Stationen

Samstag, 21. April 2018

Konsens

Der Verleger Wilhelm Hopf hat zurückgezogen: seine Unterschrift unter der „Erklärung 2018“, mit der auf Initiative der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld gegen die fahrlässige Migrationspolitik der Bundesregierung protestiert wurde.
Hopf behauptet, daß er das getan habe, weil er zu besserer Einsicht gekommen sei. Aber es ist unschwer zu erkennen, daß seine Entscheidung unter Druck erfolgte. Druck, der gegen ihn ausgeübt wurde, von den Autoren und sogar den Lektoren seines Lit-Verlages. Die empörte, daß Hopf sie nicht „konsultierte“, bevor er seinen Namen unter den Text setzte. Und die den Pluralismus gefährdet sehen durch eine Stellungnahme, die nicht die ihre ist.
Stimmung des eigenen Milieus bedingt das gute Gewissen
Das gute Gewissen, das sie dabei haben, erklärt sich aus der Stimmungslage des Milieus, dem sie angehören. Unter Lektoren und Autoren, aber auch Journalisten, Lehrern, Pastoren, Streetworkern, Soziologen, Politologen, Gender- und Kulturwissenschaftlern, Leser der taz, der Zeit und des Spiegels gibt es einen Konsens über das, was man denken, meinen und sagen darf, und über das, was man nicht denken, meinen und sagen darf.
Wer doch etwas denkt oder meint, was er eigentlich nicht denken oder meinen darf, muß es für sich behalten. Verstößt jemand wie Hopf gegen diese Regel und sagt es laut, wird er diszipliniert.
Es ist wie bei jeder anderen Scheidung von „ingroup“ und „outgroup“. Das heißt, es geht weder um Werte noch um Moral, noch um echte Überzeugungen, sondern um Stabilisierung und Abgrenzung. Das eine ist so notwendig wie das andere, will man die Verfügung über die Diskurshoheit verteidigen, also die Möglichkeit, den Ablauf der großen Debatten zu kontrollieren, Sprachregelungen zu treffen, Ideen in Umlauf zu bringen oder unter Tabu zu stellen.
Die Diskurshoheit verteidigen Alt-Achtundsechziger zum eigenen Machterhalt
Die Diskurshoheit ist in einer modernen Gesellschaft ein Machtfaktor, und Macht wollen die Machthaber nicht hergeben. Das liegt in der Natur der Sache, wie die Bekämpfung jedes Gegners, der seinerseits das Denken wie das Meinen wie das Sagen beeinflussen will.
An diesem Punkt fällt sonst der Begriff „kulturelle Hegemonie“, und irgend jemand bringt den Namen Antonio Gramsci ins Spiel. Aber man kann die Sache auch vereinfachen, wie der Politikwissenschaftler Claus Leggewie zum Beispiel: „Die kulturelle Hegemonie kommt vor der politischen Hegemonie. Wenn man die politische Macht nicht frontal bekämpfen kann, dann muß man eben die Ideen, die Köpfe erobern.“
Als bekennender Alt-Achtundsechziger weiß Leggewie, wovon er spricht. Denn er und seinesgleichen haben die „kulturelle Hegemonie“ weiland erkämpft und über Jahrzehnte verteidigt. Wenn Leggewie den erreichten Status jetzt gefährdet sieht, dann weil es eine mächtige „revisionistische Bewegung“ gebe, „die das alles zurückdrehen will“. Was Leggewie mit „alles“ meint, bleibt unscharf, aber eindeutig fällt die Quintessenz seiner Argumentation aus: „Identität ist gerade der Renner“, und der läuft auf der Rechten.
Die Realität – nicht die Theorie – bringt den Wandel
Gegen diese Folgerung ist wenig zu sagen. Allerdings irrt Leggewie, wenn er glaubt, daß der Gegner den Spieß einfach umdreht und es irgendwo die „revisionistische Bewegung“ gibt, die wohlorganisiert „Ideen, die Köpfe erobern“, in die Welt setzen kann. Denn daß sich die Kräfteverhältnisse ändern, hat kaum mit einer rechten „Gegenkultur“ zu tun oder dem geistigen Einfluß „heimatloser“ Konservativer. Wenn etwas die Dinge in Bewegung bringt, dann weder Theoriebildung noch ausgefeilte Argumentation.
Der Wandel, dessen Zeugen wir sind, ist vielmehr das Ergebnis eines Realitätsschocks. Der kam erwartet und überraschend zugleich. Erwartet insofern, als es nicht an Mahnern fehlte, die vor den Konsequenzen des großen Laissez-faire gewarnt hatten, überraschend, weil es bis dahin so aussah, als würde noch jede Zumutung mit schafsmäßiger Geduld hingenommen. Daß sich das abrupt geändert hat, geht vor allem auf die Wahrnehmung von Kontrollverlust zurück.
Es läuft schon länger ein Gefühl der Entfremdung um, das Empfinden, daß wir in unserem eigenen Land nicht mehr zu Hause sind und sich alles Selbstverständliche verflüssigt und auflöst. Daß es keine Gewähr gibt, „daß man sich in den Städten mit der übergroßen Mehrheit der Menschen, die einem auf der Straße begegnen, sprachlich verständigen“ (Thomas Schmid) kann, erscheint aber sekundär, verglichen mit dem beunruhigenden Wissen, daß die Versprechungen der Regierung nach dem „Schwarzen Silvester“ allesamt leere waren, daß jederzeit jemand einen Sprengsatz zünden oder ein Fahrzeug in eine Menschenmenge steuern oder mit gezücktem Messer harmlose Passanten attackieren könnte.
Wir fahren bedrückt durch verwahrloste Straßen und meiden die S-Bahn am Abend
Wir fahren bedrückt durch verwahrloste Straßen und meiden die S-Bahn am Abend, wir erkundigen uns nach den Grenzen der neuen „No-go-Area“ in der Nachbarschaft oder klären, wo sich eine Frau besser nur mit männlicher Begleitung zeigt oder auf welche Schule man sein Kind schicken sollte, will man verhindern, daß es „abgezogen“ wird.
Die „offene Gesellschaft“ erweist sich als das Phantom, das sie immer war, und es wächst das Bedürfnis nach neuer Orientierung. Das äußert sich bisher nur in hilflosen Ausbrüchen, die die Kommentarspalten füllen, in spontanem oder organisiertem Protest vor Ort und der Wahl­entscheidung. Aber dabei wird es nicht bleiben.
Denn diejenigen, die noch den Ton angeben, sind entschlossen, den Karneval fortzusetzen, es bei kosmetischen Korrekturen zu belassen, weiter so zu tun, als ob die Probleme gar nicht da liegen, wo sie der beschränkte Untertanenverstand ausmacht, und ihr Bewußtsein überlegener Einsicht zu pflegen. Eine Blindheit, nicht untypisch für Eliten im Niedergang.   Karlheinz Weißmann

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