit ihm im italienischen Fernsehen gesehen, wo er dies ankündigte und die Bücher zeigte, die er zu diesem Zweck über parlamentarische Systeme las. Das waren in der Tat bundesdeutsche Politologen!! Leider stand die BRD ihm nicht nur in dieser Hinsicht am nächsten, wie man an der Colonia Dignidad sehen konnte. Lothar Bossle, der in diese fürchterliche Sache offenbar involviert war (und später außerdem noch wegen seiner Promovierungs-Promotion bekannt wurde), war damals Soziologieprofessor in Würzburg. Ich habe mir im Sommer 1977 aus der Nähe angesehen, wie damals die Neue Universität, um gegen die Einsetzung Bossles zu protestieren, besetzt wurde, weil man wegen seiner Nähe zu Franz Joseph Strauß nicht wollte, dass er dort lehrte (und vor allem weil seine Einsetzung offenbar ein politisch gewollter Willkürakt war).
Schrecklich, wie damals Deutschlands jüngster Universitätsrektor von der mit scharfen Hunden anrückenden Polizei die Universität räumen ließ und kaltschnäuzig über das Anliegen der Studentenschaft hinwegging.
Bei einem sehr viel geringeren Anlass 10 Jahre später in Siena kam, als die dortige Universität besetzt wurde, der Rektor Luigi Berlinguer persönlich in die Aula Magna, um sich die Besorgnisse der Studenten anzuhören: "Mi è stato detto che tra gli studenti è presente un disagio" waren seine ersten an die Versammlung gerichteten Worte.

Seehofer hat also nicht ganz unrecht, wenn er Strauß heute als rechtsradikal bezeichnet. Aber wer war damals nicht rechtsradikal? Auch über Helmut Schmidt gibt es eine Geschichte, die im Jahr 1977 spielt und die heute in Deutschland kein Mensch mehr kennt.

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