Wikipedia ist das einflussreichste, aber nicht alleinige Beispiel für die woke Transformation von Wissen. Denn auch die Online-Enzyklopädie schickt sich an, „diverser“ zu werden. Das trägt insbesondere bei der Neuschreibung von Geschichte Orwell’sche Züge.
„Wer die Macht über die Geschichte hat, hat auch Macht über Gegenwart und Zukunft.“ Aus 1984 von George Orwell
Wikipedia ist die weltweit größte Wissensplattform. Über 18 Milliarden Aufrufe pro Monat machen die Wikipedia zu einem der bedeutendsten Medien weltweit. Allein der deutschsprachige Teil von Wikipedia umfasst ca. 2 Millionen Artikel. Seit seiner Gründung im Jahre 2001 gilt Wikipedia für Milliarden als Informationsquelle Nummer 1 im Internet. Geleitet wird Wikipedia von der Wikimedia Foundation (WMF) mit Sitz in San Francisco. In vielen Ländern gibt es nationale Wikimedia-Vereine wie Wikimedia Deutschland, die mit der Stiftung zusammenarbeiten.
Die Transformation von Wikipedia von einer einst nach eigenen Angaben „freien Enzyklopädie“ zu einer Plattform für Wokeness ist bereits weit fortgeschritten. Deutlich wurde diese Wandlung bereits 2017, als Wikipedia das strategische Ziel „knowledge equity“ für die Zukunft ausgab. Dazu sollten strukturelle Ungleichheiten von Macht und Privilegien zugunsten der „Perspektive marginalisierter Gruppen“ beseitigt werden. Im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste wurde die Wikimedia-Stiftung ab 2020 noch radikaler. Die oft gewalttätigen Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung werden unterstützt und gerechtfertigt. „Epistemic Justice“ (Erkenntnistheoretische Gerechtigkeit) zugunsten von „BIPoC“ soll innerhalb und außerhalb von Wikipedia unterstützt werden.
Wikipedia will die woke Ideologie in Wissenschaft, in Kultur, im Technologie-Sektor und in Regierungsentscheidungen verankern und für „racial justice“ sorgen. Außerdem sollen strikte Richtlinien gelten, um „marginalisierte Gruppen“ innerhalb von Wikipedia zu schützen. Faktisch dient dieses „inklusive Umfeld“ und die Ideologie des „Safespace“ dazu, jede Form von Widerstand gegen die woke Gleichschaltung zu unterbinden und die Wikimedia-Bewegung dogmatisch auf Linie zu bringen.
Böhmermanns Legende einer rechtslastigen Wikipedia
Auch Wikimedia Deutschland will Wikipedia im Rahmen der Wikimedia Movement Strategy 2030 „diverser“ machen und für „Knowledge Equity“/Wissensgerechtigkeit und „Offene Wissenschaft“ sorgen. Ein Teil des Programms für „freies Wissen“ besteht darin, zu lernen, wie man als Wissenschaftler seine eigenen Privilegien checken und dabei das Konzept der Intersektionalität von Kimberley Crenshaw anwenden kann. Die Themenschwerpunkte bei „Offener Wissenschaft“ liegen auf „Privilegien und Diskriminierung“ in der Wissenschaft, „inklusiver Bildung“, sozialer Ungleichheit im Hochschulsystem und Sprachenvielfalt. All dies soll Wikipedia „diverser“, „partizipativer“ und „gleichberechtigter“ machen.
Dazu holt man sich Beratung für eine „intersektionale Perspektive“ von der Sprecherin der Neuen Deutschen Medienmacher Ferda Ataman, der Referentin für Feministische Netzpolitik Francesca Schmidt sowie von der Aktivistin des Center for Intersectional Justice Emilia Roig ein. Wenig überraschend unterstützt die deutsche Wikipedia-Community die intersektionale Agenda von Emilia Roig, die man beim Center of Intersectional Justice vorfindet. Jan Böhmermann im öffentlichen Rundfunk verbreitet die Legende einer rechtslastigen Wikipedia.
Immerhin stellt auch Böhmermann die Integrität von Wikipedia infrage. Der Co-Gründer von Wikipedia und Wikipedia-Kritiker Larry Sanger warnte wiederholt vor „linkslastiger Propaganda“ auf Wikipedia. Konservative Sichtweisen würden entweder ausgeblendet oder nur verzerrt wiedergegeben. Er schäme sich für seine damalige Rolle bei der Gründung von Wikipedia. Niemand dürfe sich mehr auf die politisierten Inhalte des Wikipedia-Netzwerks verlassen. Dieses woke System verhindert es, falsche oder einseitige Darstellungen zu korrigieren.
Wikipedia ist nur ein Beispiel der woken Transformation einst zuverlässiger Informationsquellen. Wie sich die Wokeness aus dem Milieu neulinker Akademiker in den Sozialwissenschaften im Laufe der letzten 40 Jahre und insbesondere seit 2010 so erfolgreich ausbreiten konnte, wird eines Tages eine wichtige Forschungsfrage für Historiker sein. Mainstream-Nachrichtenanbieter wie CNN und New-York-Times sind genauso ideologisiert wie Eliteuniversitäten wie Harvard und Yale. Die Aktivisten gehen strategisch immer gleich vor. Mithilfe der Rhetorik des „Antirassismus“ und als Kämpfer gegen „weiße Privilegien“ setzen sie sich in den Entscheidungsgremien renommierter Institutionen fest. Sobald sie die Entscheidungsgremien übernommen haben, benutzen sie das lange zuvor aufgebaute Renommée, um woke Narrative in der Gesellschaft zu verbreiten und Kritiker zum Schweigen zu bringen. Ein Paradebeispiel dafür ist das „1619“-Projekt, welches sich der Neuschreibung der amerikanischen Geschichte widmet. Die Aufrechterhaltung der Sklaverei sei der wahre Grund für die Gründung der USA gewesen. Die Aktivistin Nikole Hannah-Jones erhielt für den Leitartikel zum 1619-Projekt sogar eine Pulitzer-Auszeichnung.
„Es gibt nur eine endlose Gegenwart“
Mittlerweile leben wir in einer Welt, in der woke Aktivisten einige der renommiertesten Institutionen übernommen haben. Eine solche Entwicklung wäre vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen. Auch in Deutschland bleiben einem Großteil der Menschen die Konsequenzen dieser rasanten Transformationen verborgen. Tatsächlich sind diese Konsequenzen unabsehbar. Es darf bezweifelt werden, dass die Ideologisierung der Wissensquellen mit dem Ziel, die Menschen gemäß den Dogmen der neomarxistischen „Critical-Race-Theory“ umzuerziehen, eine gerechtere, freiere und vielfältigere Wissenswelt hervorbringen wird. In Wirklichkeit werden dadurch klassische linke und liberale Errungenschaften gefährdet, da der hegemonial-koloniale Anspruch der Wokeness-Kultur keine alternativen Sichtweisen duldet. Nur das, was woke Ideologen für richtig halten, soll als Wissen gelten dürfen.
Orwell beschreibt eine ähnliche Entwicklung in seinem Roman 1984:
„Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch
überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes
Gebäude umbenannt, jedes Datum geändert. Und dieses Verfahren geht von
Tag zu Tag und von Minute zu Minute weiter. Die Geschichte hat aufgehört
zu existieren. Es gibt nur eine endlose Gegenwart, in der die Partei
immer recht hat.“
Bei der Wikipedia lautet dieses Vorgehen so: „Wir hoffen, dass die Wikimedia Projekte eines Tages einen großartigen Wendepunkt dokumentieren werden. Eine Zukunft, in der alle Gemeinschaften, Systeme und Institutionen die Gleichheit und Würde aller Menschen anerkennen. Bis dahin stehen wir an der Seite derer, die für Gerechtigkeit und Transformation kämpfen. Mit jedem Eintrag schreiben wir Geschichte!”
(We hope that one day the Wikimedia projects document a grand turning point — a time in the future when our communities, systems, and institutions acknowledge the equality and dignity of all people. Until that day, we stand with those who are fighting for justice and for enduring change. With every edit, we write history.)
Niklas Brauer ist Student der Philosophie an der Universität Innsbruck.
Was Niklas Bauer festhält, gilt leider in ganz besonderem Maße für die deutschsprachige Wikipedia, wo die historischen Aspekte der Artikel von Anfang an unterbelichtet waren oder fehlten und, seit sie mehr Beachtung finden, fast immer zu selektiven Darstellungen führen. Man tut immer gut daran, zusätzlich die englisch- und spanischsprachige aufzurufen, zum Beispiel, wenn man sich bei zeitgenössischen Persönlichkeiten Aufschluss verschaffen will über ihre ethnische Herkunft und ihre religiösen Wurzeln. In der deutschsprachigen stand lange Zeit nicht einmal, dass Charles Bronson aus einer litauischen Familie stammte.
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