Mittwoch, 25. Dezember 2019
Alles Gute zum Geburtstag
Napoleon schrieb: „Religion hält die Armen davon ab, die Reichen umzubringen.“ Richtig ist jedoch, dass Religion die Reichen davon abhält, die Stinkreichen umzubringen. Zumindest solange bis die angestauten Konflikte im Gemeinwesen nicht zu Spannungen führt, die zum Zusammenbruch der Ordnung führen. Selbst beim Bauernkrieg war es nicht die Armut, die zum Aufstand führte, sondern die Tatsache, dass es den Bauern relativ gut ging und sie sogar gebildet genug waren, um vernünftige politische Ideen zu artikulieren und "emanizipatorische" Forderungen daran zu knüpfen.
Die Armen halten normalerweise sowieso still; Männer wie Luigi Lucheni sind selten. Auch Gavrilo Princip stammte nicht aus dem Armenviertel, sondern aus dem halbwegs gebildeten Mittelstand.
Die Sonne wurde personifiziert, meistens mit Penis. Vielleicht weil Männer alles in allem körperlich kräftiger sind. Dass in Deutschland die Sonne weiblich ist und der Mond männlich, hängt sicherlich damit zusammen, dass in Nordeuropa die Männer väterlicher und nicht so hitzig sind wie die Machos im Mittelmeergebiet und damit, dass die Sonne im Norden nicht brennt, sondern wie eine Mutter wärmt.
Religion ist am besten geeignet, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten oder zu unterdrücken oder um dem Einzelnen oder einem Kollektiv die Kraft zu geben, Unterdrückung auszuhalten und abzuschütteln.
Alle Menschen sehnen sich nach Gemeinschaft und Verbundenheit. Nach gemeinsamer (shared) Freiheit, aber auch nach Einbindung. Nach verbindenden Ritualen und Symbolen und verbindlichen Regeln, deren Einhaltung "sanktioniert" wird ("sanktionieren" ist ein Wort, das wie ein Scharnier zwei gegensätzliche Bedeutungen zusammenhält: einerseits "bestrafen" andererseits "anerkennen", "bestätigen"). Auch Hooligans, militante Veganer, politische Extremisten und jene, die in die eigene Magersucht verliebt sind, haben ihre Pseudo„Familie“, ihre Diät-“Bibel“, ihren Fitness-“Tempel“. Der gemeinsame Nenner ist stets die gemeinsam praktizierte Abgrenzung gegenüber Außenstehenden.
„Die einzig wahre Religion“, behauptet der Dalai Lama, „ist, ein gutes Herz zu haben“. Damit man ein gutes Herz behält, muss man jedoch einer Gemeinschaft angehören. Es muss einen Mainstream geben, der genügend wohltuende Aspekte bereithält, um als Sinnangebotfür alle fungieren zu können und den Wunsch nach Zugehörigkeit für Einzelne, Familien, Minderheiten und Mehrheiten befriedigen zu können. Nur solch ein Mainstream kann dem Konsens Dauer verleihen und Beständigkeit gewährleisten. Die Beständigkeit kann nur dann der Erosion standhalten, wenn sie regelmäßig und kollektiv gefeiert wird. Dass Parteien zu kalt sind, um erbauliche Feiern zu gewährleisten, hat man an den areligiösen Staaten der Kommunisten beobachten können. Gemeinschaften bleiben nur dann beständig, wenn es Glaubensgemeinschaften sind. Am Ende sind nur Männer wie der Dalai Lama und Ratzinger in der Lage, sinngebend zu sein. Die Kirchen dürfen nicht abgeschafft werden, sie müssen aber erneuert werden. Erneuerung heißt aber nicht, dass sie teilsäkularisiert werden dürfen; im Gegenteil, das verlässliche Standbein aller Religionen und Kirchen ist ja gerade der kluge Irrationalismus und die austarierte kognitive Schizophrenie. Der Rationalismus ist - wie bei Don Camillo - das Spielbein. Der kluge Irrationalismus muss auf neue, solide Füße gestellt werden, das ist die große Herausforderung für die Zukunft. Nur so kann der westliche Mensch sich gegen den Islam und gegen die gretistisch-tellurischen Sekten, deren Entstehen zu erwarten ist, behaupten.
Atheisten sind immer anfälliger für Wissenschaftsgläubigkeit als religiöse Menschen. Und nichts ist unwissenschaftlicher als Wissenschaftsgläubigkeit. Mit diesen Paradoxen müssen die Menschen leben.
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