Der Verleger Wilhelm Hopf hat zurückgezogen: seine
Unterschrift unter der „Erklärung 2018“, mit der auf Initiative der
ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld gegen die
fahrlässige Migrationspolitik der Bundesregierung protestiert wurde.
Hopf behauptet, daß er das getan habe, weil er zu besserer
Einsicht gekommen sei. Aber es ist unschwer zu erkennen, daß seine
Entscheidung unter Druck erfolgte. Druck, der gegen ihn ausgeübt wurde,
von den Autoren und sogar den Lektoren seines Lit-Verlages. Die empörte,
daß Hopf sie nicht „konsultierte“, bevor er seinen Namen unter den Text
setzte. Und die den Pluralismus gefährdet sehen durch eine
Stellungnahme, die nicht die ihre ist.
Stimmung des eigenen Milieus bedingt das gute Gewissen
Das gute Gewissen, das sie dabei haben, erklärt sich aus
der Stimmungslage des Milieus, dem sie angehören. Unter Lektoren und
Autoren, aber auch Journalisten, Lehrern, Pastoren, Streetworkern,
Soziologen, Politologen, Gender- und Kulturwissenschaftlern, Leser der taz, der Zeit und des Spiegels
gibt es einen Konsens über das, was man denken, meinen und sagen darf,
und über das, was man nicht denken, meinen und sagen darf.
Wer doch etwas denkt oder meint, was er eigentlich nicht
denken oder meinen darf, muß es für sich behalten. Verstößt jemand wie
Hopf gegen diese Regel und sagt es laut, wird er diszipliniert.
Es ist wie bei jeder anderen Scheidung von „ingroup“ und
„outgroup“. Das heißt, es geht weder um Werte noch um Moral, noch um
echte Überzeugungen, sondern um Stabilisierung und Abgrenzung. Das eine
ist so notwendig wie das andere, will man die Verfügung über die
Diskurshoheit verteidigen, also die Möglichkeit, den Ablauf der großen
Debatten zu kontrollieren, Sprachregelungen zu treffen, Ideen in Umlauf
zu bringen oder unter Tabu zu stellen.
Die Diskurshoheit verteidigen Alt-Achtundsechziger zum eigenen Machterhalt
Die Diskurshoheit ist in einer modernen Gesellschaft ein
Machtfaktor, und Macht wollen die Machthaber nicht hergeben. Das liegt
in der Natur der Sache, wie die Bekämpfung jedes Gegners, der
seinerseits das Denken wie das Meinen wie das Sagen beeinflussen will.
An diesem Punkt fällt sonst der Begriff „kulturelle
Hegemonie“, und irgend jemand bringt den Namen Antonio Gramsci ins
Spiel. Aber man kann die Sache auch vereinfachen, wie der
Politikwissenschaftler Claus Leggewie zum Beispiel: „Die kulturelle
Hegemonie kommt vor der politischen Hegemonie. Wenn man die politische
Macht nicht frontal bekämpfen kann, dann muß man eben die Ideen, die
Köpfe erobern.“
Als bekennender Alt-Achtundsechziger weiß
Leggewie, wovon er spricht. Denn er und seinesgleichen haben die
„kulturelle Hegemonie“ weiland erkämpft und über Jahrzehnte verteidigt.
Wenn Leggewie den erreichten Status jetzt gefährdet sieht, dann weil es
eine mächtige „revisionistische Bewegung“ gebe, „die das alles
zurückdrehen will“. Was Leggewie mit „alles“ meint, bleibt unscharf,
aber eindeutig fällt die Quintessenz seiner Argumentation aus:
„Identität ist gerade der Renner“, und der läuft auf der Rechten.
Die Realität – nicht die Theorie – bringt den Wandel
Gegen diese Folgerung ist wenig zu sagen.
Allerdings irrt Leggewie, wenn er glaubt, daß der Gegner den Spieß
einfach umdreht und es irgendwo die „revisionistische Bewegung“ gibt,
die wohlorganisiert „Ideen, die Köpfe erobern“, in die Welt setzen kann.
Denn daß sich die Kräfteverhältnisse ändern, hat kaum mit einer rechten
„Gegenkultur“ zu tun oder dem geistigen Einfluß „heimatloser“
Konservativer. Wenn etwas die Dinge in Bewegung bringt, dann weder
Theoriebildung noch ausgefeilte Argumentation.
Der Wandel, dessen Zeugen wir sind, ist vielmehr das
Ergebnis eines Realitätsschocks. Der kam erwartet und überraschend
zugleich. Erwartet insofern, als es nicht an Mahnern fehlte, die vor den
Konsequenzen des großen Laissez-faire gewarnt hatten, überraschend,
weil es bis dahin so aussah, als würde noch jede Zumutung mit
schafsmäßiger Geduld hingenommen. Daß sich das abrupt geändert hat, geht
vor allem auf die Wahrnehmung von Kontrollverlust zurück.
Es läuft schon länger ein Gefühl der
Entfremdung um, das Empfinden, daß wir in unserem eigenen Land nicht
mehr zu Hause sind und sich alles Selbstverständliche verflüssigt und
auflöst. Daß es keine Gewähr gibt, „daß man sich in den Städten mit der
übergroßen Mehrheit der Menschen, die einem auf der Straße begegnen,
sprachlich verständigen“ (Thomas Schmid) kann, erscheint aber sekundär,
verglichen mit dem beunruhigenden Wissen, daß die Versprechungen der
Regierung nach dem „Schwarzen Silvester“ allesamt leere waren, daß
jederzeit jemand einen Sprengsatz zünden oder ein Fahrzeug in eine
Menschenmenge steuern oder mit gezücktem Messer harmlose Passanten
attackieren könnte.
Wir fahren bedrückt durch verwahrloste Straßen und meiden die S-Bahn am Abend
Wir fahren bedrückt durch verwahrloste
Straßen und meiden die S-Bahn am Abend, wir erkundigen uns nach den
Grenzen der neuen „No-go-Area“ in der Nachbarschaft oder klären, wo sich
eine Frau besser nur mit männlicher Begleitung zeigt oder auf welche
Schule man sein Kind schicken sollte, will man verhindern, daß es
„abgezogen“ wird.
Die „offene Gesellschaft“ erweist sich als das Phantom,
das sie immer war, und es wächst das Bedürfnis nach neuer Orientierung.
Das äußert sich bisher nur in hilflosen Ausbrüchen, die die
Kommentarspalten füllen, in spontanem oder organisiertem Protest vor Ort
und der Wahlentscheidung. Aber dabei wird es nicht bleiben.
Denn diejenigen, die noch den Ton angeben, sind
entschlossen, den Karneval fortzusetzen, es bei kosmetischen Korrekturen
zu belassen, weiter so zu tun, als ob die Probleme gar nicht da liegen,
wo sie der beschränkte Untertanenverstand ausmacht, und ihr Bewußtsein
überlegener Einsicht zu pflegen. Eine Blindheit, nicht untypisch für
Eliten im Niedergang. Karlheinz Weißmann
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