Bisher gelang es ziemlich erfolgreich, die große Mehrheit der (legalen) Einwanderer recht zügig zu assimilieren, auch weil eine Einwanderung in das Sozialsystem nicht möglich ist und ausreichende Englischkenntnisse bereits vorhanden sein müssen. Weniger gut klappt dagegen die Integration bei bestimmten muslimischen Gruppen, etwa libanesischen Bürgerkriegsflüchtlingen und ihren Nachkommen, die vor Jahren aus humanitären Gründen ins Land gelassen wurden. Aber auch unabhängig davon steht man angesichts der qualitativ und quantitativ veränderten Einwanderung vor neuen Herausforderungen.
Selbst angesichts der tolerant-entspannten Atmosphäre Australiens wäre es naiv, anzunehmen, dass dieser stetige Prozess von Zuwanderung und ethnischer Diversifizierung so ganz ohne Brüche und gegenseitige Vorbehalte über die Bühne gehen könnte. Beispiel dafür ist ein Konflikt, den der Autor vor ein paar Jahren in Sydney erlebte – wo immerhin 37 Prozent der Bevölkerung in Übersee geboren wurde. Der hoffnungsvolle Nachwuchs der alten Elite Sydneys fand kaum noch einen Platz in einer sehr renommierten High School, weil die Kinder vor allem der chinesischen Einwanderer die besseren Leistungen brachten. Ein Problem, das man mit Deutschlands Migranten vielleicht auch gerne mal hätte. Aber so richtig witzig fanden das die „alten“ Australier natürlich nicht. Mittlerweile mehren sich kritische Stimmen über das zu hohe Tempo der (legalen) Einwanderung, auch weil die Infrastruktur zunehmend überfordert wird.
Für den hiesigen Umgang mit Australiens Politik zur illegalen Migration hat SPON – mit Blick auf den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz – schon mal das Lernziel vorgegeben: „Australien ist auch keine Lösung“. Das Modell funktioniere zwar, „rein zahlenmäßig betrachtet“, „doch der moralische Preis ist immens“. Mit der ja nicht ganz unwesentlichen Frage, was wohl passieren würde, sollte Australien seine Politik zum Beispiel an Deutschland oder der EU orientieren, beschäftigt man sich vorsichtshalber nicht.
Zur Sicherheit verzichtet man auch auf jeden Relativierungsversuch des angeblich „immensen“ moralischen Preises. Nämlich die Kollateralschäden der deutschen bzw. EU-Flüchtlingspolitik, also tausende von Ertrunkenen, hunderttausende in libyschen Lagern Dahinvegetierende und illegale Masseneinwanderung samt den damit assoziierten, bekannten aktuellen und sich abzeichnenden langfristigen Problemen. Angesichts dessen könnte der kritische Leser – oder ZDF-Seher – sich sonst ja vielleicht fragen, ob im Vergleich der moralische Preis der australischen Asylpolitik nicht vielmehr wesentlich geringer ist, so man Moral hier überhaupt als wichtige zielführende Kategorie anerkennen will.
Der „Spiegel“ hat immerhin eine eigene Australien-Korrespondentin, während etwa die FAZ den Kontinent überwiegend von Singapur aus beobachtet. Aber auch örtliche Anwesenheit schützt nicht unbedingt vor Fehlern, wenn nämlich behauptet wird, dass Australien nur Asylanträge akzeptiere, die außerhalb des Landes gestellt wurden. Richtig ist vielmehr, dass sowohl Diplomaten als auch mit einem gültigen (befristeten) Visum Eingereiste vor Ort durchaus einen entsprechenden Antrag stellen können.
Und gerne verschweigen unsere Qualitätsmedien auch, dass Australien – häufig gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk – auch humanitäre Visa vergibt. Im vergangenen Jahr nahm man zusätzlich ein Kontingent von syrisch-irakischen Kriegsflüchtlingen auf, so dass insgesamt gut 24.000 Personen aus humanitären Gründen ins Land kamen.
Im Zentrum der Diskussion über die australische Asylpolitik stehen diejenigen, die versuchen, ihr Ziel illegal, also ohne gültige Visa, per Boot zu erreichen. Das erfolgt(e) meist über eine gut organisierte Route auf der zuletzt vornehmlich aus Sri Lanka, Irak und Afghanistan stammende Migranten zunächst nach Malaysia flogen, um von dort über den Land- und Seeweg in indonesische Häfen zu gelangen, wo die Boote nach Australien ablegen. Gegen diese Art der Einreise setzt Australien seit dem liberal-konservativen Wahlsieg 2013 auf einen harten Kurs, unterstützt durch eine Medienkampage in den Herkunftsländern der Migranten.
Die nationale Marine zwingt seit Dezember 2013 sämtliche Flüchtlingsboote in den Gewässern zwischen Indonesien, Papua-Neuguinea und Australien zur Umkehr. Diejenigen, denen es dennoch gelingt, die Küste des Landes zu erreichen, werden zur Prüfung ihres Asylbegehrens ins Aufnahmelager der pazifischen Inselrepublik Nauru gebracht. Zweiter Internierungsort war bis zu dessen Schließung im letzten Jahr das Lager auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus. „All jene, die auf illegalem Weg kommen, werden sich niemals in Australien niederlassen dürfen“, so die bis heute gültige Botschaft des damaligen Premierministers Abbott. Man fürchtet einen Pull-Effekt.
Kompromisslose Vorgehen gegenüber illegaler Migration
Im Zeitalter der Digitalisierung sollte vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass diejenigen, die trotzdem versuchen, Australien ohne gültiges Visum per Boot zu erreichen, dieses wider besseres Wissen tun. Aber auch nur zarte Andeutungen auf die Verantwortung dieser Migranten für ihr eigenes Tun und Handeln sind dem Autor in deutschen Qualitätsmedien bisher noch nicht begegnet. Allerdings ist das Thema Eigenverantwortung ja ohnehin etwas aus der Mode gekommen – und in Bezug auf „Schutzsuchende“ oder „Geflüchtete“ natürlich erst recht.Die kompromisslose Vorgehensweise gegenüber der illegalen Migration findet – sehr zum Unmut von SPON – bei der Mehrheit der australischen Bevölkerung Zustimmung. Auch die Labour Party unterstützt diese Asylpolitik, aber erst, nachdem sie mit ihrer Reform nach dem Wahlsieg 2007 gehörig auf die Nase gefallen war. Denn die sogenannte „pazifische Lösung“, nämlich über Asylanträge von illegal per Boot Eingereisten „offshore“ – also außerhalb des australischen Hoheitsgebiets – auf bestimmten Pazifikinseln zu entscheiden, wurde bereits ab 2001 von der damaligen liberal-konservativen Regierung etabliert.
Sie führte ganz überwiegend zum erwünschten Ergebnis: Die Zahl der illegal per Boot in Australien angekommenen Personen ging von 5.516 im Jahr 2001 auf eine Person im nächsten Jahr zurück und blieb in den folgenden sechs Jahren im Mittel zweistellig, wenngleich mit zuletzt leicht steigender Tendenz. Bis 2006 erhielten gut zwei Drittel der auf den Inseln Internierten einen Flüchtlingsstatus. Die Mehrheit davon durfte sich in Australien oder, zum geringeren Teil, auf Neuseeland ansiedeln, die abgelehnten Asylbewerber konnten nach Hause zurückkehren. Wegen der Möglichkeit, sich nach der Offshore-Asylprüfung eventuell doch noch in Australien niederlassen zu dürfen, könnte man die erste Phase der pazifischen Lösung auch als „Lightvariante“ bezeichnen.
Sozialdemokratisches Wunschdenken auch in Australien
Der Labour Party passte das aus ihrer Sicht inhumane System der pazifischen Lösung nicht. Auch wurde die Bedeutung der Pull-Faktoren in Bezug auf die illegale Migration kleingeredet. Nach ihrem Wahlsieg 2007 wurden im folgenden Jahr konsequenterweise die Lager auf Nauru und Papua-Neuguinea geschlossen, und es wurde darauf verzichtet, die Schlepper-Boote früh abzufangen und zur Umkehr zu zwingen. Die Asylprüfungen erfolgten nun auf australischem Hoheitsgebiet, entweder auf der weit vom Kontinent entfernten Weihnachtsinsel oder gleich auf dem Festland.In der Folge kam es – samt etlichen Havarien und Ertrunkenen – zu einem raschen und vor allem rasant zunehmenden Anstieg der illegalen Migration bis auf dreihundert Bootsankünfte im Jahr 2013 mit 20.587 Migranten. Nach mehreren untauglichen Versuchen, wieder die Kontrolle über die illegale Migration zu erlangen, scheiterte 2012 auch der Plan der inzwischen abgewirtschafteten Regierung unter Premierministerin Gillard, die Lager auf Nauru und Papua-Neuguinea wieder zu öffnen, an fehlender parlamentarischer Unterstützung. Im folgenden Jahr wurde die Labour Party abgewählt.
Nach der erneuten, nun aber verschärften Implementierung der pazifischen Lösung durch die liberal-konservative Regierung kam 2014 lediglich noch ein einziges Boot mit hundertsechzig illegalen Migranten an, seitdem kein einziges mehr. Man hat das Ziel also erreicht, und zwar ausgesprochen zügig. Sollte es wieder zu einer Ankunft illegaler Bootsmigranten kommen, wird deren Asylbegehren auf Nauru geprüft werden. Im dortigen Aufnahmezentrum befanden sich Ende 2017 noch 338, ausschließlich illegal per Boot eingereiste Personen. Das Lager auf Manus ist, wie oben erwähnt, mittlerweile geschlossen.
Es gibt eine kurz vor der letzten US-Wahl getroffene Zusage von Obama, dass die USA bereit sind, 1.250 illegale Migranten zu übernehmen. Trump hat diese Übereinkunft, wenn auch grummelnd, bestätigt. Bisher konnten nur 50 Personen in die USA ausreisen, die Sicherheitsüberprüfungen gestalten sich zeitaufwendig. Ein Abkommen mit der kambodschanischen Regierung über die Aufnahme von illegalen Migranten aus Nauru kommt nur sehr zögerlich in Gang. Umso wichtiger ist es für Australien, den Zustrom ständig neuer illegaler Bootsmigranten gestoppt zu haben.
Zwischen der Asylpolitik von Australien einerseits und Deutschland sowie der EU andererseits liegen Welten. Bevor zentrale Bausteine der australischen Politik auch hier angewendet werden können, bedarf es noch eines erheblichen Zuwachses an Erkenntnis – ganz besonders auf Seiten der Regierenden und Regierten in Deutschland. Erkenntnis alleine wird aber nicht reichen. Nötig ist auch ein kompromissloser „harter“ Plan, weil Schlupflöcher sich in diesem Milieu rasch zu Scheunentoren weiten.
Für die Umsetzung des Plans sind zudem ein starker politischer Wille und robuste Nerven erforderlich, denn Medien und NGOs werden ein vielstimmiges und lautstarkes, hypermoralisches Empörungskonzert auf etlichen Kanälen intonieren, untermalt von unschönen Bildern. Bevor also auch Deutschland souverän entscheiden kann, wer warum ins Land gelassen wird und wer nicht, muss es wahrscheinlich erst noch viel schlimmer kommen, damit es endlich besser werden kann. Aber Geschichte ist kein Wunschkonzert, und irgendwann hat sich jedes Zeitfenster geschlossen oder erlaubt nur noch eine gewisse Verlangsamung, aber keine Umkehr eines bereits laufenden Prozesses mehr. Wolfgang Meins
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