Demokraten müssen das aushalten
Warum wir unsere ursprüngliche Forderung, rechte Verlage von der Buchmesse auszuladen, korrigieren.
Von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel
Jedes Jahr aufs Neue freuen wir uns auf die Frankfurter Buchmesse. Durch die endlosen Gänge schlendern, Neuheiten und Kurioses aufstöbern, den Geruch von frisch gedruckten Büchern in der Nase – es gibt nichts Vergleichbares. Unsere Freude, dass dieses Jahreshighlight 2021, wenn auch mit abgespecktem Programm, wieder stattfinden sollte, währte kurz. Denn die Messeleitung hatte einem rechten Verlag einen prominenten Platz zugewiesen, dem „Jungeuropa“-Verlag, der für einen nationalen Sozialismus wirbt. Der Verleger ist Philip Stein, der die Organisation „Ein Prozent“ initiiert hat. Der Name bezieht sich auf die Vorstellung, dass es lediglich der Unterstützung von einem Prozent der Deutschen bedürfe, um eine „patriotische Wende“ im Land herbeizuführen.
Für uns ein Déjà-vu: Im Jahr 2017 waren wir mit dem Team der Bildungsstätte Anne Frank in einer ähnlichen Situation. Nur ein paar Meter von unserem Stand entfernt befand sich der rechtsradikale Antaios-Verlag. Der Verlagsbesitzer Götz Kubitschek ist Gründer des selbsternannten Instituts für Staatspolitik (IfS), das erst kürzlich vom Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wurde.
Die Vorfreude auf die Begegnung mit den Nachbarn hielt sich in Grenzen. Wir schauten argwöhnisch auf den Stand und sahen, wie Kubitschek, seine Frau und ihre sieben Kinder mit ihren Trachten und Frisuren eine Nazi-Familie aus dem Bilderbuch cosplayten. Bekannte Gesichter aus der neurechten Szene, wie Björn Höcke (AfD) und Martin Sellner von der Identitären Bewegung, stolzierten an unserem Stand vorbei. Es gab nicht nur bekannte Gesichter zuhauf – auch ganz normale Rechte und Neonazis schauten vorbei. Vermutlich fühlten sie sich vom Namen Anne Frank besonders angezogen.
„Mich haben zwei große blonde Jungs angesprochen. Sie fragten mich, was wir mit Vielfalt und Toleranz genau meinen. Sie erzählten, dass sie aus Offenbach kommen – und massiv unter der Vielfalt leiden. ‚Kein Deutscher mehr auf dem Offenbacher Marktplatz! Das ist schwer zu ertragen. Manchmal vergesse ich, dass hier Deutschland ist und nicht die Türkei.‘ Ich fragte, was sie sich wünschen. ‚Es sollen alle einfach dahin zurück, wo sie ursprünglich herkommen.‘ Das sei sowieso am besten für jede Rasse. Ich erlaubte mir ein Späßchen und erfand eine lange, dramatische Adoptivgeschichte: Meine biologischen Eltern kämen von irgendwo aus Südasien, mehr wüsste ich nicht, ich würde nur Deutschland kennen. Trotz mehrerer Versuche konnten sie mir diese einfache Frage nicht beantworten: Wohin ich ihrer Meinung nach zurückgehen sollte? Die Jungs kamen irgendwann ins Schwitzen, trotz der unerwarteten Schwierigkeiten stand für sie fest: In der ‚arischen Gesellschaft‘ gebe es keinen Platz für Menschen, die so aussehen wie ich.“
Während wir uns an solche Gespräche eher mit Schmunzeln erinnern, waren andere Besucher vom Nachbarstand aggressiver. Kollegen wurden teilweise eingeschüchtert und auch bedroht, endlose aufgezwungene Gespräche sollten uns erschöpfen und auslaugen.
In den Diskussionen über den Umgang mit Rechtsextremen auf der Buchmesse offenbart sich ein grundsätzliches Missverständnis. Sowohl 2017 als auch in der aktuellen Debatte argumentierte die Messeleitung mit der Meinungsfreiheit: „Wir müssen leider auch Meinungen oder die Präsenz von Menschen aushalten, die ich nicht unbedingt gerne hier hätte“, so die Worte des Direktors Juergen Boos. Das ist richtig und ein demokratisches Prinzip – dass auch diejenigen, die gegen Meinungsfreiheit sind, vom Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen können. Obwohl wir vorige Woche für den Ausschluss der rechten Verlage eintraten, ist uns heute umso klarer, was unter anderem in Anbetracht der juristischen Einschätzungen dagegen spricht – auch wenn der Ausschluss von Rechtsextremen auf den ersten Blick wirksamer und sympathischer erscheint.
„Aushalten“ darf aber nicht bedeuten, Feinden der Demokratie den roten Teppich auszurollen und sie mit prominenten Platzierungen zu beglücken. Es ist verwunderlich, dass die Messeleitung dieses Jahr versagte, denn zunächst hatte sie nach den Ereignissen von 2017 einen eleganten Weg gefunden: Im Jahr darauf platzierte sie alle rechten Verlage in einer Ecke, weitab vom Schuss, noch hinter den Antiquariaten. So waren sie unter sich und konnten andere Stände nicht ohne weiteres bedrängen.
In diesem Jahr gab es für die Rechten ein zweites Geschenk: Die Aufrufe zum Boykott der Buchmesse seitens mehrerer Autoren und aktivistischer Kreise in den sozialen Medien steigerten die Aufmerksamkeit für den Verlag noch – der daraufhin ironisch „Vielen Dank für die kostenfreie Werbung!“ twitterte. Statt mehr Repräsentanz von Gegenstimmen zu erreichen, hat man mit dem Boykott ein Eigentor geschossen.
Eine wehrhafte Demokratie macht genau das: Sie garantiert die Meinungsfreiheit und bezieht gegenüber Gegnern zugleich klar Position. Dazu gehört auch, die Verbindungen zwischen gewaltbereiten Demokratiefeinden und den scheinbar bürgerlichen Kräften, die den ideologischen Rahmen dafür vorgeben, offenzulegen – und entsprechend zu handeln. Auf der Buchmesse 2017 konnten wir in Frankfurt live die Symbiose von rechten Intellektuellen mit Krawatte und Doktortitel und klassischen Neonazis mit Springerstiefeln und Glatzen beobachten. Die Arbeitsteilung zwischen AfD-Politikern, rechten Intellektuellen und gewaltbereiten Neonazis funktionierte schon damals. Exemplarisch steht dafür die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius- Erasmus-Stiftung (DES), Erika Steinbach. Die Politikerin hat das Geschäftsmodell gewissermaßen perfektioniert: Sie gibt sich als konservativ aus, kommuniziert aber bewusst mit ihren rechtsextremen Followern. Diese feuert sie mit rassistischen und holocaustrelativierenden Beiträgen an – um sich dann mit Blumenfotos hinter ihre bürgerliche Fassade zurückziehen zu können.
„Eines Tages erreichte mich ein überraschender Brief: Erika Steinbach bat um ein Treffen, um über meine öffentliche Kritik an ihrer Person zu sprechen. Warum ich zugesagt habe? Vielleicht versuchte ich, eine Antwort auf die Frage zu finden, die mich seit meiner Jugend beschäftigt: Wie konnten zivilisierte Menschen Nazis werden? Eine Antwort habe ich nicht bekommen. Vielmehr wurde ich mit lauter Klischees über Juden konfrontiert. Es war wohl bitter für sie, dass weder ihr Gastgeschenk, eine CD mit jüdischen Liedern, noch das von ihr selbst behauptete Engagement in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft mein Urteil veränderten, dass sie und ihre Stiftung eine Gefahr für die Demokratie sind. Mein Büro verließ sie sichtbar wütend und frustriert. Etwa drei Monate später wurde ich zum Ziel ihrer Hetze, weshalb ich juristisch gegen sie vorgehen musste und die Löschung ihrer Social-Media-Beiträge erwirkte. Sie scheute sich nicht, meine private Adresse im Netz zu veröffentlichen – quasi eine offene Einladung für ihre Neonazi-Fans.“
Einige Wochen zuvor, im Februar 2019, hatte Erika Steinbach einen hetzerischen Beitrag gegen den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) veröffentlicht. Die Reaktionen auf den Beitrag enthielten mehrere Hasskommentare – darunter auch Aufrufe zum Mord. Nicht nur der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber gibt Erika Steinbach eine „Mitschuld“ am Mord an Lübcke.
So ein schwerwiegender Vorwurf wäre im Normalfall das Ende jeder politischen Karriere. Nicht in diesem Fall. Als Vorsitzende der DES hat Erika Steinbach Gleichgesinnte um sich versammelt. Im Deckmantel einer bürgerlich-konservativen Stiftung wird völkisch-rassistisches Gedankengut normalisiert. Gemeinsam stehen sie für eine antidemokratische Weltanschauung, wonach nur bestimmte Menschen zur völkisch definierten deutschen Gesellschaft gehören, andere jedoch aus ihr entfernt werden müssen. Durch den Wiedereinzug der AfD in den Bundestag hat die DES neuerdings Anspruch auf Steuergelder in Millionenhöhe.
Die Frage, ob solche Positionen durch die Meinungsfreiheit geschützt sind, ist eine juristische. Die Frage, ob diese Positionen mit öffentlichen Geldern gefördert werden sollen, ist eine politische. Es ist ähnlich wie auf der Buchmesse: Meinungsfreiheit für rechte Stände – ja. Sie prominent zu platzieren – nein. Meinungsfreiheit für rechte Stiftungen – ja. Sie mit öffentlichen Geldern fördern – nein. Dass die DES in den Genuss der staatlichen Förderung kommt, ist kein Naturgesetz. Diese Katastrophe ist noch zu verhindern. Denn die intransparente Verteilung von knapp siebenhundert Millionen Euro im Jahr ist ein Problem, das älter ist als die AfD. Schon vor dreißig Jahren forderte eine Kommission, initiiert vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, eine gesetzliche Regelung hierzu. Passiert ist bis heute nichts.
Vor einigen Wochen waren wir gemeinsam einkaufen – und sahen plötzlich Erika Steinbach mit Einkaufswagen entspannt shoppen. Das war eine Erinnerung an den Umstand, dass wir uns der Begegnung mit anderen Menschen weder in der öffentlichen noch in der privaten Sphäre entziehen können. Der Wunsch, unsere Gesellschaft zu einer Art „safe space“ zu machen, kann in einer liberalen Demokratie nicht erfüllt werden. Auch ein Boykott von öffentlichen Veranstaltungen, die Rechten die Bühne überlassen, löst keine Probleme. Wir müssen sie mit Steuergeldern und prominenten Platzierungen aber nicht auch noch belohnen.
Saba-Nur Cheema,1987 in Frankfurt geboren, ist Politologin, Antirassismus-Trainerin und Beraterin des Bundesinnenministeriums zum Thema Muslimfeindlichkeit.
Meron Mendel, 1976 in Israel geboren, ist Professor für Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt.
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