Der Sonntag gehört diesmal nur vermittelt den Künsten, insofern es um
eines der großen Werke geht, welches in die Mühlen des Zeitgeistes
geraten ist. Die BBC strahlt derzeit eine Serie aus des Titels "Troy – Fall of a City", was ein löbliches Unterfangen ist, denn mit den beiden homerischen Epen beginnt ja praktisch Alles.Mein
Eintrag vom 26. April beschäftigte sich mit dem Phänomen der mählichen
Verdrängung der Weißen – genauer: des abendländischen Typus – aus der
von ihnen geschaffenen Kultur, und genau dorthin wirft die BBC den
Erisapfel, denn der Zuschauer stellt verblüfft fest, dass Zeus,
Achilles, Patroklos und Nestor schwarz sind, also von schwarzen
Schauspielern verkörpert werden. Das sind beispielsweise Achilles und
Patroklos:
Ist das schamlos? Skandalös? Rassistisch gar? Oder ist es vielmehr rassistisch, daran Anstoß zu nehmen?
So
viel dürfte zunächst klar sein: Am Kampf um Troja waren sehr viele
braune und dunkelbraune Menschen beteiligt, "Südländer" eben, doch
richtige Schwarze wohl eher nicht. Wenn wir Homer zu Rate ziehen (aber
der könnte der erste weiße Rassist gewesen sein), war Achilles blond:
"ξανθῆς
δὲ κόμης ἕλε Πηλεΐωνα": Athene "fasste am blonden Haar den Peliden"
(Ilias, 1.197). Über Zeus ist diesbezüglich nichts Näheres überliefert;
die Wahrscheinlichkeit, dass die Achaier einen schwarzen Gott verehrten,
lag zu Homers Zeiten bei Null, nimmt aber neuerdings quasi täglich zu.
Zu Odysseus kommen wir gleich.
Naturgemäß erregten sich in England
einige Zuschauer über die Verfremdung dieser abendländischen
Basalerzählung, und die dortigen Diskussionen scheinen von ähnlicher
Qualität zu sein, wie man sie hierzulande verzückt beobachten kann. "Why
are people so angry about the BBC’s decision?", fragt etwa RadioTimes
und beruhigt sogleich: "Is there any basis to the ‘blackwashing’
conspiracy? In short: absolutely not." Als Zeuge für die Langversion
wird Tim Whitmarsh, Professor für Griechische Kultur an der University
of Cambridge, aufgerufen. Und der sagt, die antiken Griechen seien "vom
Hauttyp her mediterran gewesen", was niemand bezweifelt hat, doch in
deren Welt hätten auch "Äthiopier, eine vage Bezeichnung für
dunkelhäutige Nordafrikaner", hinreichend Präsenz gezeigt. Allerdings
sei bereits "die Frage, ob 'Schwarze' im antiken Griechenland lebten,
fehlerhaft". Die griechische Welt sei nämlich viel "fließender" gewesen
als unsere. "There was a lot of travel in that period" (und a lot of trouble, aber hallo!), "es war eine Welt ohne Grenzen, ohne Nationalstaaten. Es war alles miteinander verbunden."
Na
ja, die Verbundenheit hielt sich in Grenzen, denn warum hätten die
Danaer Troja sonst zehn Jahre lang belagern müssen? (An dieses
pränationalstaatliche Verhältnis von fehlenden Außengrenzen und
kompensatorisch ummauerten Kommunen erinnern uns heute
dankenswerterweise beispielsweise der Zaun ums Oktoberfest oder die
Merkellegosteine andernorts.) Doch mögen die Achaier auch zwischen sich
und den Priamos-Leuten gewisse Unterschiede gemacht haben, "sie teilten
die Welt nicht in Schwarz und Weiß. Sie haben sich nicht so verstanden.
Alle unsere Kategorien – zum Beispiel Schwarz-Weiß – sind moderne
Interpretationen historischer Umstände." Also sprach Professor
Whitmarsh.
Woher mag er das wissen? Will er es aus der Tatsache
folgern, dass bei Homer keine Schwarzen auftauchen? Da wüsste ich noch
eine andere Erklärung. Nicht nur die Griechen, auch die Eskimos haben
die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt, von den Bantus und den
Apachen zu schweigen. Nur weiße Rassisten tun das. Die Griechen haben
allerdings die Welt in Griechen und Nichtgriechen (= Barbaren)
aufgeteilt. Nein, nein, die Frage war schon richtig gestellt, sie
lautet: Ist ein schwarzer Achilles überhaupt denkbar? Und die Antwort
heißt: ungefähr so, wie ein weißer Onkel Tom. Es ist eine Fälschung der
Geschichte, aber eine gut gemeinte und deshalb lässliche. Und natürlich
eine Mythenumschreibung, Mythenzersetzung, Mythenokkupation, eine
Landnahme im Symbolischen.
"Homers Epen sind nur eine Version,
und die Griechen selbst verstanden, dass sich die Geschichte ändern
könnte", erklärt freilich unser Professor, den frühen Hellenen eine
geradezu postmodernistische Flexibilität im Umgang mit ihrem
Selbstverständnis zuschreibend. "Es gab nie eine authentische
Nacherzählung der Ilias und der Odyssee – es waren immer fließende
Texte. Sie sind nicht darauf ausgelegt, in Stein gemeißelt zu werden,
und es ist nicht blasphemisch, sie zu verändern." Das ist zunächst
insofern richtig, als Homer einen Stoff in Hexameter setzte, den jeder
Grieche kannte. Er lieferte seine Version des Mythos; der
Mythos an sich war Gemeinbesitz. Aber ob es Blasphemie ist, die Texte
des Dichters zu verändern – was ja logischerweise heißen würde: die
Texte sämtlicher Dichter –, entscheidet nicht der Herr Whitmarsh, das
ist schlechterdings unerlaubt. Die großen Texte sind tatsächlich in
Stein gemeißelt; wer das bestreitet, "kennt seinen Platz nicht" (Peter
Hacks). Und wer das Personal einer zum Mythos gewordenen historischen
Begebenheit aus Tendenzkonformismus ethnisch "umbesetzt", ist kein
Blasphemiker, sondern eine Zeitgeisthure.
Der wichtigste Part
kommt freilich noch, die Textexegese nämlich, denn wozu ist der Mann
schließlich Professor? Da Achilles nicht schwarz ist bei Homer, aber in
der BBC-Serie, bringt er nun Odysseus als philologischen Joker ins
Spiel. Wie jeder weiß, ermuntert Pallas Athene im 16. Gesang der
"Odyssee" den Laertiaden, sich endlich seinem Sohn Telemachos erkennen
zu geben, um mit ihm gemeinsam den Freiern ein blutiges Ende zu
bereiten, denn die Göttin drängt "die Begierde des Kampfes". Zu diesem
Zwecke verwandelt sie den göttlichen Dulder Odysseus, der ja bereits vom
Alter gezeichnet ist, zurück in einen jungen Mann:
"... und rührt' ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus' Brust, und Hoheit schmückt' ihn und Jugend;
Brauner ward des Helden Gestalt, und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken."
(Voßsche Übersetzung)
Im
Original lautet die auf die Hautfarbe bezogene Passage: "ἂψ δὲ
μελαγχροιὴς γένετο", wobei μελαγχροιὴς wörtlich übersetzt bedeutet:
schwarzhäutig; μέλας – mélas – heißt "schwarz". Noch heute nennen wir
die Pigmente, welche die Färbung der Haut, der Haare und der Augen
bewirken, Melanine. War Odysseus also ursprünglich ein Mohr?
Withmarsh suggeriert genau das: "Athena makes him beautiful by restoring
his natural black skin colour." Wenn das so ist, dann sind wir einem
skandalösen kollektiven Übersetzungsfehler auf der Spur. Immer nämlich
wird die fragliche Stelle mit "braun" übersetzt, vom soeben zitierten
Johann Heinrich Voß bis zu Roland Hampe: "Braun ward wieder die Haut, es
strafften sich wieder die Wangen".
Das große griechische
Wörterbuch von Franz Passow übersetzt das Wort mit: "von schwarzer oder
dunkler Farbe, Oberfläche, Haut, schwarz, schwärzlich, bes. von der
kräftigen bräunlichen Gesichtsfarbe des viel im Freien lebenden
Mannes".* Der Passus bedeutet also – und alle Übersetzer haben ihn so
gelesen –, dass Odysseus wieder die gesunde dunkle Hautfarbe des
sonnenverbrannten Helden zurückerhält. Melanin ist für die
Pigment-Produktion im Körper verantwortlich. Wird es nicht mehr
gebildet, färben sich sowohl die Haare als auch die Haut grau. Das ist
der Grund, warum manche ältere Menschen nicht mehr richtig braun werden.
Wissenschaftler nehmen an, dass dieser Mechanismus auch zur so
genannten Weißfleckenkrankheit führt, bei der die Haut wegen zu geringer
Melaninbildung stellenweise weiß wird. Und wem dann keine Pallas Athene
wiederbelebend zur Seite steht, der gewinnt Penelope nimmermehr zurück.
Damit
wären wir denn wieder beim BBC-Versuch, die Rassen rückwirkend einander
noch ein bisschen näherzubringen. Man spürt die Absicht, und man ist
verstimmt. Das ist alles. Aber die wirklich radikale Pointe steht
immerhin noch aus: Wie, wenn Homer selber ein Mohr gewesen ist? Wie
hätte er sonst so brillant schreiben, wie diese unglaubliche
Spannungskurve von Odysseus' Heimkehr bis zur Klimax seiner
Selbstoffenbarung halten können?
* Ich danke Leser *** für den Hinweis.
Am
Rande: Der Bariton Simon Estes sang 1978 als erster schwarzer Sänger in
Bayreuth den Fliegenden Holländer, danach den Amfortas im "Parsifal",
an anderen Bühnen den Wotan; die schwarze Sopranistin Jessye Norman sang
die Brünnhilde, die Sieglinde, Elsa, Elisabeth, Senta. Ist das ein
Problem? Natürlich nicht. Das sind große Künstler, die
allgemeinmenschliche Rollen interpretieren. Hier gilt's der Kunst, nicht einer fingierten Historizität, hier soll niemand manipuliert werden.
PS: Wer meint, ich spräche bei diesem Thema über Petitessen bzw. stritte gegen Windmühlen, lese doch bitte mal das. MK am 29. 4. 2018
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