Also, eines muss man der Kanzlerin lassen: sie kann lügen, ohne rot
zu werden, und Schwarz für Weiß verkaufen, dass es eine Freude ist. Auf
dem Europaforum des WDR in Berlin ließ sie in einem Podiumsgespräch mit Tom Buhrow folgenden Satz vom Stapel: "Wir müssen in Europa lernen, unsere Außengrenzen zu schützen und selbst zu entscheiden, wer zu uns kommen kann.“ (ab Minute 44)
Über eine Million Neubürger und fast 100 Milliarden
Integrationssteuergelder später fällt der Kanzlerin dann doch auf
einmal ein, wie wichtig es sein könnte, die Außengrenzen zu schützen und
selbst zu bestimmen, wen man ins Land lässt.
Also genau das, was sie
selbst und ihre Claqueure noch vor wenigen Wochen als rechtspopulistisch
und voll Nazi brandmarkten, wird auf einmal - en passant - das neue
alternativlose Merkel-Programm.
Noch merkwürdiger als der Schwenk der Kanzlerin ist das schweigende
Schulterzucken der Wir-schaffen-das-Fraktion. Wo sind eigentlich die
Anja Reschkes und Dunja Hayalis, die jetzt klare Kante gegen
Fremdenfeindlichkeit zeigen und mal so richtig auf den Putz hauen
könnten, um ihre Integrationsbambis und Mutiger-Journalismus-Preise zu
rechtfertigen? Wo gehen sie mit dem gleichen Mut, den sie gegen die
Zwerge der AfD zelebrierten, nun gegen die mächtigste Frau im Lande vor?
Und wieso hakt eigentlich Tom Buhrow, immerhin Flagschiff des
„staatsfernen kritischen Journalismus“ im Lande, nicht mal nach, wie
denn die Kanzlerin zu diesem Sinneswandel komme? Wo bleibt das
knallharte Nachfragen, das Aufzeigen von Widersprüchen, das Erinnern an
vorhergegangene, diametral entgegengesetzte Aussagen und all das andere,
was kritischen Journalismus noch so ausmachen sollte?
Nachdem Merkels Weigerung, die Grenzen des Landes, dem sie vorsteht,
schützen zu wollen, bereits mit Martin Luther verglichen worden war („da steht sie nun und kann nicht anders“),
belehrt sie nun auch die ergebensten ihrer medialen Wasserträger, dass
sie, Frau Merkel, da, wo sie steht, immer auch anders kann. „Wir müssen
in Europa lernen, unsere Außengrenzen zu schützen und selbst zu
entscheiden, wer zu uns kommen kann.“ Dumm gelaufen für jene, die der
Kanzlerin doch glatt irgendetwas Programmatisches unterstellt haben und
ihr „Wir schaffen das“ als „den Anfang der Politik“ ins metaphysische Walhalla verklärten.
Hört man sich ihren Auftritt mit Tom Buhrow an, fällt auf, wie oft
die Bundeskanzlerin in ihren Ausführungen vom „Lernen“ spricht.
Insgesamt führt sie in den wenigen Minuten das Wort „Lernen“ zehnmal im
Mund: Europa lerne gerade, seine Außengrenzen zu schützen, Europa lerne
gerade, Fluchtursachen zu bekämpfen, Europa lerne gerade, mit der
Türkei, dem Libanon, Libyen und anderen afrikanischen Ländern seine
Werte zu verteidigen und Europa lerne gerade, den Schleppern und
Schleusern das Handwerk zu legen.
Das klingt irgendwie alles so menschlich, dieses Lernen. Und gesteht
man nicht auch der Kanzlerin, die ja auch nur ein Mensch ist, gerne zu,
ein wenig in ihrem Amt lernen zu wollen? Die Kanzlerin lernt und mit ihr
Europa. Das ist doch fantastisch. So menschlich. Fast ist man versucht
zu sagen: so weiblich. Wenn fast 100 Milliarden an Steuergeldern dazu
führen, dass unsere Kanzlerin noch etwas lernt, dann haben sich doch
diese Ausgaben mehr als gelohnt. Andere deutsche Kanzler, die sogar
tausend Jahre und älter werden wollten, waren teurer, ohne dass sie
etwas dazugelernt hätten. Also, Hand aufs Herz: in einer
Wissensgesellchaft ist Lernen das A und O, und die Kanzlerin macht’s
vor.
In seiner fantastischen Analyse
zum Regierungsstil der Kanzlerin beschrieb der Soziologe Prof. Wolfgang Streeck zehn Tage vor dem WDR-Europaforum die Wirkungsweise, wie es
Angela Merkel gelingt, ihrer perspektivlosen Politik austauschbarer
Beliebigkeiten eine Legitimation zu verleihen: „indem sie die
aufeinanderfolgenden, machtpolitisch getriebenen Wechsel der Programme
und Koalitionen als persönlichen Entwicklungsroman abbildet.“ Ihre
politischen Wendemanöver verkauft Angela Merkel „als persönliche
Bekehrungserlebnisse, die die Bürger unter Anleitung der
regierungsamtlichen PR-Maschinerie und mit Hilfe der mehr oder weniger
regierungsamtlichen Medien mitfühlend verfolgen und diskutieren dürfen.“
Keinem Journalisten vom Schlage Tom Buhrows dürfte dieses Stück
politischer Analyse, das in der FAZ erschienen war, entgangen sein.
Fällt da also einer wieder auf die Kanzlerinnenmasche rein oder macht er
womöglich willfährig mit, um die regierungsamtliche PR-Maschinerie gut
geölt am Laufen zu halten?
Man sollte sich bekanntlich der Begriffe „Lügenpresse“ oder auch
„Jubelpresse“ nicht inflationär bedienen, aber wie Frau Merkel ihre
Kanzlerinnenschaft als persönlichen Entwicklungsroman mit Lerneffekt
abbildet, ist nach der Streeckschen Analyse wie ein Hütchenspielertrick
mit Ansage, von dem kein Tom Buhrow mehr überrascht gewesen sein
dürfte. Diesen Hütchenspielertrick zu entlarven, das wäre mal
Journalismus gewesen!
Wenn man dem Volksmund Glauben schenken darf, sind es die Fehler, aus
denen man lernt. Dass aber Frau Merkel den seit sicher 70 Jahren
historisch größten Fehler eines deutschen Regierungschefs gemacht hat,
ist unter den Medienvertretern noch immer ein Tabu. Diesen Fehler zu
benennen, würde für die Medien dann auch bedeuten, die eigene
Willfährigkeit zu hinterfragen. Das aber, davon ist auszugehen, ist in
einem Land, in dem die Unterwerfungsgesten der Medienvertreter unter die
Macht der Herrschenden zum offenbar schützenswerten historisches Erbe
gehören, ein Ding der Unmöglichkeit.
Das Narrativ, das die überwiegende Zahl der Medienvertreter anerkennen und verbreiten, ist das eines ökologischen, offenen und pazifistischen Deutschlands.
Der weiße alte Mann hat bekanntlich sein Fett weg bekommen und
spätestens seit Frau Merkel an der Macht ist, kommt zu diesem Narrativ
noch das des weiblichen Deutschlands hinzu. Es ist, zusammengefasst, das
Narrativ des Post-Auschwitz-Deutschlands. Wer daran rüttelt, am
Ökologischen und Weiblichen und Pazifistischen, ist eben wieder voll
Prä-Auschwitz und damit gleich mal Nazi.
Nun kann man aber auch festhalten, dass Deutschland noch nie so
schlecht regiert wurde wie unter Merkel: die programmatische
Verweigerungshaltung, der Zick-Zack-Kurs, die plötzlich und unerklärlich
auftretenden Erweckungserlebnisse, das freundliche Gesicht, der
sinnentleerte Humanismus - all das, so bleibt unweigerlich festzuhalten,
gehört wohl zu dem großen Strauß des Weiblichen, der unsere
Gesellschaft so viel besser machen sollte.
Wie sähe denn die Alternative zu einem ökologischen, offenen,
pazifistischen und weiblichen Deutschland aus? Deutschland würde nicht
überall wie ein Besoffener das Klima retten wollen, hätte noch ein paar
Atomkraftwerke am Laufen und würde vielleicht technischer Vorreiter in
der vierten Generation von Atommeilern sein, die aus nuklearen Abfällen
Energie gewinnen könnten. Geringere Energiepreise und ein paar tausend
Windräder weniger wären auch nicht schlecht.
Das Gegenteil von offen wäre ein Deutschland, dass zumindest nicht
die Bereitschaft, seine Grenzen zu schützen, aufgegeben hätte, sondern
sie unter besonderen Umständen auch schließen würde. Und das Gegenteil
von pazifistisch wäre ja nicht bellizistisch, sondern wehrhaft, was in
der Folge zu einer besseren Ausstattung der Bundeswehr, funktionierenden
Waffensystemen und gesteigertem Engagement mit unseren Nato-Partnern
führen würde. Im Innern könnte mit einer besser motivierten und weniger
überlasteten Polizei sogar das Gefühl von Sicherheit steigen. Und wenn
sich das Weibliche in Bockigkeit, inhaltsleeren Volten, moralischem
Hochmut und Devotion vor totalitären Herrschern ausdrückt, kann ich auch
bestens auf die Herrschaft des Weiblichen verzichten. Für den Fall,
dass Frau Merkel noch etwas lernen will, kann sie ja die Schulbank
drücken. Als Bundeskanzlerin sollte man nämlich etwas können und nicht
etwas erst lernen müssen. Aber das nur nebenbei.
Vielleicht empfand ich die letzten Monate als so irrsinnig, weil ich
als Mann der holden Weiblichkeit der Vorgänge nur wenig abgewinnen
konnte. So viel Selbstkritik muss sein. Aber wissen Sie was? Ich finde,
dieses Land hat wieder einen Mann als Bundeskanzler verdient. So zur
Abwechslung. Von mir aus kann der alt und weiß sein. Markus Vahlefeld
Apropos unbeschreiblich weiblich...
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