Stationen

Dienstag, 27. Juli 2021

Vor 13 Jahren viele Fragen

Margarethe Deppisch ist 104 Jahre alt und damit eine Zeitzeugin, die wertvoller für die Jugend nicht sein kann, wenn es darum geht, einen Eindruck von der Zeit des Dritten Reichs und der Judenverfolgung zu gewinnen. Denn ein Buch ist immer nur ein Buch. Das persönliche Gespräch macht andere Zeiten greifbarer, als es Bücher vermögen.

Erinnerungen an jene Zeit wurden bei der älteren Dame dieser Tage wach: Sie bekam Besuch von Schülern des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums und einer Jugendgruppe aus dem israelischen Landkreis Mateh-Jehuda, zu dem der Landkreis Würzburg seit zwölf Jahren eine Partnerschaft pflegt. Beim Jugendaustausch verbrachten die deutschen und israelischen Jugendlichen unter anderem zwei Tage in Aub, wo sie verschiedene Projekte zu bearbeiten hatten. Eine von ihnen besuchte Margarethe Deppisch und hatte viele Fragen im Gepäck. Anfangs zurückhaltend plauderte die Seniorin schließlich bereitwillig aus ihrer Kindheit und Jugend. Vor allem an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert sie sich gut. Seinerzeit lebten 28 jüdische Familien in Aub.

Namen wie Oppenheimer, Heidelberger und Löwentritt finden sich auf den Grabsteinen im jüdischen Friedhof. Margarethe Deppisch kannte sie alle. Sie hat mit ihnen gelebt, gefeiert und gelacht. „Jeden Abend trafen wir uns am Brunnen am Marktplatz und haben miteinander geplaudert. Wenn mal einer fehlte, haben wir ihn vermisst“, erzählt sie. Stets sei man füreinander da gewesen, habe sich geholfen. Christen und Juden hätten wie selbstverständlich nebeneinander gelebt, berichtet die Seniorin.

Beim jüdischen Laubhüttenfest hat ihre Familie gemeinsam mit der jüdischen Familie Löwentritt Laub gesammelt*, um eine Hütte damit zu schmücken. Dort wurde getanzt, gesungen und Mohnkuchen verspeist. Die Speisen seien so eine Sache gewesen, lächelt sie in sich hinein. Während des Ersten Weltkrieges sei immer wieder ein junger Soldat jüdischer Herkunft zu ihnen gekommen – heimlich – denn es gab Schweinebraten und Klöße. Kein koscheres Essen für Juden.

Selbstverständlich habe man auch bei den jüdischen Kaufleuten eingekauft. Bis es immer schwieriger wurde. Aber auch zu dem Zeitpunkt habe man sich nächtens heimlich getroffen und Waren ausgetauscht. Margaretes Vater, Eugen Hochgeschwender, Bürgermeister in Aub, hat dabei oft Kopf und Kragen riskiert. Als er dabei ertappt wurde, dass er vom Eisenhändler Oppenheimer einen Herd erstanden hatte, wurde er abgewählt. Das hielt ihn nicht davon ab, in der Reichspogromnacht - November 1938 – sämtliche Schriftrollen und Bücher der Juden, die zuvor von Wehrmachtssoldaten** aus den Häusern geplündert und auf die Straße geworfen waren, wieder einzusammeln. Er versteckte sie, um sie dann ihren Besitzern zurückzugeben. „Ein starker Zusammenhalt hat uns damals verbunden“, so Margarethe Deppisch, als sie sich an die Menschenketten*** erinnert, die versucht hätten, das gewaltsame Eindringen und die Plünderungen der jüdischen Häuser zu verhindern.

Klaus Rostek, Jugendbeauftragter des Landkreises Würzburg und sein israelischer Amtskollege Moshe David, beschäftigten die anderen Gruppen mit der Übersetzung jüdischer Grabinschriften, drehten einen Dokumentarfilm über Aub oder ordneten nach Katasterplan die Häuser den jeweiligen jüdischen Familien zu. Zu sehen sind die Ergebnisse in einer Ausstellung, die im Landratsamt Würzburg und in Mateh Jehuda zu sehen sein wird.

*Ich habe einmal vor Fronleichnam zusammen mit einem katholischen Freund Laub für die Schmückung der Etzelstraße im Auber Wald gesammelt.

** Einen Tag später erst, am 10. 11. 1938. Dass es Wehrmachtssoldaten waren, ist kaum möglich. Es waren vermutlich SA-Männer aus Ochsenfurt.

*** Unwahrscheinlich. Das ist entweder eine Formulierung der Journalistin, die ihr vom Wunschdenken diktiert wurde, oder Erinnerungsverfälschung.

 


Vergangenheitsbewirtschaftung und Gegenwartsverwirrung

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