Wie ehrlich meint es Macron? Der französische Staatspräsident sonnte
sich im Glanz der deutschen Baustelle namens Berliner Stadtschloss,
jedenfalls im medialen Glanz. Denn bei ihm zu Hause sah es ganz anders
aus und in den französischen Medien kümmerte man sich um den Besuch in
Berlin unter ferner liefen auf den Seiten sieben folgende oder
berichtete, wenn überhaupt, in den Abendsendungen nur am Rande.
Hauptthema in Frankreich waren die Proteste der Eisenbahner, der
Studenten, der Rentner und anderer Berufsgruppen in Paris, Marseille,
Montpellier, Besancon, Nantes, Rennes, Lille. Noch kann man nicht von
einem Aufstand der Straße sprechen, um den sich die kommunistische
Gewerkschaft CGT so intensiv bemüht. Aber der Funke kann überspringen
und Pflastersteine fliegen schon mal. Mit anderen Worten: Die
Reformfront zu Hause ist verhärtet und von ihr hängen Legitimität und
Glaubwürdigkeit des medialen Sonnyboys aus Paris ab.
Emmanuel Macron weiß das. Auch deshalb macht er Druck. Erfolge im
Brüsseler Europa können ihm in Paris helfen und zwar in zweifacher
Hinsicht. Zum einen kann er mit europäischen Federn seine Position
stärken nach dem Motto: Wir müssen in Europa die Nummer eins werden oder
wenigstens wettbewerbsfähig bleiben.
Frankreichs Außenpolitik orientiert sich an Interessen Frankreichs
Zum zweiten kann er mit Blick auf künftige deutsche
Transferleistungen den Spardruck lockern und schon heute den
Gewerkschaften Zugeständnisse machen. Und, was in Berlin kaum zur
Sprache gekommen sein dürfte, die Zeit spielt für ihn. Denn wenn die
Briten die EU verlassen, ändern sich die Stimmenverhältnisse in den
Gremien.
Dann gewinnen die Südländer qualifizierte Mehrheiten, ein
Übergewicht, das sie bei Verhandlungen über Stabilitätskriterien in die
Waagschale werfen werden. Angela Merkel wäre die letzte, die sich
dauerhaft solchen Mehrheiten entgegenstellen würde. Mehr Hoffnungen
könnte man schon in Scholz setzen, weil der seine Zukunft in Berlin
sieht, Merkel eher in der Uckermark.
Hinzu kommt: Frankreich hat eine Außenpolitik, die sich zuerst an den
Interessen Frankreichs und dann an denen Europas ausrichtet und für die
es auch Mittel bereitstellt. Vielleicht nicht genug, aber doch so
viele, um ernst genommen zu werden. Gleiches gilt übrigens für
Großbritannien. Das kann man bedauern oder bewundern, es ist so. Wenn es
ernst wird, steht der Marquis de la Fayette an der Seite der
Angelsachsen und diese Geschlossenheit macht Paris zum geschätzten
Gesprächspartner nicht nur in Washington und London.
EU-Projekt ist an einer Grenze
Es rächt sich, daß Angela Merkel sich mit Blick auf den
Koalitionspartner noch vor dem Schlag in Syrien davon distanzierte, um
nachher dann viel zu spät politisch beizudrehen und mit dem deutschen
Ruderboot im Kielwasser der westlichen Flotte zu treiben. Man muß nicht
mitfliegen oder mitbomben. Aber Skepsis vorher und Kopfnicken danach
erhöhen nicht die Glaubwürdigkeit. Genauso dürfte man im realpolitischen
Paris auch die Europa-Politik Berlins einschätzen. Erst dagegen und
nachher mitlaufen. Man muß nur lange genug drängen, dann werden die
konsenssüchtigen Deutschen schon einlenken.
Man kann es geostrategisch, innenpolitisch und wirtschaftlich drehen
und wenden, wie man will: Das EU-Projekt ist an einer Grenze, vielleicht
an seinen Grenzen angekommen. Übrigens auch für Macron selber. Er will
keinen direkt gewählten Kandidaten für die Kommission, den sollen die
nationalen Regierungen, mithin das Elysee also er selbst, bestimmen.
Aus seinen Reformvorhaben in Frankreich und für Europa läßt sich
darüber hinaus eine Tendenz ablesen: Er ist unerbittlich, wenn es um die
Interessen der Banken geht. Der Vorwurf seines Vorgängers Hollande,
Macron sei der Präsident der ganz Reichen, ist nicht unbegründet. Das
ist auch ein starkes Motiv der Protestierenden. Und natürlich ist er
auch wortbrüchig, wenn es um die Steuern geht. Seine Regierung hat die
Tabaksteuer und die Benzinsteuer erhöht, sie hat die Bemessungsgrenzen
bei Steuererleichterungen, etwa für Familien, deutlich gesenkt, so daß
die Kaufkraft der Mittelschicht schwindet. Die Leute merken das in ihrem
Portemonnaie.
Die Skepsis gegen Macron wächst
Macrons Glaubwürdigkeit in Frankreich steht auf dem Prüfstand. Die
Skepsis gegenüber seinen bis ins Detail inszenierten Auftritten wächst.
Er ist nicht nur blitzgescheit und hochgebildet, sondern auch ein guter
Schauspieler. Niemand weiß das besser als seine Frau Brigitte, sie war
die Lehrerin der Theater-AG, bei der der junge Emmanuel die Bühne
beherrschte.
Nun will er auch die Europa-Bühne beherrschen und es ist keiner zu
sehen, der ihm glaubhaft und mit fester Stimme Paroli bietet. Macron
will die schon beim alten Griechen Sophokles aufgekommene und bei Ortega
y Gasset auf Europa gemünzte Resignation widerlegen, die sich in dem
Satz bündelte: Es gibt keine Helden mehr, es gibt nur noch den Chor. Er
will der Held Europas sein und der mediale Chor soll ihn besingen. In
Deutschland ist ihm das weitgehend gelungen. Liminski
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