Den Modernen und Progressiven (der sich - nachplappernd, was er von Leuten hörte, die höchstens 2 Opuskel aus dem Merve-Verlag gelesen haben - mittlerweile gern als "postmodern" positioniert, ohne recht zu wissen, was er mit diesem Wort überhaupt meint; er verwendet es ja auch nur, weil er schwammig sein will) interessieren an der Biographie eines Großen, sofern ihn überhaupt irgendetwas daran interessiert, die Gemeinsamkeiten, die ihn mit jenem verbinden könnten:
Liebschaften, Kopulationsgepflogenheiten, Hausrat, soziale Stellung, Verhältnis zu Vorgesetzten, Kunden, Auftraggebern, politische Anschauungen, Freizeitgestaltung, Konsumgewohnheiten. Den kleinen unerklärlichen Rest namens Persönlichkeit und Begabung schenken wir uns.
Wir wissen von Beethoven lediglich den Geburtsmonat und das Taufdatum (17. Dezember). Nun stehen uns also die schauderhaften Platitüden, Verdrehungen und Verrenkungen eines "Beethoven-Jahres" ins Haus.
"Wir brauchen auch heute wieder die visionäre Kraft, mit der Beethoven politisch und vor allem künstlerisch Position bezog. Sein Werk ist ein Zeichen für die demokratischen Errungenschaften eines geeinten Europas und gegen das Erstarken populistischer Rufe nach Abschottung und Ausgrenzung." Mit diesen Worten schlitterte die abscheulichste Kulturreferentin Deutschlands seit Joseph Goebbels auf der eigens von ihr für Anlässe wie diesen eingerichteten Schleimspur ins Beethoven-Jahr. Sie heißt Monika Grütters, steckt hinter der gegen Knabe vom Zaun gebrochenen Intrige und wird allen Ernstes immer noch als Kulturstaatsministerin bezeichnet.
Vor allem dies "vor allem" ist unbezahlbar! Und erst des Tonsetzers Einsatz für Frauenrechte und gegen Islamophobie!
Repräsentative Demokratie in Deutschland bedeutet mittlerweile, dass man öffentlich überwiegend von Figuren repräsentiert wird, mit denen man privat kein Wort wechseln würde und denen man nicht die geringste seiner Privatangelegenheiten anvertrauen möchte (wir wollen gar nicht darüber reden, dass vor 100 Jahren noch jeder zweite deutsche Politiker Beethoven spielen konnte. Dass ausgerechnet diese Bande emsig daran arbeitet, immer mehr Zugriff auf die privaten Daten der Bürger zu erlange, ist ein in aller Heimlichkeit stattfindender unheimlicher Prozess, gegen den eigens erdachte Einrichtungen geschaffen werden müssen, die ich, in Ermangelung anderer anschaulicher Begriffe, als Cyber-Gewerkschaften zu bezeichnen pflege).
Zur Indienstnahme Beethovens durch Staatsministerin Grütters zwecks Verteidigung der EUdSSR gegen die Schwefelbrüder der AfD ist folgendes richtig zu stellen: Eine Art europäischer Einigung erlebte der Komponist durchaus selber, und zwar durch Napoleon. Bekanntlich hatte Beethoven dem damaligen Ersten Konsul, den er für den Sendboten von Liberté, Égalité, Fraternité gehalten hatte, 1803 seine Es-Dur-Symphonie (die spätere "Eroica") zugeeignet, doch als er die Nachricht bekam, Bonaparte habe sich zum Kaiser gekrönt, handele somit wie sämtliche exponierten Gleichheitsverkünder vor und nach ihm (mit dem Unterschied, dass Napoleon dies immerhin selber mit der Bemerkung zugab: "Die Idee der Gleichheit gefiel mir, weil ich mir Erhöhung davon versprach"), da rief der enttäuschte Beethoven aus: "Nun wird er ein Tyrann werden!" und zerriss das Titelblatt mit der Widmung.
Fortan war Beethoven antinapoleonisch, also "nationalistisch", also irgendwie "antieuropäisch".
Seinen "Yorckschen Marsch" hatte er zwar ursprünglich Erzherzog Joseph Anton von Österreich gewidmet, doch mir ist nicht bekannt, dass der Komponist gegen die Umbenennung protestiert hätte; Generalfeldmarschall Yorck von Wartenburg war es, der im Dezember 1812 ohne Genehmigung des preußischen Königs die Konvention von Tauroggen unterzeichnete, also ein preußisch-russisches Bündnis schloss, das die Befreiungskriege gegen Napoleon einleitete. Die Erwägung, welche Komposition Beethovens uns entgangen sind, weil er Martin Schulz, Jean-Claude Juncker oder Ursula von der Leyen nie kennenlernen durfte, sei der Untröstlichkeit anheimgestellt.
Und die Neunte?
"Schiller konnte sein 'Seid umschlungen, Millionen' nur ausrufen, weil sie Jena und Weimar noch nicht belagerten." (Frank Lisson)
Mein Beitrag zum Jubiläum soll in der Empfehlung einiger Lieblingsinterpretationen von Lieblingsstücken bestehen.
Die 7. Symphonie von dem Macedonier Karajan dirigiert, aber als er noch jung war und seine Plattenveröffentlichungen nicht aus -zig Aufnahmen zusammenschnippelte, aus denen er les crottes beseitigt hatte, sondern frische, lebendige Interpretationen aus einem Guss lieferte.
Die 3. ebenfalls aus der früheren Zeit Karajans.
Sodann die Diabelli-Variationen, für meine Begriffe das Freieste, Ausgeklügelt-Überschäumendste, was er je komponiert hat. Da war der arme Mann schon taub. Gespielt von einem Heutigen (hier).
Des weiteren die d-Moll- (oder "Sturm"-) Sonate in einer Interpretation, die mir in letzter Zeit sehr ins Herz gewachsen ist (die Sätze stehen einzeln hier, hier und hier).
Die Mondscheinsonate und die Appassionata von Backhaus.
Das 5. Klavierkonzert immer noch von Edwin Fischer. Aber auch von Maurizio Pollini.
Das 4. von Radu Lupu, weil außerhalb Deutschlands die einstige deutsche Kultur noch etwas gilt: hier, hier und hier.Nicht etwa, weil man im Ausland so retro wäre, sondern weil schon Verdi sagte: "Kehrt um! Wenn ein Fortschritt draus werden soll."
Schließlich "Il testamento" unter den Händen eines der Allergrößten überhaupt, in der Mischung aus Formbewusstsein, Subtilität und Gewalttätigkeit gewissermaßen der Furtwängler unter den Pianisten (hier).
Apropos: Die "Neunte" zähle ich ausdrücklich nicht zu meinen Favoriten, aber in dieser Darbietung erstaunlicherweise eben doch (Klonovsky hat hier ein paar kluge Worte zu dieser Aufnahme geschrieben).
Die Krönung sind für mich die letzten Streichquartette, und zwar vom Guarnieri Quartett gespielt.
"Daß Kunstempfinden die Empfängnis einer Offenbarung bedeutet – nur daß hier der Intellekt blind und die Seele sehend wird –, zeigt sich in der plötzlichen, intuitiven, erleuchtenden Gewalt des Vorgangs." Rathenau
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