Stationen

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Heute mutet die F.A.Z. ihren Lesern diesen immensen Schwachsinn zu

Demokraten müssen das aushalten
 
Warum wir unsere ursprüngliche Forderung, rechte Verlage von der Buchmesse auszuladen, korrigieren.
Von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel
 
Jedes Jahr aufs Neue freuen wir uns auf die Frank­fur­ter Buch­mes­se. Durch die endlo­sen Gänge schlen­dern, Neuhei­ten und Kurio­ses aufstö­bern, den Geruch von frisch gedruck­ten Büchern in der Nase – es gibt nichts Vergleich­ba­res. Unsere Freude, dass dieses Jahre­shigh­light 2021, wenn auch mit abge­speck­tem Programm, wieder statt­fin­den sollte, währte kurz. Denn die Messe­lei­tung hatte einem rech­ten Verlag einen promi­nen­ten Platz zuge­wie­sen, dem „Jung­eu­ro­pa“-Verlag, der für einen natio­na­len Sozia­lis­mus wirbt. Der Verle­ger ist Philip Stein, der die Orga­ni­sa­ti­on „Ein Prozent“ initi­iert hat. Der Name bezieht sich auf die Vorstel­lung, dass es ledig­lich der Unter­stüt­zung von einem Prozent der Deut­schen bedür­fe, um eine „patrio­ti­sche Wende“ im Land herbeizuführen.
Für uns ein Déjà-vu: Im Jahr 2017 waren wir mit dem Team der Bildungs­stät­te Anne Frank in einer ähnli­chen Situa­ti­on. Nur ein paar Meter von unse­rem Stand entfernt befand sich der rechts­ra­di­ka­le Antai­os-Verlag. Der Verlags­be­sit­zer Götz Kubit­schek ist Grün­der des selbst­er­nann­ten Insti­tuts für Staats­po­li­tik (IfS), das erst kürz­lich vom Verfas­sungs­schutz Sach­sen-Anhalt als „gesi­chert rechts­ex­tre­mis­tisch“ einge­stuft wurde.
Die Vorfreu­de auf die Begeg­nung mit den Nach­barn hielt sich in Gren­zen. Wir schau­ten argwöh­nisch auf den Stand und sahen, wie Kubit­schek, seine Frau und ihre sieben Kinder mit ihren Trach­ten und Frisu­ren eine Nazi-Fami­lie aus dem Bilder­buch cosplay­ten. Bekann­te Gesich­ter aus der neurech­ten Szene, wie Björn Höcke (AfD) und Martin Sell­ner von der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung, stol­zier­ten an unse­rem Stand vorbei. Es gab nicht nur bekann­te Gesich­ter zuhauf – auch ganz norma­le Rechte und Neona­zis schau­ten vorbei. Vermut­lich fühl­ten sie sich vom Namen Anne Frank beson­ders angezogen.
„Mich haben zwei große blonde Jungs ange­spro­chen. Sie frag­ten mich, was wir mit Viel­falt und Tole­ranz genau meinen. Sie erzähl­ten, dass sie aus Offen­bach kommen – und massiv unter der Viel­falt leiden. ‚Kein Deut­scher mehr auf dem Offen­ba­cher Markt­platz! Das ist schwer zu ertra­gen. Manch­mal verges­se ich, dass hier Deutsch­land ist und nicht die Türkei.‘ Ich fragte, was sie sich wünschen. ‚Es sollen alle einfach dahin zurück, wo sie ursprüng­lich herkom­men.‘ Das sei sowie­so am besten für jede Rasse. Ich erlaub­te mir ein Späßchen und erfand eine lange, drama­ti­sche Adop­tiv­ge­schich­te: Meine biolo­gi­schen Eltern kämen von irgend­wo aus Südasi­en, mehr wüsste ich nicht, ich würde nur Deutsch­land kennen. Trotz mehre­rer Versu­che konn­ten sie mir diese einfa­che Frage nicht beant­wor­ten: Wohin ich ihrer Meinung nach zurück­ge­hen sollte? Die Jungs kamen irgend­wann ins Schwit­zen, trotz der uner­war­te­ten Schwie­rig­kei­ten stand für sie fest: In der ‚arischen Gesell­schaft‘ gebe es keinen Platz für Menschen, die so ausse­hen wie ich.“
Während wir uns an solche Gesprä­che eher mit Schmun­zeln erin­nern, waren andere Besu­cher vom Nach­bar­stand aggres­si­ver. Kolle­gen wurden teil­wei­se einge­schüch­tert und auch bedroht, endlo­se aufge­zwun­ge­ne Gesprä­che soll­ten uns erschöp­fen und auslaugen.
In den Diskus­sio­nen über den Umgang mit Rechts­ex­tre­men auf der Buch­mes­se offen­bart sich ein grund­sätz­li­ches Miss­ver­ständ­nis. Sowohl 2017 als auch in der aktu­el­len Debat­te argu­men­tier­te die Messe­lei­tung mit der Meinungs­frei­heit: „Wir müssen leider auch Meinun­gen oder die Präsenz von Menschen aushal­ten, die ich nicht unbe­dingt gerne hier hätte“, so die Worte des Direk­tors Juer­gen Boos. Das ist rich­tig und ein demo­kra­ti­sches Prin­zip – dass auch dieje­ni­gen, die gegen Meinungs­frei­heit sind, vom Recht der Meinungs­frei­heit Gebrauch machen können. Obwohl wir vorige Woche für den Ausschluss der rech­ten Verla­ge eintra­ten, ist uns heute umso klarer, was unter ande­rem in Anbe­tracht der juris­ti­schen Einschät­zun­gen dage­gen spricht – auch wenn der Ausschluss von Rechts­ex­tre­men auf den ersten Blick wirk­sa­mer und sympa­thi­scher erscheint.
„Aushal­ten“ darf aber nicht bedeu­ten, Fein­den der Demo­kra­tie den roten Teppich auszu­rol­len und sie mit promi­nen­ten Plat­zie­run­gen zu beglü­cken. Es ist verwun­der­lich, dass die Messe­lei­tung dieses Jahr versag­te, denn zunächst hatte sie nach den Ereig­nis­sen von 2017 einen elegan­ten Weg gefun­den: Im Jahr darauf plat­zier­te sie alle rech­ten Verla­ge in einer Ecke, weitab vom Schuss, noch hinter den Anti­qua­ria­ten. So waren sie unter sich und konn­ten andere Stände nicht ohne weite­res bedrängen.
In diesem Jahr gab es für die Rech­ten ein zwei­tes Ge­schenk: Die Aufru­fe zum Boykott der Buch­mes­se seitens mehre­rer Auto­ren und akti­vis­ti­scher Kreise in den sozia­len Medien stei­ger­ten die Aufmerk­sam­keit für den Verlag noch – der darauf­hin ironisch „Vielen Dank für die kosten­freie Werbung!“ twit­ter­te. Statt mehr Reprä­sen­tanz von Gegen­stim­men zu errei­chen, hat man mit dem Boykott ein Eigen­tor geschossen.
Eine wehr­haf­te Demo­kra­tie macht genau das: Sie garan­tiert die Meinungs­frei­heit und bezieht gegen­über Gegnern zugleich klar Posi­ti­on. Dazu gehört auch, die Verbin­dun­gen zwischen gewalt­be­rei­ten Demo­kra­tie­fein­den und den schein­bar bürger­li­chen Kräf­ten, die den ideo­lo­gi­schen Rahmen dafür vorge­ben, offen­zu­le­gen – und entspre­chend zu handeln. Auf der Buch­mes­se 2017 konn­ten wir in Frank­furt live die Symbio­se von rech­ten Intel­lek­tu­el­len mit Krawat­te und Doktor­ti­tel und klas­si­schen Neona­zis mit Sprin­ger­stie­feln und Glat­zen beob­ach­ten. Die Arbeits­tei­lung zwischen AfD-Poli­ti­kern, rech­ten Intel­lek­tu­el­len und gewalt­be­rei­ten Neona­zis funk­tio­nier­te schon damals. Exem­pla­risch steht dafür die ehema­li­ge CDU-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te und heuti­ge Vorsit­zen­de der AfD-nahen Desiderius-­­ Eras­mus-Stif­tung (DES), Erika Stein­bach. Die Poli­ti­ke­rin hat das Geschäfts­mo­dell gewis­ser­ma­ßen perfek­tio­niert: Sie gibt sich als konser­va­tiv aus, kommu­ni­ziert aber bewusst mit ihren rechts­ex­tre­men Followern. Diese feuert sie mit rassis­ti­schen und holo­caustre­la­ti­vie­ren­den Beiträ­gen an – um sich dann mit Blumen­fo­tos hinter ihre bürger­li­che Fassa­de zurück­zie­hen zu können.
„Eines Tages erreich­te mich ein über­ra­schen­der Brief: Erika Stein­bach bat um ein Tref­fen, um über meine öffent­li­che Kritik an ihrer Person zu spre­chen. Warum ich zuge­sagt habe? Viel­leicht versuch­te ich, eine Antwort auf die Frage zu finden, die mich seit meiner Jugend beschäf­tigt: Wie konn­ten zivi­li­sier­te Menschen Nazis werden? Eine Antwort habe ich nicht bekom­men. Viel­mehr wurde ich mit lauter Klischees über Juden konfron­tiert. Es war wohl bitter für sie, dass weder ihr Gast­ge­schenk, eine CD mit jüdi­schen Liedern, noch das von ihr selbst behaup­te­te Enga­ge­ment in der Deutsch-Israe­li­schen Gesell­schaft mein Urteil verän­der­ten, dass sie und ihre Stif­tung eine Gefahr für die Demo­kra­tie sind. Mein Büro verließ sie sicht­bar wütend und frus­triert. Etwa drei Monate später wurde ich zum Ziel ihrer Hetze, weshalb ich juris­tisch gegen sie vorge­hen musste und die Löschung ihrer Social-Media-Beiträ­ge erwirk­te. Sie scheu­te sich nicht, meine priva­te Adres­se im Netz zu veröf­fent­li­chen – quasi eine offene Einla­dung für ihre Neonazi-Fans.“
Einige Wochen zuvor, im Febru­ar 2019, hatte Erika Stein­bach einen hetze­ri­schen Beitrag gegen den Kasse­ler Regie­rungs­prä­si­den­ten Walter Lübcke (CDU) veröf­fent­licht. Die Reak­tio­nen auf den Beitrag enthiel­ten mehre­re Hass­kom­men­ta­re – darun­ter auch Aufru­fe zum Mord. Nicht nur der frühe­re CDU-Gene­ral­se­kre­tär Peter Tauber gibt Erika Stein­bach eine „Mitschuld“ am Mord an Lübcke.
So ein schwer­wie­gen­der Vorwurf wäre im Normal­fall das Ende jeder poli­ti­schen Karrie­re. Nicht in diesem Fall. Als Vorsit­zen­de der DES hat Erika Stein­bach Gleich­ge­sinn­te um sich versam­melt. Im Deck­man­tel einer bürger­lich-konser­va­ti­ven Stif­tung wird völkisch-rassis­ti­sches Gedan­ken­gut norma­li­siert. Gemein­sam stehen sie für eine anti­de­mo­kra­ti­sche Welt­an­schau­ung, wonach nur bestimm­te Menschen zur völkisch defi­nier­ten deut­schen Gesell­schaft gehö­ren, andere jedoch aus ihr entfernt werden müssen. Durch den Wieder­ein­zug der AfD in den Bundes­tag hat die DES neuer­dings Anspruch auf Steu­er­gel­der in Millionenhöhe.
Die Frage, ob solche Posi­tio­nen durch die Meinungs­frei­heit geschützt sind, ist eine juris­ti­sche. Die Frage, ob diese Posi­tio­nen mit öffent­li­chen Geldern geför­dert werden sollen, ist eine poli­ti­sche. Es ist ähnlich wie auf der Buch­mes­se: Meinungs­frei­heit für rechte Stände – ja. Sie promi­nent zu plat­zie­ren – nein. Meinungs­frei­heit für rechte Stif­tun­gen – ja. Sie mit öffent­li­chen Geldern fördern – nein. Dass die DES in den Genuss der staat­li­chen Förde­rung kommt, ist kein Natur­ge­setz. Diese Katas­trophe ist noch zu verhin­dern. Denn die intrans­pa­ren­te Vertei­lung von knapp sieben­hun­dert Millio­nen Euro im Jahr ist ein Problem, das älter ist als die AfD. Schon vor drei­ßig Jahren forder­te eine Kommis­si­on, initi­iert vom dama­li­gen Bundes­prä­si­den­ten Richard von Weiz­sä­cker, eine gesetz­li­che Rege­lung hierzu. Passiert ist bis heute nichts.
Vor eini­gen Wochen waren wir gemein­sam einkau­fen – und sahen plötz­lich Erika Stein­bach mit Einkaufs­wa­gen entspannt shop­pen. Das war eine Erin­ne­rung an den Umstand, dass wir uns der Begeg­nung mit ande­ren Menschen weder in der öffent­li­chen noch in der priva­ten Sphäre entzie­hen können. Der Wunsch, unsere Gesell­schaft zu einer Art „safe space“ zu machen, kann in einer libe­ra­len Demo­kra­tie nicht erfüllt werden. Auch ein Boykott von öffent­li­chen Veran­stal­tun­gen, die Rech­ten die Bühne über­las­sen, löst keine Proble­me. Wir müssen sie mit Steu­er­gel­dern und promi­nen­ten Plat­zie­run­gen aber nicht auch noch belohnen.
 
Saba-Nur Cheema,1987 in Frank­furt gebo­ren, ist Poli­to­lo­gin, Anti­ras­sis­mus-Trai­ne­rin und Bera­te­rin des Bundes­in­nen­mi­nis­te­ri­ums zum Thema Muslimfeindlichkeit.
Meron Mendel, 1976 in Israel gebo­ren, ist Profes­sor für Sozia­le Arbeit und Direk­tor der Bildungs­stät­te Anne Frank in Frankfurt.

 

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