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Sonntag, 15. April 2018

Erfahrbare Unendlichkeit

Der Berliner Bezirksverordnete Nedim Bayat behauptet genau das. „Die Grünen sind deutsch und weiß“, begründete der Lokalpolitiker, der offenbar in der Politik gern höhere Ämter übernähme, seinen Wechsel zur SPD. Nun ist man ja heutzutage gewohnt, dass zwischen den Wahrnehmungen der Wirklichkeit in unterschiedlichen Soziotopen Welten liegen können. Insbesondere, wenn es um offenen oder versteckten, subtilen und womöglich noch nicht entlarvten Rassismus geht. Sicher: Jeder, der von sich glaubt, er sei beileibe kein Rassist oder Fremdenfeind, kann von geübten, professionellen Antirassisten in Windeseile als ein solcher enttarnt werden. Aber die Grünen?
Welche Partei hat sich denn mehr für Rechte und Privilegien für Zuwanderer eingesetzt? Welche deutsche Partei ist denn lange am konsequentesten gegen einen „Assimilationszwang“ für Zuwanderer eingetreten? War nicht ein Cem Özdemir lange Jahre Vorsitzender der Partei? Wie kommt Nedim Bayat zu dieser Einschätzung? Der Berliner Morgenpost hat er das zu erklären versucht:
„‚Ich fühlte mich bei den Grünen gut aufgehoben als Migrant und Kiezbewohner‘, sagt der Weddinger, die Grünen hätten sich doch für Migranten eingesetzt. Aber nun habe er erkannt: ‚Der Schein trügt‘. Einwanderer dürften bei den Grünen mitarbeiten. Wenn es aber um Posten und Mandate gehe, würden Migranten ausgebremst. Und das nicht nur in Berlin – trotz des langjährigen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir.“
Wie es heißt, machte er Wahlkampf für den Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu, eroberte bei den Berliner Wahlen 2016 um ein Haar das Abgeordnetenhaus-Direktmandat in Gesundbrunnen, zog aber letztlich nur in die Bezirksverordneten-Fraktion der Grünen in Mitte ein. Offenbar wäre er nun für seinen Einsatz gern mit irgendeinem Amt oder besserem Mandat belohnt worden. So klingt zumindest, was die Berliner Morgenpost weiter von ihm zitiert:
„Diese Zeit hat ihn desillusioniert. ‚Ich spürte, dass Vielfalt für die Grünen Berlin nur noch eine gut gemeinte Floskel ist‘, schreibt der inzwischen an einem Berliner Oberstufenzentrum als Quereinsteiger-Lehrer tätige Bayat in seiner Austrittserklärung: ‚Theorie und Praxis klaffen ex­trem auseinander.'"
Möglicherweise hätte er gern eine Migrantenquote bei den Grünen. Vielleicht hatte er erwartet, dass es in dieser regulierungs- und quotenfreundlichen Partei über kurz oder lang eine geben würde.
Stattdessen nahm in den Ländern bei der Regierungsbildung bisher kaum jemand Rücksicht auf die Herkunft der Mitglieder. Wie gemein. Dass es mit Tarek Al-Wazir nur einen grünen Landesminister mit Migrationshintergrund gebe, hält Bayat für unerträglich.
Das sei bei der SPD anders. Allein in Berlin gebe es die Gesundheitssenatorin Dilek Kolat, den Fraktionschef Raed Saleh und die bekannte Bundesrats-Staatssekretärin Sawsan Chebli. Das sind doch überzeugende Hoffnungsträger.
Und was machen nun die Grünen? Werden sie zerknirscht über den schlimmen Vorwurf, zu deutsch und zu weiß zu sein, flugs ein paar neue Quoten beschließen?
Der Beitrag erschien zuerst hier auf sichtplatz.de

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