So viel Freiheit wie jetzt hatten die Medien in Deutschland wohl kaum jemals.
Eine Freiheit, die erst dann wirklich ist, wenn sie genutzt wird, wie sie
genutzt wurde, als sich während der Spiegel-Affäre die gesamte deutsche Presse,
einschließlich der Springer-Zeitungen, mit Augstein solidarisierte. Damals,
1962, begann die Pressefreiheit in Deutschland, lebendig zu werden.
Wie konnte es soweit kommen, dass sich heute die Leser trotzdem gegen eine
allzu kanzleramtsnahe Presse wehren müssen? Wie kommt es, dass die deutschen
bundesweit veröffentlichten Zeitungen mehrheitlich ohne Notwendigkeit
Propaganda für Merkel und das System Merkel Machen??
All die Spekulationen über angebliche Vorgaben aus Merkels Umfeld sind so gut
wie gegenstandslos, auch wenn Wolfgang Herles ein paar Fälle nennen kann, bei
denen tatsächlich Druck ausgeübt wurde. Das ist letztlich sozialer Druck in
einem Klima des schieramento: wenn es ernst wird, kommt es zu einer
parteiischen Aufstellung, und wer bei dieser Lagerbildung plötzlich zu den
Einsamen gehört, erlebt jede Absprache unter den Gleichgesinnten der Gegenseite
als Weisungsdruck.
Nein, Merkel gibt keine Weisungen. Das Problem ist viel einfacher und
gleichzeitig größer: für die deutschen Medien (und ihre Produktionen, vor allem
die Krimis, Talkshows und die politischen Nachrichtenmagazine und
Investigationsprogramme) ist es seit den 70-er Jahren Ehrensache, immer etwas
linker als das erziehungsbedürftige Publikum zu sein. Nicht die Medien mussten
auf Merkels Linie gebracht werden, Merkel brauchte die bereits vorhandene Linie
der Medien nur zu übernehmen und zu ihrer eigenen zu machen und darauf zu
vertrauen, dass unter den Lesern und Zuschauern niemandem auffällt oder
unangenehm ist, dass sie dazu in vielerlei Hinsicht eine 180°-Wendung machen
musste. Auf letzteres konnte sie zählen, weil ihr die
Wiedergutwerdungssehnsüchte der Deutschen bekannt waren; schließlich hatten die
Medien diese Sehnsucht durch jahrzehntelange Publikumsbeschimpfungen selber
erzeugt, weshalb auch nicht zu erwarten war, dass die Medien Merkels Trick an
die große Glocke hängen würde. Im Gegenteil, die Medienschaffenden hatten allen
Grund, ihren eigenen Triumph - wann schwenkt schon ein Regierungschef auf die
Linie der Medien ein? - zu genießen (und Merkel dafür dankbar zu sein:
Huldigung also auch gesichert). Man könnte Merkels Verschlagenheit als genial
bezeichnen. Aber kann darin auch das Glück einer durch ermüdende Huldigungen
träge gewordenen Quotenkanzlerin sehen, die sich von so viel Glück übermannt einfach im Strom des Zeitgeists treiben lässt und aufgehört hat, der forza
delle cose etwas entgegenzusetzen.
Es ist in gewisser Weise so, als sei der Hauptmann
von Köpenick Bundeskanzler geworden.
Beides, dass ein als Hauptmann verkleideter Schuster die Stadtkasse von
Cöpenick konfisziert und dass eine Regierungschefin die freie Presse ihres
Landes sozusagen einsackt, indem sie sie dazu bringt, sich selber einen Ring
durch die Nase zu ziehen, weil sie die Mehrheitsmeinung der Journalisten
einfach zu ihrer eigenen macht, dies ist beides nur in
Deutschland möglich.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.