„Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt.“ Dieser
Satz aus Otto von Bismarcks Reichstagsrede vom 6. Februar 1888 wurde oft
als Beleg für das aggressive Machtstreben der politischen Elite des
deutschen Kaiserreiches zitiert – und zwar nicht nur von Lohnschreibern
der Entente-Mächte, die Deutschland schon etliche Jahre vor dem Ausbruch
des Ersten Weltkrieges faktisch eingekreist hatten, sondern auch von
jenen deutschen Historikern wie Fritz Fischer und Imanuel Geiss, die
der im fatalen Versailler Friedens-Diktat ausgesprochenen
Kriegsschuld-Zuschreibung, getrieben von linkem Selbsthass, voll
zustimmten.
[bei Fritz Fischer war es wohl eher der Opportunismus des anpassungsfähigen Nazis, was ihn trieb]
Sie unterschlugen dabei, wie Bismarck fortfuhr: „Und die
Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen
lässt.“ In der Tat lag die Bewahrung des Friedens im ureigensten
Interesse aller Deutschen, denn die wirtschaftliche Stärke der rasch
aufstrebenden Kontinentalmacht gründete sich nicht auf den Besitz eines
Kolonialreiches, sondern auf den Pioniergeist und den Geschäftssinn
ihrer Unternehmer insbesondere in der Chemie- und Elektroindustrie. Die
Zeit arbeitete für den Kaiser und die hinter ihm stehende Industrie. Dem
Reichskanzler Bismarck gelang es, dieses Friedensinteresse durch
geschickte Diplomatie gegenüber den Bestrebungen der Kolonialmächte
England und Frankreich durchzusetzen. Seine Nachfolger waren leider
nicht halb so geschickt. So konnte das Unheil seinen Lauf nehmen.
Bruno
Bandulet erhebt in seiner bescheiden als „Bericht“ titulierten
Abhandlung nicht den Anspruch, wesentlich Neues zur Frage der
Kriegsschuld hervorzuheben, denn inzwischen haben auch bedeutende
Historiker der Siegermächte den Passus des Versailler Diktats über die
deutsche Alleinschuld mit klaren Worten zurückgewiesen. Erwähnt seien
hier nur John Keegan, Niall Ferguson, Virginia Cowles und zuletzt
Christopher Clark. Worauf es ihm ankommt, ist Folgendes: Nicht der
Kriegsausbruch im Sommer 1914, sondern das Diktat von Versailles stellt
den eigentlichen Zivilisationsbruch dar. Es wäre durchaus möglich
gewesen, den bis zum Schluss unentschiedenen Stellungskrieg mit
Millionen von Opfern auf beiden Seiten durch einen vertraglichen
Ausgleich zu beenden. So wären der Welt der Aufstieg Hitlers und der
Zweite Weltkrieg erspart geblieben. Doch die US-amerikanische
Finanzindustrie unter Führung der Großbank J. P. Morgan und des
mysteriösen Präsidentenberaters „Colonel“ House brauchte unbedingt einen
Sieg, um die Rückzahlung der Milliardenkredite, mit denen sie die
Entente-Mächte unterstützt hatte, in Form von Reparationen zu erreichen.
Deshalb wies US-Präsident Wilson die Friedensinitiative von Papst
Benedikt XV. in besonders schroffer Form zurück und entschied 1917, im
längst kriegsmüden Frankreich massiv militärisch zu intervenieren. Bruno
Bandulet, der über die (kluge) Außenpolitik Konrad Adenauers promoviert
hat, konzentriert sich aber nicht auf die finanzkapitalistischen
Hintergründe des Ersten Weltkriegs, sondern auf die Schwächen und
handwerklichen Fehler der Außenpolitik des deutschen Kaiserreiches. In
Deutschland fehlte, im Unterschied zum Foreign Office in England, eine
Art außenpolitischer Think Tank, der vielleicht in der Lage gewesen
wäre, die Vertretung und Durchsetzung deutscher Interessen von langer
Hand vorzubereiten. Dabei vermeidet es Bandulet, die internationalen
Machenschaften der Freimaurerei als Verschwörung erscheinen zu lassen.
Dafür kommen aber auch die Schwächen des durchaus friedliebenden Kaisers
Wilhelm II. selbst in den Blick. Wer sich anlässlich des 100.
Jahrestags des Kriegsausbruchs von 1914 einen raschen, aber
kenntnisreichen Überblick über die Vorgeschichte und den Ablauf des
Verhängnisses von 1914/18 verschaffen möchte, der ist mit Bandulets
durchaus preiswertem Buch bestens bedient. Zahlreiche Abbildungen, eine
Chronik, Personenregister und so weiter machen es zu einem richtigen
Arbeitsbuch, das auch für den Schulunterricht geeignet wäre. Edgar L. Gärtner
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