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Donnerstag, 28. Oktober 2021

Stalinisten in der CDU (Grütter)

Es gibt einen Satz von Hubertus Knabe, der seine Geschichte auf den Punkt bringt: „Das eine ist, ob etwas objektiv den Tatbestand der Belästigung erfüllt“, sagt er. „Es reicht ja auch schon, wenn sich jemand belästigt fühlt.“ Der frühere Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen spricht diese Worte in die Kamera von Maurice Philip Remy, der sich in einer neunzigminütigen Dokumentation (Sondervorgang #metoo) mit der Frage beschäftigt, wie es zu Knabes Kündigung im September 2018 kam. Für Knabes Niedergang hat es gereicht, dass „sich jemand belästigt fühlte“. 

Achtzehn Jahre lang stand Knabe an der Spitze einer Organisation, die Aufklärung schuf, über einen Unrechtsstaat, der Menschen bespitzelte, verfolgte, festnahm und sie in Gefängnissen schmachten ließ. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen befindet sich in einer früheren Untersuchungshaftanstalt der Stasi. Unter Knabe sollte es in diesen Räumen darum gehen, so etwas wie Gerechtigkeit herzustellen. Recht und Ordnung waren ihm wichtig. Dass er sich dabei offenbar weniger auf das fokussierte, was zwischenmenschlich in seinem Haus geschah, wurde ihm zum Verhängnis.

Augenscheinlich lässt sich Knabes Geschichte leicht erzählen. Sein stellvertretender Direktor, Helmuth Frauendorfer, soll zwischen 2014 und 2018 sieben Frauen belästigt haben, die meisten von ihnen waren Volontärinnen oder Praktikantinnen. Es geht unter anderem um fehlende Distanz in privaten, nächtlichen SMS an die Mitarbeiterinnen, um körperliche Annäherungen, in einem Fall um ein Treffen mit einer Praktikantin in seiner privaten Wohnung, von dem es zwei Versionen gibt. Wind davon bekommt der Stiftungsrat, der unter Vorsitz des linken Berliner Kultursenators Klaus Lederer die Gedenkstätte kontrolliert.

Die Protagonisten vor der Kamera

Die Betroffenen hatten sich mehrmals an die Frauenvertreterin der Senatsverwaltung gewendet, zuletzt in einem gemeinsamen Brief. Lederer wirft Knabe vor, nichts gegen die Vorgänge in seinem Haus getan zu haben. Knabe beteuert, über diese Vorgänge nicht im Detail informiert worden zu sein, weder von seinen Mitarbeiterinnen noch von der Senatsverwaltung. Nach monatelanger Untersuchung setzt der Stiftungsrat erst Frauendorfer, Stunden später Knabe vor die Tür.

Doch zu Ende erzählt ist damit nichts. In der Opposition des Berliner Abgeordnetenhauses ist angesichts des Vorgangs von einer Intrige die Rede. Es heißt, Klaus Lederer habe nach Möglichkeiten gesucht, Hubertus Knabe loszuwerden, er sei ihm auf persönlicher Ebene ein Dorn im Auge gewesen. Auch dem Filmemacher Remy kamen die Umstände, die zu Knabes Entlassung führten, seltsam vor. Remy hat seinen Film „Sondervorgang MeToo“ genannt. Als „Sondervorgang“ bezeichnete die Stasi Akten über Menschen, für die sie „ein spezifisches operatives Interesse“ hatte. Remy hat eigenen Angaben zufolge zwei Jahre lang recherchiert, mehr als 50 Gespräche geführt und Tausende teilweise als geheim eingestufte Akten ausgewertet.

Dieses Material noch dichter zusammenzutragen, als Remy es in seiner Doku macht, ist kaum vorstellbar. In chronologischer Akribie erzählt er Knabes Geschichte, die in ihrem Fortgang zunehmend vielschichtiger wird. Was den Film abseits der inhaltlichen Komplexität besonders macht, sind seine Protagonisten. Remy ist es gelungen, neben ehemaligen Mitarbeitern, Journalisten und DDR-Bürgerrechtlern auch die Hauptakteure des Geschehens vor die Kamera zu bekommen. Immer wieder kommen Knabe, Frauendorfer und Lederer selbst zu Wort, lassen sich auf eine Art persönliche Aufarbeitung ein.

Die politische Dimension erreicht auch Remy

Er habe gedacht: „Ich kann sie so jetzt nicht nach Hause schicken“, verteidigt Frauendorfer etwa den Abend, an dem eine Praktikantin ihm beim gemeinsamen Restaurantbesuch sein Herz ausgeschüttet habe; sie kam noch mit in seine Wohnung. Klaus Lederer sagt in einer Szene, ihm sei klar gewesen, wenn er selbst sich zu aktiv mit den Vorwürfen befassen würde, dann gehe es sofort um ihn, den „postkommunistischen Unterdrückungs-Relativierer, der hier den ungeliebten Kritiker loswerden will“. Und Hubertus Knabe gibt offen zu: „Ich hielt mich für unkündbar.“ Auch, weil die CDU auf Bundesebene ihm bis dato immer den Rücken gestärkt habe. Die Personifizierung der Vorgänge macht den Film von Remy sehenswert. Viele wichtige Details wie die SMS, Briefe und Protokolle werden anonymisiert gezeigt, veranschaulichen das Gesagte.

Knabe wie auch Frauendorfer haben ihre Entlassung gerichtlich angefochten, Frauendorfer unterlag über mehrere Instanzen, Knabes Prozess endete mit einem Vergleich. Und die politische Dimension der Geschichte erreicht auch den Filmemacher Remy selbst. Ursprünglich wollte der rbb einen Film gemeinsam mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Ende August veröffentlichen, der zum Ergebnis kam, dass Knabes Entlassung nicht politisch motiviert war.

Vor der Veröffentlichung erhielt der rbb ein Schreiben mit Facebookposts von Remy, welches dem Regisseur Parteilichkeit in der Sache unterstellte. Remy selbst gibt an, im Jahr 2018 auf Facebook einen Spendenaufruf geteilt zu haben, der Knabe ein ordentliches Gerichtsverfahren gegen seine Entlassung ermöglichen sollte. Er habe dem rbb gegenüber klar kommuniziert, dass er die Umstände kritisch sehe. Der rbb hat die Vorwürfe geprüft und für nicht zutreffend erklärt, der Film erscheint nun an diesem Mittwoch mit einer Vorbemerkung Remys.

 

Klar ist in der Sache nur eines: Lederers wie Knabes Unterstützer dürften in der Doku die Anknüpfungspunkte finden, die sie für die Verteidigung ihrer Haltung brauchen; dafür lassen sich all die kleinen Wendungen allzu leicht ausblenden. Die Stimmen, die womöglich für Klarheit hätten sorgen können, sind die der Frauen, die sich an ihrem Arbeitsplatz offenbar nicht sicher fühlten. Sie alle wollten sich nicht äußern – wofür man ihnen nun wirklich keinen Vorwurf machen kann.

 

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