Es hat jetzt nicht nur Vorteile, ein „alter weißer Mann“ zu sein. Wir
sind – wie soll ich sagen – eben auch immer noch ritterlich, was uns
bei jüngeren Menschen weiblichen Geschlechts auch gerne mal zum Nachteil
gereicht, wenn wir auf bestimmte Trigger einfach reagieren, weil wir keine Muschi-Mützen aufhaben. Wir finden Frauen ab der Volljährigkeit einfach toll. Aber das ist auch gefährlich, wie ich neulich erfahren musste.
Da laufe ich, weil ich gerade Mittagspause und nichts Besseres zu tun
habe, durch die Fußgängerzone des Schtetls, als mich eine junge hübsche
Frau – sie mag so Anfang/Mitte 20 sein – anlächelt. Nun hatte ich mein
primäres Geschlechtsteil immer buchstäblich im Griff und weiß, dass das
auf keinen Fall eine uneheliche Tochter sein kann, also lächle ich
zurück. Ich finde, das gehört sich so. Und tatsächlich, sie kommt
strahlend wie ein Sommermorgen auf Mauritius auf mich zu. „Guten Tag“,
sagt sie, „darf ich Sie einen Moment ansprechen?“ Hey, na klar, das
letzte Mal, dass mich eine junge Frau lächelnd angesprochen hat, war –
Moment – gestern. Gestern war’s, als mir die Verkäuferin im Kaufhaus
gesagt hat, dass Schlüpfer vom Umtausch ausgeschlossen sind, weswegen
ich jetzt blöderweise Größe M tragen muss, was beim Laufen ziemlich
zwackt, mir aber auch einen femininen Gang verleiht. Aber klar, sie darf
mich ansprechen. „Aber klar“, sage ich deshalb.
Sie freut sich und ich hoffe so ein bisschen, sie will eine
Autogramm- oder Visitenkarte. Will sie aber nicht. Schade. „Wie wichtig
ist Ihnen die Umwelt?“, will sie von mir wissen. Tja. Was antwortet Mann
darauf? „Scheißegal, wenn Sie nur mit mir essen gehen“, wäre im Moment
die korrekte Antwort, aber dann habe ich schlimmstenfalls einen Prozess
am Hals und auf jeden Fall Ärger mit meinem Schatz. Also sage ich:
„Schon, ja, doch, auch, schon so …“ Das ist meiner freundlichen
Von-der-Seite-Ansprecherin aber nicht konkret genug. „Auf einer Skala
von Eins bis Zehn, wobei Zehn „am Wichtigsten“ bedeutet, wo würden Sie
sich da einsortieren?“ Weia. Darüber muss ich nachdenken, weil ich das
noch nie gemacht habe. Sage ich „Eins“, hält sie mich für den Inhaber
eines Walzwerks, sage ich „Zehn“, glaubt sie, ich sei ein Waldzwerg.
Schwierig. Ich entscheide mich für „Sechs“, das ist so „schon wichtig,
aber nicht so wichtig, dass ich keinen Diesel fahren würde“. Das ist
angemessen.
Sie freut sich wie ein Bus an einer freien Haltestelle. „Dann habe
ich hier etwas für Sie“, sagt sie und zeigt auf ein grünes Zelt, an dem
andere junge Menschen Broschüren verteilen. Ich setze mich mit ihr wie
an magischen Fäden in Richtung des Zelts in Bewegung. „Wir sind von
GreenClimateChange, einer Umweltorganisation, die es sich zur Aufgabe
gemacht hat, das Klima grün zu ändern.“ In meinen Ohren klingt das total
schwachsinnig, aber sie ist dafür total niedlich. Was will ich machen?
„Aha“, sage ich lahm, damit sie sieht, dass ich noch am Leben bin. „Sie
wollen also das Klima grün ändern“, echoe ich. „Ja“, freut sie sich,
„deswegen wollen wir eine Milliarde Bäume pflanzen. Das ist unser
derzeitiges Projekt“. „Eine Milliarde? Wo wollen Sie die pflanzen? In
der Sahara oder in Alaska?“, will ich wissen.
„Überall!“, antwortet sie und beschreibt dabei mit den Armen einen
Kreis und so halb erwarte ich, Glitzersternchen und einen Regenbogen
aufsteigen zu sehen. Wie bei den Glücksbärchis.
Ich bin aber noch nicht zufrieden. „Wie viele Mitarbeiter haben Sie
denn weltweit?“, hake ich nach. Die Miene meiner Ansprechpartnerin, die
laut einem kleinen Namensschildchen „Nadine“ heißt, verdüstert sich. Die
Frage scheint ihr neu zu sein und sie sucht sich Hilfe bei einem
Standkollegen, einem fusselbärtigen Zwerg mit Nickelbrille und
Pockennarben, der sich „Niklas“ nennt. „Wie viele Mitarbeiter haben wir
weltweit?“, gibt sie meine Frage an ihn weiter. Niklas schiebt sich die
Brille zurecht, sagt „Momentchen“ und greift sich eine seiner
Broschüren. Er liest mit dem Finger. „Ungefähr Zweitausend“, sagt er
dann. Okay.
Ich bin Tierkreiszeichen Jungfrau. Ich kann nichts dafür. Eine
Milliarde geteilt durch 2.000 Mitarbeiter macht für jeden Mitarbeiter –
davon ausgehend, dass da niemand Verwaltung oder Standarbeit bei uns in
der Fußgängerzone macht – schlaffe 500.000 Bäume pro Mann. Ambitioniert.
Gesetzt den Fall, dass jeder dieser armen Säue pro Baum zehn Minuten
braucht – also inklusive Anfahrt, „Loch graben, Baum setzen, Loch
zumachen, wässern“, wären das fünf Millionen Minuten, oder 83.333
Stunden oder 3.472 Tage oder rund zehn Jahre. Wenn derjenige nicht
schläft, nicht isst und sonst nichts zu tun hat. Bei einem
Zwölf-Stunden-Tag dauert das zwanzig Jahre. Ein strammes Programm, aber
machbar. Wenn man genug Baumschulen hat. Und von den zweitausend Nadines
und Niklas´ keiner kündigt. „Welchen Zeithorizont hat Euer Projekt
denn?“, frage ich die beiden Weltretter. Jetzt ist es Niklas, der Nadine
etwas hilflos anschaut. „Ich schätze, so in fünf Jahren schaffen wir
das!“, antwortet sie tapfer, fügt aber sicherheitshalber „… wenn jeder
mithilft und mitmacht“ hinzu. Gnädigerweise lasse ich sie über meine
Überschlagsrechnung im Unklaren. Ich will nicht wie ein alter,
arschbackener Lehrer klingen. Obwohl sie es verdient hätte, hübsch hin
und hübsch her.
„Okay“, gebe ich zurück, „Sie erwarten jetzt aber nicht von mir, dass
ich auch Bäume pflanzen gehe, oder?“ Da müssen der Niklas und die
Nadine lachen. „Nein, nein“, beruhigt mich Nadine, mit der ich mich
schon so halb in Jeans und T-Shirt auf dem Boden kriechend Bäume
pflanzen sah, fröhlich. „Wir brauchen nur Ihre Spende!“, erklärt sie.
Aha. Darum geht es. Um den schnöden Mammon. Sie will nur mein Bestes.
Klar, keiner rückt kostenlos Bäume heraus und buddelt sie dann für lau
mit Nadine wieder ein, da mag sie noch so hübsch sein. „Gut, ich spende
zehn Euro“, erkläre ich, „aber dafür wünsche ich mir eine Palme mit
meinem Namen. An der ich herumwedeln kann!“, füge ich schelmisch hinzu.
Nadine, immer noch im Unklaren über meine Rechnung, schüttelt den Kopf.
„Nein“, sagt sie. „Das geht nicht“, sagt sie auch. „Bei uns geht das
per Abbuchung. Sie können sich zwischen mindestens zwanzig Euro
monatlich oder dreihundert Euro jährlich entscheiden!“, erklärt sie und
schenkt mir das süßeste Lächeln zwischen Flensburg und Garmisch. Leider
bin ich Diabetiker, was süßes Lächeln angeht. „Wow, ganz schön straff“,
gebe ich zurück. „Denken Sie doch auch mal an Ihre Enkel, und man gibt
doch sowieso so viel Geld für Unnützes aus!“, wischt sie meinen Einwand
beiseite und weiß nicht, dass sie mich soeben verloren hat. Ich habe
nämlich keine Enkel und ich gebe mein Geld mit Vorliebe für Unnützes
aus, wenn nicht gerade mein Arzt oder das Finanzamt vor mir zuschlagen.
„Na gut“, sage ich, „wo muss ich unterschreiben? Wir machen – sagen
wir mal – Einhundert Euro im Monat!“ „Sie sind ein guter Mensch“, freut
sich Nadine und umarmt mich kurz, aber herzlich. Nicht, dass ich das
nicht wüsste! Niklas kramt ein Formular aus einem Pappkarton und reicht
es mir mit einem GreenClimateChange-Kuli aus garantiert nicht abbaubarem
Plastik. „Wenn Sie das dann bitte ausfüllen würden …“, bittet er mich
im Ton eines Investmentbankers. Und ich befülle brav die Felder, ich bin
Deutscher, ich kann Formulare ausfüllen. Nadine widmet sich derweil
einem arglosen Alters- und Geschlechtsgenossen, der gerade des Wegs
kommt, die treulose Bio-Tomate. Niklas, der augenscheinlich etwas
schüchtern ist, sortiert derweil irgendwelche Broschüren in Kartons
hinein und aus Kartons heraus. Ich gebe brav das ausgefüllte Formular ab
und stecke den Kugelschreiber ein, weil man ja immer mal einen Kuli
braucht und verabschiede mich, in dem frohen und glücklichen
Bewusstsein, etwas für die Umwelt und die Nachwelt und Nadine getan zu
haben.
Ich bin mir sicher, mein Nachbar hat sich wirklich über die
Mitteilung von GreenClimateChange gefreut, dass von seinem Konto leider
keine Abbuchung möglich ist, weil die IBAN-Nummer nicht stimmt. Und
vielleicht hat er dabei ja auch an seine Enkel – und ganz vielleicht
auch an mich gedacht. Danke, Nadine! (Weitere Falschangaben des Autors gibt es unter www.politticker.de )
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