Unter denjenigen Geistern, die solchem „Prophetentum“ entgegentraten, war Max Weber der wohl entschiedenste. In die Ideengeschichte eingegangen ist der Universalgelehrte nicht zuletzt mit seinem Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“, ein Vortrag, den er am 7. November 1917 in einer Münchner Buchhandlung vor politisch gesinnten Studenten gehalten hat. „Ich sehe ihn noch vor mir“, schreibt der Philosoph Karl Löwith rückblickend, der „Eindruck war erschütternd (...). Er zerriss alle Schleier der Wünschbarkeiten“.
Nun, dass die Weberschen Erörterungen des Nachdenkens wert sind, daran erinnert der Ideenhistoriker Matthias Bormuth, der den Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“ unlängst (bei Matthes & Seitz) neu herausgegeben hat. Wovon genau handelte die Rede? Im Anschluss an einen deskriptiven Anfangsteil über die „äußeren Verhältnisse“ des Wissenschaftsberufes – der Redner sprach über die notwendige Spezialisierung, über die Bürokratisierung des Universitätsbetriebs oder über die Rolle des Zufalls im Forschungsprozess – kam er zur eigentlichen Sache und benannte die seines Erachtens wichtigste Aufgabe, das Ziel, ja den „Sinn“ der Wissenschaft: Max Weber positionierte die Wissenschaft als diejenige Instanz, die „im Dienste der Klarheit“ zu stehen und jeden „Gott“ als „Götzen“ zu entlarven habe, als diejenige Instanz, die jedwede Heilslehre als Illusion zu demaskieren habe.
Dem Schicksal der Zeit ins Antlitz blicken
In Max Webers Augen ist an die Stelle der christlichen Offenbarung eine lange Reihe von Werten getreten, wobei jeder dieser Werte für sich genommen verbindlich erscheint. Das Problem an der Sache: Versucht man, das Leben an einem der Werte auszurichten, so geht dies nur auf Kosten von mindestens einem anderen Wert – es gibt demnach keine Lebensweise, welche so wertvoll ist, dass sie nicht mit einem Wert zu kollidieren pflegt. Wer die Freiheit feiert, etwa dies will Weber damit sagen, hat das mit Sicherheit zu bezahlen – und umgekehrt. Wer den Nationalstaat heiligt, auch das soll damit gesagt werden, opfert die Weltgesellschaft – und umgekehrt. „Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.“Der Wissenschaftler, der ist für Max Weber nun derjenige, der „dem Schicksal der Zeit“ ins „Antlitz“ blickt – und in Bezug auf etwaige Heilsbotschaften zeigt, dass diese stets gewisse „Werte“ missachten, gewisse „Ideale“ ignorieren, gewisse Bedürfnisse des menschlichen Lebens verletzen. Freilich hat die Webersche Vorstellung des engagierten Wissenschaftlers einen ungemein heroischen Zug, denn mit seinem Tun sorgt jener nicht nur dafür, dass der „Schleier der Illusionen“ bei anderen gelüftet wird – jener sorgt damit auch dafür, dass dies bei sich selbst geschieht: Indem der Wissenschaftler darüber aufklärt, dass es keine Lehre gibt, welche nicht mit einer Wertsphäre im Konflikt steht, bewirkt er somit in doppelter Hinsicht eine Ent-täuschung. „Lasciate ogni speranza“, „Lasst alle Hoffnung fahren“, ruft Weber seinem Publikum mit Dante zu.
Neben Max Webers Vortrag veröffentlicht Bormuth auch einige Reaktionen darauf, und so zeigt sich, dass die Rede – 1919 erstmals publiziert – zwar oft gelesen wurde, aber keine durchschlagende Wirkung hatte: Zahlreiche Zeitgenossen, wie beispielsweise der Philosoph Georg Lukács oder der Romanist Ernst Robert Curtius, konnten nichts anfangen mit dem „Entzauberer“. Lieber trat man den Auszug aus der entzauberten Welt an – und träumte von der Verwirklichung einer Ideologie, man gab sich dem hin, was Weber an einer grandiosen Stelle als Möblierung der Seele beschrieb. Ob des Gelehrten Position heute mehr Zustimmung erhält?
Es sieht nicht danach aus. Nicht nur in mehreren Polit-, sondern sogar in einigen Wissenschaftsprogrammen geistert die Vorstellung, dass es „das Eine, das Not tut“: die Lösung für alle Weltprobleme wirklich gibt. Was hätte Max Weber wohl zum Umstand gesagt – diese Spekulation sei erlaubt –, dass gewisse Vertreter beispielsweise der Neurowissenschaft, der Volkswirtschaftslehre oder der Gender-Theorie meinen, ihre Forschung sei eine Etappe auf dem Weg zu einer schlechterdings „guten“ Gesellschaftsordnung?
Für den Glauben, dass just die Wissenschaft etwas für das Heil der Welt zu tun imstande sei – sie sei, „die spezifisch gottfremde Macht“, wie es in „Wissenschaft als Beruf“ einmal heißt, sie, die bei Weber die größte Kritikerin von Fortschrittshoffnungen repräsentiert –, für diesen Glauben hatte Max Weber gerade mal ein müdes Lächeln übrig. „Wer glaubt daran? – außer einigen großen Kindern auf dem Katheder oder in Redaktionsstuben?“
Christian Marty hat von 2009 bis 2015 an der Universität Zürich Geschichte, Philosophie und Medienwissenschaft studiert. Seit 2015 schreibt er an seiner Doktorarbeit über Max Weber. Er ist Gründer einer Nachhilfeschule und freier Journalist.
Literatur zum Thema:
Max Weber: Wissenschaft als Beruf. Mit zeitgenössischen Resonanzen und einem Gespräch mit Dieter Henrich, herausgegeben von Matthias Bormuth, Berlin 2017
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