Immerhin will er den Ukrainern keine Marschflugkörper gewähren, soviel Scholzverstehertum muss sein! Aber was Seymour Hersh zu bedenken gibt, sollte trotzdem bedacht werden; schon deshalb, weil es bisher von allen angebotenen Erklärungen diejenige ist, die am plausibelsten ist.
Es ist nur ein einziger Satz, den der US-Investigativreporter Seymour Hersh in seinem jüngsten Artikel zum Jahrestag der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee schreibt. Aber dieser Satz hat mehr Sprengkraft als der Sprengstoff, der die Gasröhren in die Luft jagte: «Einige Mitglieder des CIA-Teams gingen damals – und heute – davon aus, dass der deutsche Leader (Olaf Scholz) von den laufenden geheimen Planungen für eine Zerstörung der Pipelines wusste.»
Was der deutsche Kanzler nach den Recherchen von Hersh nicht wusste: dass der Anschlag nicht, wie ursprünglich geplant, eine Warnung an Russland war, sondern gezielt das von ihm regierte Land, die Bundesrepublik Deutschland, treffen und einschüchtern sollte. Man habe verhindern wollen, dass Berlin angesichts des drohenden Winters die geschlossene Pipeline doch wieder öffnen würde.
Der berühmte amerikanische Enthüllungsjournalist beruft sich auf Gespräche mit einem ungenannten Mitglied der Administration von Präsident Joe Biden. Eindeutig erteilt er Spekulationen eine Absage, wonach der Anschlag von einem ukrainischen Team auf einer angemieteten Segeljacht durchgeführt worden sei, wie mehrere westliche Medien berichtet hatten. Der Terrorakt sei eindeutig von der Biden-Administration über Monate vorbereitet und dann ausgeführt worden.
Nach diesen Angaben forderte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan die Geheimdienste schon Ende 2021 auf, Pläne auszuarbeiten, wie man den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzog, von einem Einmarsch abschrecken könnte. Es sollte ein starkes Signal sein und zeigen, welche Möglichkeiten Amerika habe.
Der Grund, weshalb die Wahl auf die Nord-Stream-Pipelines fiel, sei naheliegend gewesen. Von den mehr als einem Dutzend Erdgas- und Erdölröhren, über die Russland Energie exportierte, waren Nord Stream die einzigen, die nicht durch Drittländer verliefen. Das Weiße Haus habe Nord Stream vorgeschlagen, «weil es die einzige (Pipeline) war, zu der wir Zugang hatten und die glaubhaft abstreitbar war», zitiert Hersh seine Quelle. «Wir lösten das Problem in ein paar Wochen, Anfang Januar, und sagten es dem Weißen Haus. Unsere Annahme war, dass der Präsident die Drohung gegen Nord Stream als Abschreckung nutzen würde, um einen Krieg zu vermeiden.»
Deutschland war demnach zu diesem Zeitpunkt eingeweiht. Das geht aus Äußerungen der damaligen Staatssekretärin im US-Aussenministerium, Victoria Nuland, vom 27. Januar 2022 hervor. Falls Putin einmarschiere, werde «Nord Stream 2 so oder so nicht vollendet», erklärte sie. Die Aussage schlug Wellen, ließ aber den vorhergehenden Satz untergehen: «Wir führen weiterhin sehr starke und eindeutige Gespräche mit unseren deutschen Verbündeten.»
Die reisten in Gestalt von Olaf Scholz zwei Wochen später nach Washington. Der Kanzler stand neben Biden, als der Präsident die unverhohlene Drohung aussprach: «Falls Russland einmarschiert, wenn Panzer und Truppen die Grenze zur Ukraine wieder überschreiten, wird es keine Nord Stream 2 mehr geben. Wir werden es beenden.» Und als ein amerikanisches (kein deutsches) Medium baff nachfragte, wie das denn mit einem deutschen Infrastrukturprojekt gehen solle, bekräftigte Biden: «Wir werden es tun, das verspreche ich. Wir können das.»
Scholz' Antwort auf dieselbe Frage fiel schwammiger aus: «Wir handeln gemeinsam. Wir sind absolut geeint, und wir werden keine unterschiedlichen Schritte unternehmen. Wir werden dieselben Schritte unternehmen, und sie werden sehr, sehr hart für Russland sein.» An dieser Stelle des Berichtes teilte die Regierungsquelle Hersh mit, dass die CIA überzeugt gewesen sei, dass der Kanzler in die Pläne eingeweiht war
Doch kurz darauf änderte das Weiße Haus diese Pläne. Die Vorbereitungen für die Sprengung sollten zwar weitergehen, doch von einem Abschreckungsmanöver für Russlands Intentionen war nicht mehr die Rede. Mit Hilfe norwegischer Spezialeinheiten seien die Sprengsätze an den Rohrleitungen befestigt worden, zusammen mit einem Zünder. Er wurde erst im September betätigt, von einem Flugzeug der norwegischen Marine, das ein Sonargerät abwarf, das den Impuls sendete. Das würde erklären, warum keine verdächtigen Schiffe in der Nähe des Tatortes zum Zeitpunkt der Explosion gesichtet wurden.
Warum aber detonierte die Bombe so spät, erst im September? Es sei
nicht mehr um Russland gegangen, sondern um Deutschland, so der
Regierungsbeamte. «Wir erkannten, dass die Zerstörung der beiden
russischen Pipelines nicht mit dem ukrainischen Krieg in Verbindung
stand», erklärte er. «Sie war Teil der politischen Agenda der Neocons.
Sie wollten verhindern, dass Scholz und Deutschland angesichts des
bevorstehenden Winters und der zugedrehten Pipelines kalte Füße bekämen
und die geschlossene Nord Stream 2 wieder aufdrehen würden.» Wolfgang Koydl
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Am 7. Februar 2022 ereignet sich eine Schlüsselszene im Ringen um Nord Stream. Kanzler Scholz ist zum Antrittsbesuch zu US-Präsident Joe Biden erschienen. Biden wird von Journalisten gefragt, wie es mit Nord Stream weitergehe. Der Präsident antwortet: «Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben.» Auf die Zusatzfrage: «Wie genau meinen Sie das?», das Projekt stehe schließlich unter der Kontrolle Deutschlands, fügt er hinzu: «Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen.» Scholz ergänzt: «Wir unternehmen die gleichen Schritte.»
Zwei Tage vor dem Angriff russischer Truppen, am 22. Februar, als sich der Krieg bereits abzeichnet, stoppt Scholz das Zulassungsverfahren für Nord Stream 2. Die bereits mit Gas gefüllten Röhren liegen unbenutzt auf dem Meeresgrund. Am 26. September detonieren drei der insgesamt vier Pipeline-Stränge. Olaf Scholz meldet sich am gleichen Tag mit der Diagnose «Corona mit leichten Symptomen» vom politischen Tagesgeschäft ab und verstummt für eine Woche.
Im März 2023 berichtet der US-Journalist Seymour Hersh detailliert aus anonymer Quelle, dass Amerikaner den Anschlag verübt hätten. Die Darstellung wird umgehend vom Weißen Haus dementiert. Stattdessen erscheint ein Bericht in der New York Times mit einer Geschichte, wonach Spuren in die Ukraine weisen. Eine Firma mit Sitz in Polen, die zwei Ukrainern gehört, soll die Segeljacht «Andromeda» gemietet und damit den Anschlag verübt haben. In der Kabine haben Ermittler Spuren von Sprengstoff nachweisen können. Am 25. Mai lässt der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank die Wohnung einer möglichen Zeugin in Frankfurt (Oder) durchsuchen. Bei Frank laufen alle Ermittlungsstränge in Deutschland zusammen. Die Zeugin soll die ehemalige Lebensgefährtin eines ukrainischen Tatverdächtigen sein.
Am 6. Juni kommt die Washington Post mit neuen Erkenntnissen, wonach der Auslandsgeheimdienst CIA bereits drei Monate vor dem Anschlag von dem Plan erfahren haben will und die Ukraine als Urheber genannt bekommen habe. Die USA hätten daraufhin Deutschland informiert. Passiert ist offenbar nichts. Falls Scholz von dem Anschlag wusste, wäre dies ein Politikum ersten Ranges: Ein deutscher Kanzler nimmt hin, dass ein Energieversorgungssystem zerstört wird, in das einheimische Firmen Milliarden investiert haben.
Zum Jahrestag des Anschlags lässt Scholz seinen Regierungssprecher zum Stand der Ermittlungen berichten: «Der Bundeskanzler hat deutlich gemacht, dass sie auch zu Ergebnissen führen sollen und dass man wissen will, wer die Urheber des mutmaßlichen Sabotageaktes gewesen sind.» Zuständig sei aber allein der Generalbundesanwalt. Dieser schweigt. Er wird sich mit Scholz abstimmen, bevor er etwas sagt. Oliver Stock
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